Freitag, 31. Oktober 2025

Annabel Chase "Spellbound - Tod eines aufrechten Vampirs"

Spellbound - ein verschlafenes Dorf ... irgendwo im Nirgendwo.
Eigentlich wollte Emma zu einer Mandantin, als sie einen Engel an einer Klippe stehen sieht. Einen Engel?!?
So oder so ähnlich ist ihre Reaktion. Die Rettung gelingt, doch dafür ist sie danach eingeschlossen. In einer Welt, die vor magischen oder gar mystischen Wesen nur so wimmelt.
Frisch angereist wird sie direkt dem Hexenzirkel unterstellt, begibt sich in die entsprechende Ausbildung und darf nebenbei den Posten der Strafverteidigerin übernehmen, denn selbiger wurde kurz zuvor ermordet. 
In einer Welt von Sonderlingen herauszustechen, ist schon eine wirkliche Kunst, aber Emma schafft das. Einerseits mit ihrer Unbedarftheit und andererseits mit dem Wunsch, sich nicht anzupassen.
Schnell wird klar, dass es mehr zwischen Wand und Erde gibt und dass diese Begrenzung Fluch und Segen zugleich sein kann.

Mit dem Auftakt zu ihrer Serie "Spellbound" schafft es die Autorin in einem cosy crime mehrere Sachen anzugehen. Einerseits die Andersartigkeit und damit eine mögliche Besonderheit. Andererseits zeigt sie, dass das Genre des Krimis auch vor fremden Wesen keinen Halt macht. Denn Missgunst und Neid gibt es bei allen und so ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich entweder alle wieder lieb haben oder die nächste Leiche auftaucht. 
Achtung: Der Humor ist zeitweilig sehr trocken, dann aber auch mal wieder sehr düster. Freunde des britischen Humors werden ihre Freude haben, andere eher nicht so. 
Ein guter Einstieg in eine etwas andere Reihe.

4 von 5 Wesen

Christoph Grimm (Hrsg) "Bibbernächte"

Heute Abend noch nichts vor?
Wie wäre es passend zu Halloween mit ein paar Gruselgeschichten?

Bei der Neuveröffentlichung von "Bibbernächte" durfte ich auch eine kleine Geistergeschichte beisteuern, die in einem Museum spielt.
Inspiriert durch die Gänsehaut-Bücher unserer Jugend finden sich in dem Buch sechszehn nervenzerfetzende Geschichten, die von ruhelosen Geistern, unheimlichen Begegnungen und Geschöpfen, die in der Finsternis lauern, erzählen.

Kleine Kostprobe?

Hat sich auf dem Smartphone ein Dämon eingenistet?
Ist die neue Mitschülerin eine Hexe?
Zeigen Spiegel nur uns selbst?
Was führt der unheimliche Mann von nebenan im Schilde und was passiert eigentlich nachts auf dem Friedhof?

Gruselspaß garantiert. Also Süßes oder Saures auf den Tisch und die Nase ins Buch gesteckt.

Donnerstag, 30. Oktober 2025

Autoreninterview Helen Herbst

Hallo zusammen.

Diesen Monat habe ich eine Autorin gefunden, die uns mit ihren cosy crimes in eine etwas andere englische Gesellschaft führt und es ist spannend, ihr dabei zu folgen. 

(Foto: Birgit Poindl_Sabine Preißl (privat), Grafik: Maximilian Wust)

Wie bist du zum Schreiben gekommen?
Buchstaben haben mich von Anfang an fasziniert. Ich habe mit großer Freude lesen gelernt und schon früh angefangen, mit Sprache zu spielen – sei es beim Schreiben von Aufsätzen oder beim Analysieren von Grammatik. In der Volks-schule war ich ein richtiger Bücherwurm und habe alles verschlungen, was mir in die Hände fiel.
In meiner Jugend trat das Lesen etwas in den Hintergrund, das Leben war laut und bunt. Doch als ich später meine Kinder bekam und ihnen Geschichten vorlas, erwachte meine alte Liebe zu den Büchern wieder mit voller Kraft. Und mit ihr kam der Gedanke: Warum nicht selbst schreiben? Warum nicht eigene Welten und Figuren erfinden, denen andere genauso gern begegnen würden, wie ich es einst getan habe?
Das war mein Weg vom Bücherwurm zur Geschichtenerzählerin.

Wie kam es zu deinem Krimi „Lady Agnes und der tote Gärtner im Rosenbeet“?
„Lady Agnes und der tote Gärtner im Rosenbeet“ trug ursprünglich den Arbeits-titel „Warum der Gärtner sterben musste“. Es war das erste Exposé, das ich für meine Literaturagentin entworfen habe. Die Idee dazu kam mir an einem Dezembernachmittag. Ich saß am Schreibtisch und wusste nur, dass ich einen humorvollen Krimi entwickeln wollte.
Dann dachte ich daran, dass Adel mich schon immer fasziniert hat. Vor meinem inneren Auge sah ich eine elegante ältere Lady in ihrem Herrenhaus am Tisch sitzen. Sie war zwar privilegiert, aber wirkte unnahbar und einsam. Plötzlich kam der Butler durch die Tür herein. Ich habe ihn nicht herbeigedacht, er ist einfach gekommen. Dass der Gärtner gestorben ist, ist eine Hommage an das Sprichwort „Der Mörder ist immer der Gärtner“. Bloß: Der kann es ja in diesem Fall nicht gewesen sein.😊
Und so ist es bis heute. Dem Entwickeln der Geschichten liegt zuerst ein Plan zugrunde, eine gewisse Idee und zwischendurch verselbständigen sich Figuren und Szenen in meinem Kopf. Es ist die pure Freude für mich.

Gibt es für Lady Agnes ein konkretes literarisches Vorbild?
Eigentlich nicht im klassischen Sinn. Lady Agnes trägt jedoch Züge von Persönlichkeiten, die mich immer fasziniert haben. In ihrer Haltung und Unnahbarkeit erinnert sie mich an die Queen, wie ich sie bei Auftritten im Fernsehen erlebt habe – würdevoll, beherrscht und zugleich schwer zu durchschauen. Ihr Stil hat etwas von der Eleganz einer Anna Wintour, und ihr Wissensdrang spiegelt die Neugier vieler Menschen wider, die sich nie mit einfachen Antworten zufriedengeben.
Trotz ihrer adeligen Herkunft ist Lady Agnes im Kern ein Mensch wie jeder andere – mit Sehnsüchten, Sorgen und dem Wunsch, verstanden zu werden. Ich möchte, dass sie im Lauf der Reihe ihre durch Stand und Erziehung geprägte Distanz nach und nach verliert und lernt, Nähe zuzulassen. Denn genau darin liegt für mich ihr wahrer Reiz – hinter der Fassade einer Lady verbirgt sich ein verletzlicher Mensch mit Herz und Sehnsüchten.

Neben dem Kriminalfall räumst du auch mit Vorurteilen auf (Adel hat Besitz und Geld). Hat dich das bei anderen Büchern bewusst gestört, dass du hier eine andere Herangehensweise wählst?
Ja, da sprichst du einen interessanten Punkt an. Man denkt gemeinhin, adelig zu sein bedeute automatisch, über Geld und Macht zu verfügen. Dabei stecken dahinter oft viel Tradition, Verpflichtung und Verfall. Das wollte ich in meinem Buch – bei allem Humor – bewusst aufgreifen.
Lady Agnes lebt in einem bröckelnden Herrenhaus, mit mehr Stolz als Geld und sie muss sich behaupten, statt sich auf Standesprivilegien verlassen zu können. Das bringt Spannung und manchmal auch ein bisschen Melancholie.

Welcher ist dein liebster Charakter?
Ich liebe alle Bewohner des Herrenhauses – Lady Agnes, ihren Butler Henderson und die Köchin Grace. Und natürlich habe ich auch den Kommissar Edward Sterling und die Gerichtsmedizinerin Emily Corps ins Herz geschlossen. Deshalb fällt es mir gar nicht so leicht, einen Lieblingscharakter zu benennen.
Aber ich glaube, Henderson ist mir besonders nah gekommen. Er ist als Figur sehr greifbar geworden.
Vielleicht, weil sein ausgeprägter Aberglaube ihm etwas Eigenwilliges, fast Rührendes verleiht. Durch diese Eigenart spüre ich ihn beim Schreiben besonders deutlich – als würde er mir manchmal selbst zuflüstern, was als Nächstes passiert.

Viele Cosy Crimes werden direkt mit den großen Klassikern wie z. B. Agatha Christie verglichen. Worüber würdest du mit ihr sprechen, wenn du die Möglichkeit hättest?
Ich würde Agatha Christie gerne fragen, worauf sie beim Entwickeln ihrer Krimis besonderen Wert gelegt hat, mich nach ihren eigenen literarischen Vorbildern erkundigen und sie nach ihrer Schreibroutine fragen. Außerdem würde mich interessieren, ob sie heute einen Cosy Crime über Social Media, Influencer und moderne Skandale schreiben würde. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie daran großen Spaß hätte!

Wird es weitere Bände um Lady Agnes geben?
Ja, das wird es. Bereits nächstes Jahr, voraussichtlich im Sommer, wird ein neuer Band mit Lady Agnes erscheinen. So viel darf ich verraten: Dieses Mal dreht sich alles um Scones – und um einen vergifteten Gourmetkritiker.

Wer neugierig ist, kann sich hier mehr über Helen erfahren:

Nächsten Monat gibt es ein neues Interview.

Mittwoch, 29. Oktober 2025

Sophie Reyer "Tod bei den Salzburger Festspielen"

Else Heims soll den Tod spielen. Nicht, weil die anderen das unbedingt wollen, sondern, weil es nicht anders geht. Beide Schauspieler des Todes sind tot und das nur wenige Tage vor Beginn der Salzburger Festspiele.

Sophie Reyer verwebt Realität und Fiktion, mischt Glaubenssätze und Kulturen, wandelt Sühne in Schuld. In Rückblenden begibt sie sich mit dem Leser in die Vergangenheit von Else Heims. Wir begleiten den Aufstieg eines Stars, der dann während der Mutterschaft strauchelt, um in Folge des Glaubens und des wachsenden Ruhmes des eigenen Mannes in der Versenkung verschwindet.
Doch was, wenn sie noch "den" Auftritt gehabt hätte?
Wie wäre ihre Karriere im Anschluss verlaufen?
Was hätte sie noch schaffen können, wenn sie nach dem Rosenkrieg aus dessen Schatten hätte heraustreten können?

Während die Krimihandlung von Anfang an relativ offensichtlich gehalten und das Ende recht vorhersehbar ist, sind die kritischen Stimmen im Text umso lauter.
Menschen werden aufgrund ihres Glaubens oder ihres Geschlechts anders oder gar abwertend behandelt und so schafft es die Autorin dem Text auch eine Dynamik zu geben, die über den Krimi hinausgeht.
Denn sowohl Else als auch einzelne andere Figuren, stellen Fragen, die sich nicht so eben beantworten lassen.

Die Autorin weckt mit dem Krimi die Neugier auf eine Zeit, die noch gar nicht solange her ist. Das ist in meinen Augen der gelungenere Aspekt des Buches, auch wenn es ein Krimi ist.

3,5 von 5 Brettern, die die Welt bedeuten

Sonntag, 26. Oktober 2025

Stefanie Neeb "Copenhagen Cinnamon"

Eigentlich stolpert Jonna eher zufällig in das hyygelige Café von Mads, denn sie flüchtet gerade vor einem Streit mit ihrem Vater. Aus der Not wird eine Tugend und so übernimmt sie direkt eine Schicht inmitten von Kaffeesorten, Milchschaum und einem zuweilen sehr launischen Mads.
Denn nicht nur ihr Leben ist gerade von Problemen und Orientierungslosigkeit durchzogen, auch bei Mads stehen viele Zeichen auf Sturm und so ist es die Frage, bei wem der beiden sich das nächste Chaos manifestiert.

Oft gelten Bücher, die mit einem gemütlichen Cover aufwarten, als oberflächlich und ihre Handlung als zu vorhersehbar. 
Stefanie Neeb überrascht mit ihrer Geschichte, die sie kapitelweise mal aus der Sicht von Jonna, mal aus der Sicht von Mads erzählt. 
Probleme, Belastungen und nicht nur das reine Rosarot trifft hier auf die entspannte Atmosphäre Kopenhagens.
Sie schreibt die Geschichte so, dass die Charaktere einem beim Lesen zunehmend ans Herz wachsen und schafft es dabei, mit Überraschungen aufzuwarten, die immer logisch, doch dabei nicht immer vorhersehbar sind. 
Es ist ein Buch, welches Aufregung und Wut genauso in den Vordergrund stellt, wie auch die Entspannung und die Zuneigung. Es zeigt, wie vielschichtig Menschen sein können und wie oft man sich mit der Oberfläche zufrieden gibt, obwohl man soviel mehr bekommen könnte.

4,5 von 5 Kaffeesorten

Samstag, 25. Oktober 2025

Frankfurter Buchmesse Nachschau


Eine Woche ist die Frankfurter Buchmesse schon vorbei und selten haben die Eindrücke so lange nachgehallt wie dieses Jahr.
Die Frankfurter Buchmesse hat in den letzten Jahren umgebaut, die Gänge sind nicht mehr so voll und die Menschenmassen halten sich mehr in Grenzen als früher. 
Man kann mehr von den Ständen sehen, kommt zeitweilig auch ins Gespräch.
Alles in allem ein gelungene Überarbeitung.
Eine weitere gute Idee waren die vielen Fotoecken. 
Was ich allerdings schade finde, war die geringe Auswahl an Büchern.
Viele Stände hatten zwar nicht weniger Regalfläche als früher, aber dafür waren häufiger die gleichen Bücher zu sehen. 
Für nächstes Jahr würde ich mir noch ein paar coole Sitzecken wünschen. Dann wäre es perfekt.
Mit der richtigen Begleitung ist die Messe eines der schönsten Erlebnisse des Jahres. 😊
Und ja, dieses Jahr durfte nicht viel mit nach Hause, aber die Erinnerungen zählen.

Freitag, 24. Oktober 2025

Joe Pitkin "Exit Black"

Ein Hotel im Weltall. Klingt futuristisch, ist aber die Grundlage für "Exit Black".
Während die Forschungsstation weiterhin in Betrieb bleibt, reisen die ersten Übernachtungsgäste hinauf zum "Imperium".
Natürlich können sich nur die reichsten der Reichen eine solche Übernachtung leisten und so wird an nichts gespart. Training vor dem Flug, Weltraumspaziergang, Designerweltraumanzüge ...
Dagegen wirkt das Personal eher schlicht. Die Forschungsleiterin muss beim Empfang helfen und andere vermeintlich nicht forschungsbedingte Aufgaben fallen auf einmal ebenfalls in ihren Bereich.
Und auch beim Empfang kristallisiert sich zunehmend heraus, dass es nicht die Bildung ist, die eine Gesellschaft formt, sondern es ist und bleibt: das Geld.
Daher wundert es nicht, dass sich des Nachts die eingeschlichenen Terroristen zusammenfinden, um ihre Erpressung zu starten, doch das soviel schief laufen würde, hatte wohl keiner bedacht.

Ein Locked-Room-Mystery in Verbindung mit Science Fiction hätte mein Jahreshighlight werden können. Doch leider es ist das nicht geworden. Vieles ist dabei natürlich Geschmackssache, aber einige Sachen haben mir so gar nicht gefallen.
Der Anfang ist spannend aufgebaut und zieht den Leser direkt in die Geschichte. Der darauffolgende Szenenwechsel macht neugierig, doch schon der nächste Kapitelwechsel bremst meine Freude. Die Erzählperspektive wechselt ab hier fortlaufend und bremst damit oftmals die Handlung aus, da man sich wieder und wieder orientieren muss, bei welcher Figur man sich befindet und wann die Szene zeitlich spielt. Es ist sicherlich ein gutes Stilmittel, doch für mich wurde die Geschichte damit zu unübersichtlich.
Die nachfolgend einsetzende Action gibt der Eingruppierung als "Thriller" recht, doch auch hier hat mir die Umsetzung nicht zugesagt. 

Was mir richtig gut gefallen hat, sind die eingestreuten fachlichen Hinweise, wie der Wechsel zwischen Schweben und Schwerkraft und auch der Einsatz von den verschiedenen, technischen Möglichkeiten.

Auch wenn es mir in der Umsetzung nicht gefallen hat, sind mir bei der Geschichte keine inhaltlichen Fehler aufgefallen, sodass das Buch jemandem, der sich sowohl für Science Fiction als für Krimi interessiert, eine Lesefreude bereiten könnte.


3 von 5 Weltraumspaziergängen

Montag, 20. Oktober 2025

Andreas Russenberger "Arosa - wo auch Gauner Urlaub machen"

Arosa - ein Ort für Geld, Reichtum ... und entsprechende Gaunereien. Denn wo es Geld gibt, ist der Neid nicht fern und so hat Andreas Russenberger Arosa als den Ort seiner Kurzkrimis auserkoren.

Dabei sind es nicht immer die großen Diebstähle, Mord und Totschlag, derer er sich annimmt, sondern auch gerne die kleinen Bosheiten, die den Betroffenen ebenso zur Weißglut bringen können.

Bei seinen Kurzkrimis liefert der Autor eine bunte Bandbreite, die nicht nur bei den Textlängen und Inhalten, sondern ebenso bei den Handlungszeitpunkten und den Erzählperspektiven variiert. Mit jedem Seitenumblättern wirft er uns in ein neues Szenario, das sich in die Gesamtheit der Texte harmonisch eingliedert.

Mal mit einem Schmunzeln, mal mit einem Kopfschütteln liest man die Geschichten und ist auf Grund der Bandbreite oftmals erstaunt, dass es sich bei allen um den gleichen Autor handelt. 

Andreas Russenberger gelingt es, ohne sich selbst zu wiederholen, eine kriminelles Bild aufzubauen, das seinesgleichen sucht.


5 von 5 Kurzkrimis

Mittwoch, 15. Oktober 2025

Ulrike Gastmann "99 Lessons for Life"

Lebenstipps zu geben hat in den letzten Jahren massiven Zuwachs erfahren. Dabei wird in Werken oft nicht unterschieden, ob der Mensch wirklich etwas zu sagen hat oder ob sich dessen Name einfach nur gut verkauft.

'99 Lessons for Life' hat einen anderen Ansatz. Ulrike Gastmann hat 99 Viten versammelt und jeweils eine Kernaussage aus dem individuellen Leben zur Weisheit erkoren.
Durch die gelungene Gliederung sind die Texte mal humorvoll, mal tragisch und auch inspirierend. 

Allen ist dabei gemein, dass es sich um Personen aus den verschiedensten Sparten mit den vielfältigen Lebensläufen handelt, die aber immer eins gemeinsam haben: sie sind - in welcher Form auch immer - über sich hinaus gewachsen. Sie berühren die Menschen mit ihrem Leben oder ihren Taten und sind damit Wegweiser für andere Menschen.

Es bietet sich an, die Weisheiten portioniert zu lesen, um auch über das eine oder andere Schicksal nachzudenken.
Vielfach vergisst man, dass es auch wichtig ist, die Texte nicht nur zu lesen, sondern deren Inhalt auch zu verstehen und auch in das eigene Leben und zu integrieren. Und genau das benötigt Zeit.

Ein tolles Buch, wenn man sich in der Hektik des Alltags auf wesentliche Dinge konzentrieren möchte.

4 von 5 Lebensweisheiten

Montag, 13. Oktober 2025

Charles Derennes "Ungeheuer am Nordpol"

Denkt man an Literatur, die sich aus einem Tatsachenbericht und Fiktion zusammensetzt, kommt einem unweigerlich der Name Jules Verne und vielleicht noch H.G. Wells in den Sinn, der Name Charles Derennes wohl eher nicht. Dabei tut man dem Autor, der von 1882 bis 1930 lebte, unrecht. Auch wenn er nicht den gleichen Bekanntheitsgrad wie die Herren Verne und Wells besitzt, in seiner Ausdrucksweise und seiner Kreativität steht er den beiden in nichts nach.

Um die Jahrhundertwende beginnt der Kampf um die Eroberung der Pole. Gar nicht so leicht erscheint es, das richtige Gefährt für die Entfernung und auch für die bevorstehenden Strapazen zu finden. So ist es nicht ungewöhnlich, dass sich zwei Herren, Jean-Louis de Vénasque und Jacques Ceintras zusammentun, um Geld, Ausrüstung und eine Mannschaft zu organisieren, die ihr Gefährt auf den Weg bringen soll. Als die beiden schließlich unter Zeitdruck den Pol erreichen, finden sie Wesen vor, die so gar nicht menschlich sind.
Ein gegenseitiges Beobachten baut die Spannung langsam auf, um dann durch Verfolgung und Hass sich auf wenigen Seiten komplett zu entladen.

Wodurch dieser Roman besticht, ist die ungewöhnliche Erzählperspektive. Schon aus anderen Werken dieser Zeit kennt man, dass es nicht nur einen Erzähler gibt. In diesem Werk findet der Autor eine Möglichkeit, den Bericht so zu verschachteln, dass man immer wieder aus einer Sphäre auftaucht, um dann die Qualität des Textes und seinen Aufbau entsprechend zu würdigen.

Abgeschlossen durch eine historische Einordnung des Übersetzers zeigt das Buch, wie Autoren von anderen Autoren lernen können, wie sie sich beeinflussen lassen und doch ihre eigene Note einbringen. 

Denn Charles Derennes ist mitnichten eine Kopie von Jules Verne noch von H.G. Wells. 

4,5 von 5 Ungeheuern


Danke an den Verlag für das Rezensionsexemplar.

Samstag, 11. Oktober 2025

Philipp Spielbusch "Ich hab da nur kurz draufgeklickt, und jetzt ist alles weg"

Wir alle hatten schon einmal diesen Moment, in dem wir sowohl den Computer oder auch das Smartphone für ihre Funktionsweise verflucht haben. Kommen dann noch die entsprechenden Kommentare von herbeigerufenen IT-Spezialisten kann es ... nun ja ... zu Komplikationen kommen. Denn die eigene Unzulänglichkeit oder fehlerhafte, wenn auch unwissentlich, Handhabung von technischen Geräten kann zu unwiederbringlichen Datenverlusten führen.
Mit einer gehörigen Portion Humor, der auch schon bei manchen Episoden an Galgenhumor erinnert, erzählt Philipp Spielbusch von seinem Berufsalltag.
Computer, Laptops, Smartphones und auch das ausgefallene Stromnetz bilden die Grundlage für seine Geschichten inklusive deren Nutzer. Denn bei Weitem ist es nicht "der Klient" oder "die Klientin", die immer wieder beim IT-Spezialisten vorstellig wird, vielmehr ist die Klientel im Lauf der fortschreitenden Digitalisierung immer breitgefächerter geworden. Sicherlich ist es immer noch ein Großteil der Menschen, die Technik ihre eigenen Fehler zuschiebt, doch es rückt auch eine Generation von Nutzern hinterher, die über ein gefährliches Halbwissen verfügen, und somit ihre Systeme nur zur Hälfte durchdenken.
Ob man bei den Geschichten aus Schadenfreude schmunzelt oder ob des Nichtwissens den Kopf schüttelt, man kann sich an dem so lange erfreuen, so lange es nicht die eigene Technik und die eigenen Daten betrifft, denn dann ist man selber schuld. 😊
Um die Pointen zu verstehen, ist ein gewisses technisches Verständnis sinnvoll, auch wenn der Autor in einen kleinen Blöcken Fachbegriffe immer wieder erläutert und die Einsatzmöglichkeiten erklärt. Ein tolles Buch über den Alltag mit Menschen und Technik.

5 von 5 USB-Kabeln

Sonntag, 5. Oktober 2025

Kelly Mullen "Die Einladung"

Eigentlich hat es sich Rosemary, Mimi, in ihrem kleinen Cottage gemütlich gemacht. Wenige Menschen bewohnen in der Nachsaison die kleine Insel und sie könnte ihren Lebensabend genießen ... Würde sie nicht "Die Einladung" von Jane erhalten, verbunden mit der Drohung, dass ein Nichterscheinen auf Grund ihres Geheimnisses nicht in Frage kommt.
Kurzerhand bittet Mimi ihren Enkelin Addie anzureisen, welche gerade im Rechtsstreit um ihre Mitarbeit an einem Krimi-Online-Game steckt.
Großmutter und Enkelin treffen auf dem imposanten Anwesen ein, die Zugbrücke wird hochgezogen, ein Schneesturm beginnt und die erste Leiche wird gefunden.
Wer so viele Krimis gelesen hat, wie ich es bereits getan habe, ist bei neuen Konzepten immer ein wenig skeptisch und gerade dieser Krimi scheint die Lesenden sehr zu spalten.
Formulierungen wie altkluge Ermittlerinnen, Vergleiche mit Hercule Poirot und Miss Marple, die der Text auch schon selbst aufnimmt, werden in Rezensionen oft negativ bedacht.
Was stimmt ist, die beiden Ermittlerinnen recherchieren in ihrem ersten Fall und sie ziehen die beiden Detektive von Agatha Christie oft zu Rate, was sie in den jeweiligen Situationen tun würden. Die meisten Szenen haben hier unheimlich viel Charme und auch die Referenz zu der Spieleentwicklung von Addie führt zu mehrfachen Schmunzeln. Der Krimi versucht für mich eine Brücke zwischen den klassischen Kriminalromanen und der modernen Gaming-Szene zu schaffen und vielfach funktioniert es auch sehr gut. 
Nicht alle Charaktere werden bis ins Kleinste ausgezeichnet, aber das ist auch nicht immer notwendig. Schneesturm, unterirdische Gänge, Erpressung ... Die Autorin möchte alle Möglichkeiten der Verwirrung ausschöpfen und genau das macht es zum Ende schwierig, den Mörder zu ermitteln. Ein bisschen weniger von allem hätte dem klassischen Krimi gut getan, sieht man es aber aus der Gaming-Perspektive, kann es ja nie zu viel sein. 

4 von 5 Einladungen

Dienstag, 30. September 2025

Marie Meier "Seelengrube 1"

Jules Mission ist gescheitert.
Allein sitzt sie in einem Gefängnis und weiß nicht, was die Zukunft ihr bringen wird. Doch wirklich allein ist sie nicht. Mika ist ihr näher, als es erst den Anschein hat und löst eine Kette von Veränderungen in ihrem Leben aus, die sie sich nie hätte vorstellen können ... und vielleicht auch nie wollte.

Marie Meier zeichnet im ersten Band ihres "Seelengruben"-Zyklus ein recht düsteres Bild.
Die Menschen befinden sich in unterschiedlichen Ebenen. Je ärmer sie sind, desto tiefer ist die Ebene, in der sie leben.
Neid, Missgunst und Groll sind die täglichen Begleiter der Menschen und im ersten Moment wirkt alles trist.
Welche Aufgabe die Zitadelle und auch die Avatare haben, löst Marie nach und nach auf. Wir begleiten Jule, die so gar nicht versteht, wer ihr Leben zu lenken beginnt.
Neben ihrer Entwicklung erzählt Marie von anderen Personae und schildert, wie sie versuchen, sich in einer Leistungswelt über Wasser zu halten.

Maries Erzählstil passt sich unheimlich gut den Szenen an. Mal langsam und detailgenau, dann wieder schnell und dynamisch, sorgen die Wechsel für Spannung und Neugier.

Ein guter Einstieg in eine Serie, die unserer Welt mit ihren Problemen nicht unähnlich und dabei doch so ganz anders ist.

4 von 5 Seelen

Montag, 29. September 2025

Nina Blazon "Hans Christian Andersen - Mit dem Märchendichter im Südwesten"

Hans Christian Andersen als Popstar?
Was im ersten Moment ein wenig verstörend wirken kann, wird im Laufe der Lektüre eine andere Lesart des großen Märchendichters.

Den meisten ist er als sensibel und vorsichtig bekannt. Aufgewachsen in Armut, bedarf es anfangs einer Gönnerin, damit er am Theater Fuß fassen kann. Denn ursprünglich wollte Hans Christian Theaterstücke und Gedichte schreiben. Das Theater wird sein ganzes Leben begleiten und so interessiert ihn nicht nur die Umsetzung eines Stückes in anderen Ländern, sondern auch die Theatergebäude an sich.

Mehrfach begibt es Hans Christian Andersen auf die Grande Tour oder eine Tour, wie er sie selbst auslegt. Beinahe immer wird er auf den Reisen begleitet und lernt so die aufkommenden Reisemöglichkeiten, wie z.B. die Bahn kennen.

Es ist erstaunlich, dass er sich mit seinen ganzen Ängsten, Paniken und seinem häufigen körperlichen Unwohlsein immer wieder auf den Weg macht. Doch in seinen Märchen, die er von seinen Reisen aus anderen Ländern mitbringt, spürt man, wie wichtig diese Erkundungen für ihn sind. Dabei profitieren seine eigenen Märchen von Begegnungen und Beobachtungen, erweitern seine Vorstellungskraft und spiegeln ebenfalls den Zeitgeist wieder.

Nina Blazon begibt sich mit dem Buch auf die Spuren von Hans Christian Andersen. Forscht nach, erzählt wie es heute ist und wo man den großen Märchenerzähler antrifft. Sie erzählt von Treffen mit den großen seiner Zeit, taucht in sein Tagebuch ein und bringt Anekdoten zu Tage, die die Lesenden in der heutigen Zeit schmunzeln lassen. Sie schafft den Spagat zwischen der bekannten Figur und der eher unbekannten Privatperson und zeigt uns, wer seiner Zeitgenossen ihn leiden konnte und wer ihm eher aus dem Weg ging. Nebenbei berichtet sie auch noch über Kunst und Kultur seiner Zeit und spannt den Bogen in die heutige Literatur.

Das alles schafft sie auf knapp zweihundert Seiten und schürt damit den Drang, sich mehr mit Hans Christian Andersen zu beschäftigen.

5 von 5 Märchendichtern

Samstag, 27. September 2025

Christina Comnick_Sebastian Mauritz "Sinn: Über Leben in Krisen"

Krisen kennt jeder. Ratgeber über Krisen kennt auch jeder. Braucht es da einen weiteren?
Wie es im Leben mit so vielen Dingen ist, es können mehrere Dinge nebeneinander existieren und zeitgleich auch einen unterschiedlichen Schwerpunkt bieten.
Während viele Ratgeber sich auf einzelne Verhaltensweisen fokussieren und damit nur einen Teilbereich des eigentlichen Problems angehen, versuchen die beiden Autoren hier eine etwas andere Herangehensweise.
Wer einen Sinn in seiner Aufgabe und seinem Leben findet, lebt reflektierter und kann auch Krisen besser überstehen. Klingt wie eine Weisheit eines Glückskeks', doch wenn man den Gedanken einen Moment wirken lässt, erkennt man, wie viel Macht hinter diesen Worten steckt.
Natürlich kann man schwerlich einen Sinn finden, wenn man mitten in einer Krise steckt, doch manchmal kann dieser Gedanke sogar Leben retten. 
Doch warum braucht man überhaupt einen Sinn und welcher ist am besten geeignet?
In ihrem Workbook bieten die Autoren vielseitige Aspekte. Zum einen bedienen sie sich die Forschungen und erklären, was im Lauf von Studien erkannt und vermerkt wurde. Dieses Feld ist wichtig für das bessere Verständnis, doch gerade hier wäre eine etwas weniger formelle Sprache besser, um auch den Leser abzuholen, der gerade in einer Krise steckt. Die Stärken des Workbooks entfalten sich erst nach den Grundlagen, da sich hier verstärkt um die Praxistauglichkeit gekümmert wird.
Wann und wo kann ich den Sinn in den Alltag integrieren und wie finde ich das, was Sinn überhaupt ist? Denn, man mag es kaum glauben, zu bestimmen, was Sinn, Bestimmung, Aufgabe etc ist, ist gar nicht so einfach, wie es im ersten Moment klingen mag.
Zusammenfassungen und Schaubilder am Ende eines jeweiligen Abschnittes vertiefen die Inhalte und fassen die Kernaussagen noch einmal zusammen.
Das Buch sollte man langsam lesen, sich erarbeiten, damit sich die Gedanken und Grundsätze verfestigen können. Denn, wie die das Buch immer wiederholt, Sinn ist eine Übungssache und diese lebt von Wiederholungen.

4 von 5 Sinnspendern

Rezensionsexemplar: Sinn Über Leben in Krisen

Donnerstag, 25. September 2025

Edward Brooke-Hitching "Die Galerie des Wahnsinns"

Bei Kunst wird oft von Schönheit gesprochen oder sie wird unterstellt.
Kunst kann aber auch immer eine Grundlage für ein Gespräch, eine Debatte sein. Hier bietet sich die Schönheit zwar auch an, doch ist es mehr das Abstrakte oder zumindest nicht Regelkonforme, das zum Stein des Anstoßes wird.
Ob man bei den ausgewählten Bildern, Plastiken oder Installationen wirklich immer von Wahnsinn sprechen sollte, finde ich an manchen Stellen übertrieben, doch liegt der Wahnsinn, ebenso wie die Schönheit, im Auge des Betrachters.

Nach einer kurzen Einführung in das Thema springen wir in die Zeit vor Christus. Ab hier nimmt uns der Autor mit durch die Zeit. Das Schöne an diesem Buch: Im Gegensatz zu anderen Kunstbüchern, begrenzt er sich nicht auf Europa, bei den passenden Werken schaut er über die europäischen Grenzen hinaus und zeigt, was es in Südamerika und Asien zu entdecken gibt.
Dabei ist das Buch im Wesentlichen so gestaltet, dass der Autor sich ein Werk aussucht und zu der Entstehung und auch dem geschichtlichen Hintergrund etwas erzählt. Vielfach werden zu den Texten ganzseitige Fotos abgedruckt, sodass man viele der erwähnten Details nicht nur erahnen, sondern erkennen kann. 

Die Mona Lisa würde ich wahrlich nicht dem Wahnsinn zuschreiben, doch wusstest ihr, dass es mehrere andere Interpretationen dieses Gemäldes gibt?

Kulte und deren Visualisierungen finden in diesem Bildband genauso Zuspruch, wie auch kurze Abhandlungen über Farben, Farbtechniken und Farbherstellung.

Das Buch ist wie ein Wimmelbild. Überall blitzen Anekdoten und unglaubliche Informationen hervor, die bei weitem nicht immer dem Wahnsinn dienen. Ungewöhnlich sind viele Werke allemal und es ist faszinierend in eine andere Welt der Kunst einzutauchen.

5 von 5 obskuren Schätzen

Autoreninterview Marie Meier Literaturinterview

Wer meinem Account schon länger folgt, weiß, dass ich es liebe, Romanfiguren zu interviewen. Dieses Mal hat sich Jule aus Marie Meiers "Seelengrube" Zeit für ein paar Fragen genommen.
Willkommen auf meinem Blog, Jule.

(Bild: Johanna Lehmert, Grafik: Maximilian Wust)

Als Figur in "Seelengrube" musst du das machen, was die Autorin vorgibt. Ist das immer leicht?
Jule: Nee, gar nicht. Mein Tag sieht normalerweise so aus: aufstehen, arbeiten gehen, dann Pizza und dazu eine nette Serie, manchmal auch ein Videospiel. Das ist natürlich nicht so spannend, sehe ich ein. Aber etwas weniger Action hätte es in der Geschichte auch getan. Ich meine, wieso müssen ständig Leute auf mich schießen? Ich wäre viel lieber eine Figur in einem netten Romance-Schinken. Vielleicht so eine High-School-Romanze, auch wenn ich da etwas jünger sein müsste. Ich wäre da so ne graue Maus, aber dann komme ich auf die neue Schule, alle finden mich cool und ein Werwolf-Vampir-Fee-Kerl will den Rest seines unsterblichen Lebens mit mir verbringen. So was. Das fände ich nett. Aber stattdessen werde ich von interstellaren Rebellen gefangen genommen und bedroht – außerdem muss ich in dieser nutzlosen Kraft besser werden, mit der ich unglücklicherweise geboren wurde …

Vor diesem Hintergrund: Siehst du positiv oder mit gemischten Gefühlen auf die nachfolgenden Bände?
Jule: Eher positiv. Klar, es passiert eine Menge Mist, aber auch einige gute Sachen. Den Werwolf-Vampir-Fee-Kerl habe ich vielleicht nicht bekommen, aber … Na ja. Ich gehe nicht leer aus. Auch so … so emotional, weißt du?

Aber erzähl doch mal, wie dein Alltag in Arges aussieht.
Jule: Ganz grob hab ich das ja schon beschrieben. Ich lebe im Fundament, das ist die zweittiefste Stadtebene. Da lebt man, wenn man nicht ganz Bodensatz ist, aber auch nicht richtig weit gekommen im Leben. Ich verschlafe meistens – aufstehen find ich echt schwer. Dann zwänge ich mich mit den ganzen Angestellten in die Bahn. Alle tragen Uniform oder Anzug – ich trage meistens meine Zitadellenuniform, dann rücken mir die Leute nicht so auf die Pelle. Früher bin ich dann zur Zitadelle gefahren, um Seminare zu besuchen und rufen zu lernen. Aber das mache ich eigentlich gar nicht mehr, ich bin ja auch … Ach, ist egal.
Auf jeden Fall mache ich momentan vor allen Dingen so Übersetzungsjobs für die interstellaren Handelsunternehmen. Viele sprechen nur Castil, aber gerade wenn die Leute mit Planeten im Rim handeln, brauchen sie eine Übersetzerin. Manchmal hänge ich dann in Hafenbüros rum, manchmal nehmen sie mich direkt mit. Mein zweites Standbein ist mein Job als Schiffsflüsterin. Unsere Raum-schiffe werden mit derselben Energie angetrieben, die ich auch kontrolliere, wenn ich rufe. Ich werde als Schiffsflüsterin ein Teil des Schiffs, bin dann quasi Antrieb und Schilde. Dank mir kann das Schiff auch den Raum falten. Das klingt episch, ist aber eigentlich ziemlich gechillt.
Ich verbringe viel Zeit in den Quartieren der Schiffsflüsterer, gucke Serien und bediene mich an der Minibar. Manchmal hab ich andere Jobs und … das kann man dann nachlesen.

Was magst du an dem Stilmix Science Fiction und Urban Fantasy?
Jule: An Science-Fiction mag ich den Komfort. Viele sagen, dass Arges ganz schön dystopisch ist. Aber wenn du nicht auf die Unterdrückung guckst und die reichen Arschlöcher, die an der Spitze stehen, also wenn du ganz fest die Augen zusammenkneifst, dann ist es schon ein toller Ort. Es gibt fast überall öffentliche Verkehrsmittel und sie sind immer pünktlich. Man kriegt so gut wie alle Dinge, die irgendwo im bekannten Kosmos produziert werden, weil Arges Hauptumschlagplatz für Waren ist. Die Entertainment-Kanäle haben Millionen von Serien, Filmen, Videospielen … Mit VR-Brillen kannst du deine Lieblingsstars anlecken – und die schmecken dann nach Pfefferminz oder so! Man kann quasi jede Krankheit heilen, aussehen wie man will, sein wer man will … wenn man nur genug Knete hat. Unsere Technologie ist die fortschrittlichste unter allen Planeten. Es ist cool – bis einem das Geld ausgeht. Dann ist es der schlimmste Ort im All, glaube ich.
Dass irgendetwas Fantasy ist, nehme ich gar nicht so wahr. Meine Kräfte stammen von einer hierzulande gut erforschten physikalischen Kraft. Wir haben einen eigenen Wissenschaftszweig dafür – den größten und am besten geförderten. Wir lachen Leute aus, die sagen, dass das Magie sei – das ist eine Meinung von Menschen, die noch nie Glimmer-Spektrogramme auswerten mussten. Erst seitdem ich das Monster kenne, verstehe ich ein bisschen besser, warum manche Menschen das, was ich tue, für phantastisch halten könnten.

Zurzeit sind in vielen Büchern "Buchspringer" unterwegs. Welche literarische Figur dürfte dich gerne besuchen?
Jule: Ich habe lange fast nur Fantasy gelesen – also ich persönlich fände so Werwolf-Vampir-Feen-Leute als Besucher schon ganz cool. Bei uns auf Arges gibt es die Comicreihe Red Hound, die handelt von einem Widerstandskämpfer. Ich lieb die sehr. Ich wünschte, es gäbe Red Hound wirklich und er würde mal vorbeikommen …
Meine Autorin sagt, dass sie gern mal die Crew aus Becky Chambers
Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten zu Besuch hätte.

Und welcher Charakter in "Seelengrube" erdet dich?
Jule: Fast alle meine Freunde tun das. Florence ist wie ein großer Bruder für mich. Er war früher auch an der Zitadelle und stammt auch aus der Unterstadt, er weiß, was ich durchgemacht habe und wie das Leben so für mich ist. Florence ist immer da – außer er muss in der Tapasbar seiner Eltern arbeiten. Emili ist eigentlich mein Vorgesetzter, doch das versteht er nicht so richtig. Deshalb sind wir Freunde. Mit ihm kann ich schweigen.
Meine Freundin Amy findet mich eigentlich zu geerdet – die hätte lieber, dass ich mal ein bisschen abgehobener werde.

Hast du ein Lebensmotto?
Jule: Nicht so richtig. Ich bin nicht so der „Live, Laugh, Love“-Mensch. Ich hab für jeden Tag ein eigenes Motto, je nachdem, wie es mir geht und wie düster die Welt gerade aussieht. Meistens ist es so was Uninspiriertes wie „Ich schaff das schon“ oder an schlechten Tagen ein „Morgen ist auch noch ein Tag“.


(Cover: Marie Meier, Grafik: Maximilian Wust)

Neugierig geworden? Dann schaut hier vorbei:
mariemeier.com
instagram.com/coffeeandkismet

Nächsten Monat gibt es ein neues Interview.

Mia Cassany "Das große Buch des Schreckens"

Mit der Dunkelheit kommt das Grauen in die Welt. Nicht, dass in Realität so wäre, da bedarf es nicht zwingend die Abwesenheit von Licht, aber in Erzählungen spielt die Nacht und ihre Schwärze eine große und wichtige Rolle. Dieser Band stellt eigene Bösewichte aus den Geschichten vor und zeigt, dass sie vielleicht gar nicht so böse sind, wie sie im ersten Moment ausschauen.

Mit ganzseitigen Bildern werden die Wesen der Dunkelheit und ihre Texte vorgestellt. Bei Frankenstein wird auch ein kleiner Exkurs über die Entstehung eingeflochten. 

Auf 52 Seiten lernt man so ein wenig über die schwarzen Gestalten und kann sich danach entscheiden, welche man zuerst kennenlernen will.

Durch die detaillierte Aufmachung und dem Gespür für Szenerie ist das Buch als kleine Übersicht auch für die Lesenden geeignet, die die Texte schon kennen. Im Wesentlichen richtet sich das Werk an Erstleser und führt sie in die Welt des Gruselns ein.


5 von 5 Bösewichtern

Mittwoch, 24. September 2025

Lucy Jane Wood "Rewitched"

Man nehme: eine ungeschickte Hexe, eine beste Freundin, einen Fluch, einen gutaussehenden Mann und einen Buchladen.
Fertig ist DAS cosy Herbstbuch für dieses Jahr. 
Doch fangen wir am Anfang an: Belladonna feiert ihren 30. Geburtstag, doch ihre magischen Kräfte hat sie in den letzten Jahren eher nicht gefeiert. Und so sind ihre Kräfte nahezu eingerostet. Doch ihr Hexenzirkel will sie nicht so ohne Weiteres in die Welt der Nichthexen entlassen und so wird die Möglichkeit gefunden, dass Belle dreißig Tage Zeit bekommt, ihr verlorenes Wissen zu aktivieren und sich des Zirkels als würdig zu erweisen.
Doch nebenher wird ihr Job im Buchladen täglich schwerer und auch die Beziehung zu ihrer besten Freundin bröckelt immer mehr.
Wie sagt man so schön, wenn etwas passiert, dann passiert alles gleichzeitig und so ist es auch in diesem Buch.
Doch wirkliche Hektik kommt eher selten auf. Nach und nach lernt man die Personen in Belles Umfeld kennen und zusammen mit ihr entdeckt man die neueren Charaktere. Während einige Wendungen bewusst in die Irre leiten, sind einige Pfade von Anfang an sehr deutlich gekennzeichnet und so wechseln sich Erwartung und Überraschung ab.
Der Autorin gelingt es dabei, trotz Spannung eine gewisse Ruhe und Bedeutung in dem Buch zu platzieren, weil es auch um das Thema Selbstfindung und Glaube an sich selbst dreht. Mit den richtigen Worten schafft sie es, alles zu thematisieren, ohne dabei einem Bereich zu viel Gewicht zu geben. Die angedeutete Liebesgeschichte passt sich dabei in die Gesamthandlung ein, ohne sich in den Vordergrund zu drängen.
Ein rundherum schönes Buch. Zum Mitfiebern, zum Mitschwelgen und zum Mitwachsen.

4,5 von 5 Zaubertränken

Dienstag, 16. September 2025

Holly Jackson "Not quite dead yet"

Ein Schlag auf den Hinterkopf, dann ein erneuter, im Anschluss: tiefe Finsternis. Jet wird an Halloween in ihrem Zuhause angegriffen. Von wem? Das bleibt vorerst ein Rätsel. Auch wenn sie im Krankenhaus wieder aufwacht, sind ihre Tage gezählt, denn Komplikationen werden dazu führen, dass sie in wenigen Tagen wirklich tot sein wird. Während ihre Familie sie zu einem gefährlichen Eingriff drängen will, sieht sie in den letzten Tagen ihres Lebens die Chance ihren eigenen Mord aufzuklären.
Als wenn ein Thriller nicht schon spannungsgeladen genug wäre, setzt die Autorin mit der verbleibenden Lebenszeit ihrer Protagonistin noch eine ordentliche Portion Aufregung oben drauf. Sie schafft eine Atmosphäre, in der wirklich jeder mindestens einmal verdächtig ist und Jet an ihrer eigenen Menschenkenntnis zu zweifeln beginnt.
Was zum einen die Stärke des Buches ist, ist für mich aber zeitweilig aber auch ein Stück zu viel des Guten. Spannend ist das Buch bis zur letzten Seite und das Hin und Her, wer es letztlich warum war, ist auch nachvollziehbar, aber zwischendurch passieren so viele Zufälle, Widrigkeiten und Vorwürfe, dass es selbst für einen Thriller zu abwegig ist. 
Gut gelungen sind der Autorin die Charaktere, weil sie alle ihre eigenen Wesenszüge besitzen und nicht schlichte Verhaltensweisen der anderen durchgängig kopieren. 
Am besten zeigt sie die Beziehung zwischen Jet und Billy. Mit allen Facetten der Widersprüchlichkeiten sieht man, wie Menschen sich täuschen können, wenn man nicht miteinander spricht. Vielleicht der beste Part des gesamten Thrillers.

3,5 von 5 Kopfschmerzen

Samstag, 13. September 2025

Kai Focke "Hinterm Haus"

Leise quietscht das Gartentörchen, bevor wir uns "Hinterm Haus" wiederfinden.
Doch was gibt es hier zu entdecken?
Kurz- und Kürzestgeschichten, sie sind der Phantastik zuzuordnen, oder gar dem vom Autor selbst benannten Subgenre der Schmunzelphantastik.
Fremde Wesen und Kreaturen begegnen uns; die meisten sind lieb, andere muss man mit einer gewissen Skepsis betrachten.

Schuppen, Remisen, alte Mauern und viele mehr sind die Orte, die wir in dreiunddreißig Kurzgeschichten kennenlernen. Aufmerksame Leser des Autors werden einige Geschichten aus den Miniaturenbänden der Phantastischen Bibliothek in Wetzlar wiedererkennen. Kai Focke hat sich einige der Erzählungen als Gerüst genommen und weitere neue Texte in seine Welt "Hinterm Haus" eingebettet.

Es darf gelacht, geschmunzelt, geseufzt und geheadbanged werden, denn auch ein Schuppen kann gerockt werden.

Untermalt werden einige Beiträge von Jessica Marquardts Illustrationen. Mal schlicht pointiert, mal mit großen Farbeinsatz und Witz beleuchten sie die Erzählungen noch einmal aus einer ganz anderen Perspektive.

Den Abschluss bilden zwei Geschichten, die von Kai Fockes Wegbegleitern erdacht wurden. Friedhelm Schneidewind und Sabine Frambach begeben sich in das Universum der Remisen und steuern ihre Interpretation des Themas bei.

Durch die Kürze der einzelnen Beiträge lässt sich die Sammlung auch im vollgestopften Alltag unterbringen und nimmt nicht soviel Platz wie ein Schuppen ein. Der aufmerksame Leser wird zudem eine Fortsetzungsgeschichte finden, die fast romantisch ist.

4 von 5 Schmunzelkeksen

Freitag, 12. September 2025

Akram El-Bahay "Die Buchreisenden - Ein Weg aus Tinte und Magie"

Stell dir vor, du kannst im wahrsten Sinne des Wortes in dein Lieblingsbuch eintauchen. Du kannst eine Reise zwischen die Zeilen buchen. Die Schlacht bei Mordor betrachten, mit dem verrückten Hutmacher einen Tee trinken oder bei dem Sultan nach fliegenden Teppichen Ausschau halten. Das alles und noch viel mehr kannst du buchen. In einem kleinen Laden in der Charing Cross Road. Zwischen all den Buchläden befindet sich Libronautic Inc., ein Laden, der keine Bücher verkauft, sondern sie zugänglich macht.

Adam ist hier aufgewachsen. Endlich darf er eine eigene Reise betreuen und muss nicht mehr an die Hand genommen werden. Doch alles geht schief. Der Besucher verschwindet zwischen den Zeilen und eine Tür taucht auf. Während Adam von dem Geschehen völlig überfordert ist, sind die anderen Mitarbeiter der Meinung, er sei einfach noch nicht soweit. Doch die heile Welt hat einen Knacks bekommen und der Riss wird mit jedem gemurmelten Wort größer.

Akram El-Bahay zeigt in dem ersten Band seiner Dilogie, dass er es schafft, bekannte Geschichten mit seinen eigenen Erzählungen zu verweben. Passagen, die uns Werken der Weltliteratur bekannt sind, werden hier adaptiert und die Figuren auf seinen eigenen Text in ihrem Wesen und Verhalten angepasst. Er spinnt seinen eigenen Text so geschickt um die Worte anderer, dass ein Text entsteht, in den man im wahrsten Sinne des Wortes eintauchen kann.

Viele Informationen hält er, manchmal auch zu lange, zurück, um eine weitere Spannung aufzubauen, die das Buch eigentlich nicht nötig hat. Die Figuren bleiben dadurch in ihrem Verhalten und ihren Ambitionen ein wenig grau und zurückhaltend. Die großen Rätsel werden am Ende des ersten Bandes zumeist nicht beantwortet und es bleibt abzuwarten, wie sich die Ereignisse im zweiten Band entwickeln.

4 von 5 Buchreisenden

Montag, 8. September 2025

Annette Marie "Ein Cookie für den Dämon"

Wie bezwingt man einen Dämon? Indem man Cookies in den Bannkreis wirft? Vielleicht, vielleicht auch nicht?
Robins Eltern sind vor kurzem verstorben und so muss sie im Anwesen ihres Onkels unterkriechen. Doch das ist leichter gesagt als getan, denn während ihre Eltern so gar nichts mit Dämonenbeschwörung zu schaffen hatten, haust im Keller des Anwesens ein Dämon. Ein Dämon, der sich partout nicht bändigen lassen will.
Und Robin? Erst will sie nur die Bibliothek besuchen, doch viel schneller als ihr lieb ist, kommt sie zwischen die Fronten und das vermeintliche Zuhause wird zerlegt.

Als Nebenreihe zu "Spellbound" kann man die Reihe um Robin ohne Vorkenntnisse lesen. Die Zusammenhänge, die Gilden, die Feindschaften, alles wird zu Anfang und auch während der Handlung erläutert. Robin als Charakter wächst im ersten Band zunehmend mit der Gefahr, während ihr Dämon bis zum Schluss undurchsichtig bleibt. 

Die Autorin erzählt dabei viel über die erdachte Welt, ohne die Leser zu schnell durch Details zu verlieren. Allerdings fällt auf, dass sie eine Vorliebe für Farben hat und die Häufigkeit der Wiederholungen sind hier schon grenzwertig.
Ein netter Einstieg, der so manches Rätsel als Cliffhanger offen lässt.


3,5 von 5 Dämonen

Samstag, 30. August 2025

Helen Herbst "Lady Agnes und der tote Gärtner im Rosenbeet"

Lady Agnes hat Sorgen und dabei kann sie nicht in Worte fassen, welche im Augenblick die größeren sind. Der tote Gärtner im Rosenbett oder die Tatsache, dass sie pleite ist. Hin- und hergerissen zwischen den beiden Gefühlslage sind ihre Angestellten Thomas und Grace eine unsagbare Stütze im Alltag, denn in einem großen Herrenhaus kann es sehr einsam sein. 
Doch als der Mord geschieht, können sich die drei Bewohner vor Besuchern kaum retten, auch wenn es zuweilen unangenehme Treffen sind. Schon im ersten Moment ist der Polizist äußerst feindselig und die alte Nachbarin, die eigentlich eher immer wie eine Dame wirkte, zeigt zunehmend gereizte Züge. Ausgerechnet in diesem Tohuwabohu wird Lady Agnes eingeladen, sich bei einer Gartenshow anzumelden, was im Dorf nicht bei allen auf Begeisterung stößt.

Detektivgeschichten sind dadurch gekennzeichnet, dass oftmals nicht die Polizei die Ermittlungen durchführt, sondern es sind die sogenannten einfachen Leute, die gerne belesen durch Kriminalromane, eine Ahnung vom Bösen und zwischenmenschlichen Beziehungen haben.
Die Gemütlichkeit fließt über die Eigenarten der Protagonisten und gerne auch deren Marotten in die Handlung ein. So ist es hier ein Haushalt, in dem alle Figuren größere und kleinere Geheimnisse haben und eine Schrulligkeit an den Tag legen, die immer wieder die Mundwinkel zucken lassen. Ein Butler, der schon morgens den Sonnengruß auf der eigenen Rasenfläche vollführt, ist schon ein sehr amüsantes Bild. Sonderlich komplex sind die Krimis nicht, da sie sich vielmehr auf die Personen und das Dorfleben konzentrieren.

Eine gelungene Mischung, die viele der englischen Werte hochhält und mit einem Augenzwinkern um moderne und auch tollpatschige Elemente ergänzt.

4 von 5 Rosengärten

Donnerstag, 28. August 2025

Autoreninterview Maria Orlovskaya

Hallo zusammen.
Diesen Monat habe ich eine Autorin gefunden, die dieses Jahr schon für ihre Texte ausgezeichnet wurde. Maria schafft es mit ihren Geschichten, die Lesenden zum Nachdenken anzuregen und über den Tellerrand zu schauen. 

(Foto: Maria Orlovskaya (privat), Grafik: Maximilian Wust)

Wie bist du zum Schreiben gekommen?
Als ich fünf oder sechs Jahre alt war, habe ich mir epische Science Fantasy Stories ausgedacht und mit meinen Stofftieren nachgestellt. Die Hauptfiguren — ein matriarchales Adelsgeschlecht mit 12 Töchtern — bereiste die Sterne: auf unserem alten Perserteppich.
Meine Großmutter kam damals vorbei und meinte: “Warum fängst du nicht an, diese Geschichten aufzuschreiben?” Und ich so: „Ja, why not?!“

Du hast dieses Jahr den dritten Platz beim Kurt Lasswitz Preis für deine Kurzgeschichte geholt. Erzähl ein bisschen darüber, wie du diese Zeit erlebt hast.
Ja, irgendwie crazy alles. Kurz nach der Nominierung habe ich mich so gefühlt, als wäre ich jetzt eine “Person des öffentlichen Lebens” und habe alle möglichen peinlichen Captions und Bilder auf meinem Instagram-Profil archiviert. Aber irgendwie merkte ich dann, dass sich ja doch niemand so wirklich für mein Instagram interessiert :)
Die Preisverleihung auf dem WetzKon war allerdings herrlich. Und die Lesung hat auch sehr großen Spaß gemacht.

Bist du bei deinen Texten eher Team Utopie oder Dystopie?
Defintiv Dystopie. Wenn ich in die Kolumne von Theresa Hannig reinlese (oder besser gesagt reinhöre, denn ich habe sie in Wetzlar lesen hören) dann tut sich für mich definitiv ein Bild auf, das ich mit dem englischen Wort endearing beschreiben würde. Sorry an alle Lektoren, die meine Anglizismen hassen. Aber leider liebe ich meine Anglizismen sehr und an dieser Stelle wären andere (deutsche) Worte, wie z.B. niedlich sehr unangebracht. Denn es wäre schön, wirklich sehr schön, wenn ich daran glauben könnte.
Auch Star Trek spielt in einer Utopie. Einer Utopie, die aus der Linse des kalten Krieges entstanden ist.

Generell lässt sich sagen, dass jede Utopie aus einer bestimmten Linse heraus entsteht; aus einem bestimmten Blickwinkel. Die Utopie des einen ist des anderen Dystopie. Viele Dinge, die für mich technokratisch utopisch wären, z. B. ein KI-Filter für zwischenmenschliche Kommunikation, würden die meisten verschreien. Auf der anderen Seite finde ich Utopien, die andere Autor*innen sorgfältig zusammengeschustert haben, sehr dystopisch. Und nicht nur das: ich finde viele Gespräche, die ich mit meinen Freund*innen führe, zutiefst dystopisch.
Ich glaube, das interessanteste an einer Dystopie ist, dass die Charaktere nicht merken, dass sie in einer leben und der Leser mitgenommen wird, auf diese Reise der Erkenntnis. Dass es am Ende doch eine war.
Genauso glaube ich, dass die meisten nicht wissen, dass wir bereits in dystopischen Verhältnissen leben. Oder noch besser: dieser Aussage im Generellen zustimmen und doch blinde Flecken genau an den Stellen aufweisen, die ich aufzeigen möchte.

Wie und vor allem wo entstehen deine Geschichten?
In meinem Kopf, idk. Idk, Ngl, Lmao: Lektoren hassen diese Tricks. Aber ich glaube, eine jugendlich ausgerichtete Sprache ist zukunftstauglich. Und stehe dazu.
Spaß beiseite: meistens ist es sehr unglamourös. Es gibt irgendeine Ausschreibung irgendwo, und ich brainstorme Ideen. Und schaue mir an, was in den USA gerade gut ankommt. Eine gute Faustregel ist: das, was dort gerade cool ist, wird bei uns in max. einem Jahr auch langsam cool werden.
Also: orientiert euch an Clarkesworld, Kinder.

Ja und einige dieser Ideen schaffen es dann in die engere Auswahl, andere nicht. Zum Thema Worldbuilding kann ich die Bücher von Marie Brennan sehr empfehlen – zum Thema Dramaturgie Truby und Vogler. Die beiden letzteren haben wir auch an der Uni nahegelegt bekommen.

Auf deinem Instagram-Account habe ich gesehen, dass du auch Musik machst. Beflügelt das Schreiben die Musik oder ist es eher anders herum?
Irgendwann mit achtzehn habe ich mich ausschließlich auf Musik konzentriert und das Schreiben (wie sehr sehr oft in meinem Leben) aufgegeben. Weil die Musik keine Angriffsfläche bietet. Ein Ton ist vielseitig interpretierbar und ein Akkord, selbst wenn er moll sein mag, lässt keine Schlüsse auf den Menschen dahinter ziehen. Oder zumindest nur sehr schwammige. Doch das literarische Wort nagelt dich fest. Wenn du Pech hast, stellt es deine Biografie bloß – oder schlimmer noch: deine politische Meinung. Deswegen wollte ich mich hinter dem Ton verstecken.
Bis ich dann einundzwanzig war und es satt hatte, etwas Normales studieren zu müssen. Da ich fürs Konservatorium zu schlecht war und Gamedesign mir von meinem intellektuellen Moskauer Familienhaus verboten wurde, musste ich für die Bewerbung an der Babelsberger Uni wieder mit dem Schreiben anfangen. Oder zumindest ein paar alte Sachen von Staub befreien, um sie dort
einzureichen.

Was tust du bei einer Schreibflaute?
Wenn man professionell schreibt, und noch keinen Durchbruch hatte, kann man sich “Flauten” nicht leisten. Ich glaube Flauten sind etwas für Menschen, die entweder schon sehr komfortabel von ihrer Literatur leben können, oder für solche, die es von Anfang an nicht ernst gemeint haben.
Klingt vielleicht hart, aber anders sehe ich es nicht.

An welchen Projekten arbeitest du gerade?
Von zwei Projekten kann ich kaum erzählen, denn sie liegen gerade bei zwei anonymisierten Stipendien vor und ich möchte eine Disqualifizierung nicht riskieren, weil ich mich hier verplappere. Ansonsten versuche ich, ein Manuskript von mir so aufzubereiten, dass es dramaturgisch ansprechender wird.
Da man es dem Climate Fiction zuordnen könnte, wäre das sogar ein Kandidat für 2-3 Agent*innen und Verlage, mit denen ich schon länger aus der Ferne flirte. Wer weiß, vielleicht klappt es ja?
Ich glaube ja kaum dran. Aber vielleicht drückt mir der* ein*e oder andere hier die Daumen.
Eine Sache, die ich allerdings verraten kann: ich arbeite an einem Stoff für die Anthologie “Zu den Wurzeln” vom Ohneohren Verlag, die leider jetzt eingefroren wurde. Das Worldbuilding ist bisher aber so cool, dass ich wahrscheinlich dennoch etwas daraus machen werde. Es geht um eine flat-earth-ancient-aliens-eske Theorie und dass diese vor mehreren Jahrtausenden zu 100% die Realität war.
Gerne könnt ihr dazu den Begriff “versteinerte bäume verschwörungstheorie” googeln. Ich finde das Konzept ziemlich knorke, auch wenn es wahrscheinlich zu 100% nicht der Realität entsprochen hat.

Aber wer weiß: idk, ngl. idc.

Wer neugierig ist, kann sich hier mehr über Maria erfahren:
www.mariaorlovskaya.com
www.instagram.com/maorlovskaya

Nächsten Monat gibt es ein neues Interview.

Mittwoch, 27. August 2025

Ingrid Pointecker (Hrsg) "Der Dampfkochtopf"


Ran die Herde, den Aether aufgedreht und los geht es in der Steampunk-Küche. Es zischt, es wird gebrutzelt und die Gewürze fliegen in kleinen Luftschiffen tief.

Sechszehn Schreiberlinge haben sich zusammengefunden, um ein ganz besonderes Menu zu zaubern. Vorspeise, Hauptgang, Nachspeise, selbst für den abschließenden Espresso ist gesorgt.

Alle sechszehn Geschichten inkludieren mal mehr, mal weniger Steampunk-Elemente. Sie spielen zu einer Zeit, in der Technik eine andere war, als wie wir sie heute kennen. Ein bisschen Wahrheit und viel Dichtung tragen die Erzählungen und so tauchen historische Figuren wie Queen Viktoria auf, aber gleichzeitig gibt es Flughäfen für Luftschiffe.
Die Texte behandeln Staatsangelegenheiten, klassische Täuschungsgeschichten, finden Lösungen für die Armenspeisungen.

Denn: Dreh- und Angelpunkt aller ist ihr abschließendes Rezept. In einigen Texten schauen wir den Protagonisten im wahrsten Sinne des Wortes in die Töpfe, in anderen spielt die Zubereitung eine eher niedergeordnete Rolle.

Schlussendlich ist das Lesen ein Gaumenschmaus und man freut sich, wenn es aus der eigenen Küche wie von Zauberhand zu duften beginnt.

4 von 5 Rezepten

Freitag, 22. August 2025

R. L. Stine "Das Phantom in der Aula"

Nein, ich habe nicht versehentlich das gleiche Foto noch einmal hochgeladen.
Ich habe wirklich schon den nächsten Gänsehaut-Roman gelesen, sie haben einen kleinen Suchtfaktor. ;-)
Tatsächlich ist es aber auch der vorerst letzte, ich muss mir erstmal weitere Bände besorgen oder ggf auch ausleihen.

Worum ging es bei dieser Episode?
In einer Schule soll ein Theaterstück ausgeführt werden. Ein Theaterstück, was schon vor siebzig Jahren auf die Bühne hätte kommen sollen, wenn der Hauptdarsteller nicht in der Nacht vor der Premiere verschwunden wäre. Seitdem ranken sich Rätsel und Mysterien um das Stück. Erst eine ambitionierte Lehrerin will dem Spuk ein Ende machen und die Premiere endlich nachholen.
Doch sie hat die Rechnung ohne das Phantom gemacht. Gibt es abseits des Stückes wirklich ein Phantom? Oder kann Alex sich mit seinen Scherzen einfach nicht zurückhalten?

Bei diesem Band hat mir besonders die Mischung aus Witz und Grusel gefallen. Durch die Witze wirkt der Grusel an bestimmten Stellen noch intensiver und man kann förmlich die alte Aula knarzten und quietschen hören. Großes Kopfkino ist garantiert. Bisher der beste Roman für mich aus der Serie, wenn auch nur knapp.

5 von 5 Theaterrequisiten 

Dienstag, 19. August 2025

Mac Conin "Nirgendwann - Plan B war auch Mist"

Jo hat es nicht leicht. Sie ist eine zugereiste Kölnerin. Ist das ihr einziges Problem? Anfangs erscheint es so. Doch wie bei einer Zwiebel entblättert sich die Geschichte Seite für Seite und lässt den Lesenden Schicksale und Machenschaften erfahren, die er bei vermeintlich locker-leichten Einleitung nicht vermutet hätte.
Dreh- und Angelpunkt ist die Zülpicher Straße in Köln. Hier spielt der größte Teil der Geschichte. Erzählt aus den verschiedenen Perspektiven der Protagonisten (u.a. auch ein Büdchen) erfährt man viel über das Leben um und auf der Straße. Wie die Menschen hier früher lebten, was sich verändert hat. Wer gegangen und wer geblieben ist. Einzelne Charakter verbringen nahezu ihr ganzes Leben hier (Herr Hänsel) und andere sind erst kurz dort (Jo). Doch für alle ist die Straße ein Zuhause. Unbewusst sind sie eine Gemeinschaft, wie sie das Büdchen in der heutigen Zeit kaum mehr kennt. 
Das Büdchen nimmt in der Geschichte neben den anderen Erzählenden eine Sonderstellung ein. Eigentlich ein Institut des Viertels ist es mehr als ein schlichter Kiosk. Früher traf man sich hier und tauschte Neuigkeiten aus, doch wie sich die Gesellschaft verändert, ändert sich auch das Verhalten der Kaufenden. Vielfach ist das Büdchen ein Spiegel der Gesellschaft und wirft in die Handlung die eine oder andere Weisheit hinein, ohne dabei zu stören.
Die Geschichte wühlt dabei den Lesenden sehr oft auf. Alle Ungerechtigkeiten, die man sich vorstellen kann, treffen auf die verschiedenen Protagonisten und doch schafft es der Autor ein stimmiges Bild zu schaffen. Denn die Welt ist nicht rosarot. Manchmal vielleicht, aber definitiv nicht immer. Und so zeigt er an den verschiedenen Lebensläufen, was Stärke, Zusammenhalt und Gemeinschaft bedeuten, selbst wenn die Tage nahezu dunkel erscheinen.
Ein gelungenes Buch über menschliche Beziehungen und dem Wunsch ein sorgenfreies Leben zu führen.

4 von 5 Entscheidungen

Danke an den Autor für das Rezensionsexemplar.

Montag, 18. August 2025

R. L. Stine "Der Werwolf ist unter uns"

Und wieder gibt es eine kleine Runde Nostalgie. Nachdem die beiden letzten Bücher aus der Gänsehaut-Reihe Kurzgeschichten-Sammlungen waren, gab es jetzt gruseln in Romanlänge.

Besessen davon einen Werwolf zu fangen, verschlägt es Vater und Sohn nach Europa und dort in einen tiefen, dunklen Wald. Tagelang liegen sie auf der Lauer, bis der Vater einen Fallensteller als Werwolf ausmacht. Die große Maschinerie des Marketings wird angeworfen und kurz vor Kundgebung geschieht das Unfassbare.

Im Gegensatz zu den modernen Thrillern, in denen noch eine Abwegigkeit und noch eine Unmöglichkeit einen unglaublichen Täter hervorbringt, sind diese Bücher klarer in ihren Intentionen. Sicherlich ist das zum einem der Tatsache geschuldet, dass es sich um Kinderbücher handelt und zum anderen muss auf der Länge die Geschichte logisch zu Ende erzählt werden.

Spannung schafft der Autor in jedem Fall und wenn mir gerade kein Fell wächst, stehen mir die Haare doch noch ein wenig zu Berge.

4,5 von 5 Werwölfen

Samstag, 16. August 2025

Olivia Monti "Die Toten von nebenan"

Frau Löffler ist gestorben. Nicht, dass sie das im ersten Moment bemerkt. Allerdings sieht sie auf einmal ihre tote Großmutter und andere Bewohner der Straße, die nicht mehr auf der Erde weilen. Wenn man das überhaupt so nennen kann. Denn die Toten teilen sich mit den Lebenden die Straße und die Wohnungen. Was zu manchem Gerangel führt. Da kommt Herr Tober den Toten gerade recht. Er will die Straße von den Lebenden befreien und sie nur für die Toten lebenswert machen.
Es beginnt ein Machtkampf zwischen Lebenden und Toten, Tober und den Toten und ...

Wer mit wem gegen wen und vor allem warum?
Ränkespiele zeichnen sich immer wieder durch wechselnde Konstellationen der Beteiligten auf und das ist auch hier der Fall.
Während Herrn Tober schnell böse Absichten unterstellt werden können, sind die Toten der Straße einem oftmaligen Hin und Her unterworfen, wie es auch im wahren Leben oft so spielt. Die Toten unterliegen dabei den gleichen Gefühlen wie die Lebenden und so sind Hass, Neid und auch Vorurteile im vermeintlichen Jenseits an der Tagesordnung.
Mit sehr kurzen Kapiteln hält die Autorin zusätzlich die Spannung hoch und die Situationswechsel erinnern an einen modernen Actionfilm.
Immer wieder ist es an den Figuren, Stellung zu beziehen, sich dem Bösen entgegen zu stellen und trotzdem das eigene Leben nicht aus den Augen zu verlieren. Hier bleibt die Autorin vage und lässt keine Figur über das gesellschaftliche "Richtig" und "Falsch" urteilen, was man zwischendrin annehmen könnte.
Ein Buch, was die Lesenden über Ungerechtigkeiten und Verhaltensweisen sinnieren und über den eigenen Umgang mit anderen nachdenken lässt.

4 von 5 Flüchen

Danke an die Autorin für das Rezensionsexemplar

Montag, 11. August 2025

Geoff Rodoreda "George Orwell in Stuttgart, Nürnberg, Köln"

Während einige Autoren als Schreibtischtäter gelten und von der Welt nicht viel gesehen haben, hat George Orwell in seinem recht kurzen Leben so viel erlebt, dass es auch für mehrere reichen würde.
In den Zwanziger und Dreißiger Jahren war er mehr in der Welt unterwegs als so manch anderer Engländer. Geboren in Bihar kommt seine Mutter erst später nach England zurück. Von dort zieht es ihn nach Burma zum Polizeidienst. Anschließend kränkelte er, bevor er in London einen Job als Buchhändler annimmt. Zwischenzeitlich zieht es ihn immer wieder zu seiner Tante nach Paris, dann zum Spanischen Bürgerkrieg. Erneut in England adoptieren seine Frau und er einen Sohn, bevor es ihn am 8.4.1944 über den Ärmelkanal für zwanzig Kriegsberichterstattungen nach Frankreich und schließlich nach Deutschland zieht. 
Trotz Krieg, Krankheit und Kind widmet er sich mit Leidenschaft seinen Texten für The Observer und Manchester Evening News. Geoff Rodoreda hat aus den Berichten, vereinzelten Briefen und anderen Dokumenten die Zeit wiederaufleben lassen, die seiner Meinung nach prägend für die Erschaffung von "1984" ist. Sicherlich hat Orwell seine Idee zu dem Roman schon vorher gehabt, aber die Gespräche mit den Menschen vor Ort und ihre Verzweiflung spiegeln sich im Text wider. Dabei ist es vielfach erstaunlich, welche Position der bekannte Autor in seinen Ausführungen einnimmt.
Geoff Rodoreda konzentriert sich in seinem Text nicht nur auf den Monat in Deutschland. Er schildert in dem Buch fast das komplette Leben Orwells. Was im ersten Moment enttäuschend wirken kann, da die deutsche Episode nicht das ganze Buch umfasst, liefert es dafür ein besseres Verständnis von Orwell und seiner Einstellung. Ohne die bewussten Hinweise auf Orwells Episoden vor Deutschland wären viele seiner Äußerungen nicht nachvollziehbar.
Zahlreiche Zusammenfassungen innerhalb des Textes verfestigen die neuen Informationen und lassen Orwells Leben nicht allzu schnell am Leser vorbeiziehen.
Ein interessanter Blick hinter die Kulissen von "1984".

4 von 5 Staaten 

Sonntag, 10. August 2025

Reinhard Kuhnert "Was unvergessen bleibt"

In vier längeren Kurzgeschichten entführt uns der Autor in die Vergangenheit. Vor dem Hintergrund, was zählt ein Leben, widmet er sich hier dem Verlust, dem Tod und der Einsamkeit. Das mag im ersten Moment niederschmetternd klingen, doch ist dem nur bedingt so.
In der ersten Geschichte muss ein Mann seinen Hirntumor entfernen lassen und danach versuchen, sich an sein Leben zu erinnern. Die Flucht aus der DDR, der Verlust seines Bruders, Vaters und der seiner Mutter. Die erste enttäuschte Liebe, vieles, was verloren schien, treibt wieder an die Oberfläche und lässt ihn an die alten Zeiten denken.
Die zweite Geschichte beginnt mit einer Beerdigung. Nur zwei Menschen sind in das Dorf zurückgekehrt und nehmen Abschied. Was hatte der Mann falsch gemacht, dass sein Tod so wenige Menschen zu berühren scheint. Alles begann mit einer Karnevalsveranstaltung.
Die Fahrt nach Weimar läutet die dritte Geschichte ein. Bettina ist nicht begeistert, dass sie ihrem Bruder bei einem Gespräch mit der Mutter unter die Arme greifen soll. Tina war immer die Böse, die in den Westen gegangen ist und die Familie im Stich gelassen hat.
Für die vierte Geschichte geht es auf eine Insel, genauer gesagt, nach Irland. Eine Frau war unterwegs und als sie zurückkehrt, heißt es, ihr Mann sei verstorben. Doch Barde und Draufgänger, der er war, glaubt sie an eine Verwechslung.
So unterschiedlich die Erzählungen auf den ersten Blick sein mögen, alle handeln von den Beziehungen zwischen den Menschen und was im Leben wirklich zählt. 
Ist eine Meinungsverschiedenheit so wesentlich, dass man den Kontakt abbricht?
Hat ein Mensch Schuld auf sich geladen, wenn er versucht seine Familie zu beschützen?
Was bleibt von uns, wenn wir unsere Erinnerungen verlieren?
Diese vermeintlich großen Fragen werden in schöne Erzählungen gepackt und zeigen, wie wir miteinander umgehen und wie wir es stattdessen lieber sollten.

4,5 von 5 Grenzgängern

Dienstag, 5. August 2025

Ben Guterson "Das World Famous Nine"

Willkommen im "World Famous Nine", dem Kaufhaus, in dem wirklich alle Wünsche erfüllt werden. Neben Verkaufswaren, gibt es zahlreiche Restaurants und Cafés, eine Dachterrasse mit Blick auf das hauseigene Riesenrad, einen Leseraum für die Angestellten, eine Galerie und und und …

Doch als Zander von seinen Eltern zu der Inhaberin Zina, welche zugleich seine Oma ist, gebracht wird, häufen sich die Zwischenfälle in dem wunderschönen Kaufhaus. Während die ersten Tage der Erkundung des Gebäudes dienen, wird Zander immer mehr in die Geschichte des Haus hineingezogen und entdeckt, dass es ein Rätsel zu lösen gibt, was über die Zukunft des Kaufhauses entscheiden wird.

Wer bereits Bücher von Ben Guterson gelesen hat, weiß um seine Liebe für Rätsel und Gedanken, die man um die berühmte Ecke betrachten muss. So ist es auch hier.
Zander macht in den paar Tagen eine unglaubliche Entwicklung durch und ist nach den Ereignissen nicht mehr derselbe Junge wie zu Anfang der Geschichte.
Im Gegensatz zu seiner Reihe "Winterhaus" ist es hier an manchen Stellen ein wenig überzeichnet und man könnte fast meinen, man liest eine Heldengeschichte aus der Antike. Auch sprachlich bin ich an manchen Stellen nicht sicher, ob die Einordnung ab neun Jahren nicht etwas zu viel von einem jungen Leser erwartet, da der verwendete Wortschatz sehr beachtlich ist.

Schlussendlich ist es aber wieder ein gelungenes Buch, was die Neugier von Kindern bestärkt und sie anhält sich mit Rätseln zu befassen.

4 von 5 Aufzügen

Donnerstag, 31. Juli 2025

Autoreninterview Dag (Galaxy of Shadows) Literaturinterview

Wer meinem Account schon länger folgt, weiß, dass ich es liebe, Romanfiguren zu interviewen. Dieses Mal treffen wir Dag aus Dan Adams Space Opera "Galaxy of Shadows".
Gerade sind Dag, Guus und Kaylah über einem Planeten abgestürzt. Während einer Verschnaufspause nimmt sich Dag Zeit, einige Fragen zu beantworten.


Angesichts der Lage, in der wir uns gerade befinden, ziehst du das Unglück immer magisch an?
Hm, sagen wir mal so. Unglück ist mir ein zu großes Wort. Ich würde es eher Pech nennen. Ich plane die Dinge, die ich so tue, meistens ganz genau. Aber dann gibt es da Ereignisse, oder Personen, die mir dazwischen kommen und meine Pläne über den Haufen werfen. Das ist dann Pech, aber das ist nichts, wovon ich mir Angst machen lasse. Ich nehme das als neue Herausforderung und improvisiere. Darin bin ich ziemlich gut. Ein Unglück ist etwas, dass du nicht beeinflussen kannst. Du kannst es nur über dich ergehen lassen und hoffen, dass du heil rauskommst. Ist mir bisher noch nicht so oft passiert. Das würde man dann wohl Glück im Unglück nennen. (grinst)

Doch nun einmal von Anfang an, wie kam es dazu, dass du Kaylah retten musstest?
Nun, es gibt da ihren Vater, Gavan. Das ist ein Mann, bei dem ich ein bisschen in der Kreide stehe. Und..., ich weiß nicht, ob Du Gavan kennst, aber das ist einer, bei dem man besser keine Schulden hat. Es gab da in der Vergangenheit ein paar Sachen, die bei mir schief gelaufen sind und Gavan hat mir finanziell unter die Arme gegriffen. Aber, so was macht er nicht aus Freundlichkeit, das kostet zumindest einen Gefallen. Als Kaylah dann entführt wurde, hat er ihn einge-fordert. Da ich ein wenig was vom Finden und Wiederbeschaffen verstehe, fiel seine Wahl dann auf mich.

Siehst du dich als Outlaw?
Ein Outlaw? Hm. Das ist ein so abwertendes Wort (Grinst): Ich würde es anders nennen. Ich bin ein Freelancer, jemand den man anheuern kann, wenn man eine Sache nicht selbst erledigen will. Und wenn ich dafür das Gesetz brechen muss, nun, dann ist das lediglich eine kleine Notwendigkeit. Outlaws sind andere. Das sind brutale Typen, die andere überfallen und dabei über Leichen gehen. So einer bin ich nicht. Ich mag es ruhig, unkompliziert und unauffällig. Die Outlaws, die ich kenne, und ich kenne nicht viele, sind laut und prahlerisch. Solche Typen haben ein großes Ego und ein noch größeres Mundwerk. Die werden meist nicht alt und ich habe vor sehr alt zu werden.

Was braucht man, um in dieser Welt zu bestehen?
Gute Nerven, das vor allen Dingen. Und es hilft unsichtbar werden zu können. Wenn es Stress gibt macht es Sinn unterzutauchen und bloß keine Spuren hinterlassen. Dann wächst meist Gras über ein Problem. Die Leute vergessen schnell. Manche sagen ja, schießen zu können wäre auch hilfreich. Ich sehe das anders. Ich bin kein guter Schütze und lebe trotzdem noch. Weißt du, wenn du jemanden umlegst, dann gibt es immer einen, dem das nicht gefällt und der sich rächen will. Wenn ich Streit mit jemandem habe, gibt es meist nur ein paar Prügel. Das ist in Ordnung, so läuft das Geschäft. Du haust jemanden übers Ohr und dann kann es eben mal passieren, dass man eine Abreibung kriegt.

Du sagst, du giltst als schwarzes Schaf der Familie, was wärst du geworden, wenn alles richtig gelaufen wäre?
Pfff, wer kann das schon sagen. Meine Mutter wollte immer, dass ich studiere, oder meiner Schwester folge und an die Akademie gehe, um etwas aus mir zu machen. Aber ich war faul und kein besonders guter Schüler. Außerdem hatte ich ständig Ärger. Sie ist daran verzweifelt. Im Nachhinein tut es mir leid, dass ich ihr soviel Kummer bereitet habe. Sie hätte ein bisschen Unterstützung verdient. Besonders da mein Vater nie da war. Und wenn er da war, hat er sich betrunken und mit ihr gestritten.
Mein Vater war ein Dooner, aber Mutter war ein herzensguter Mensch. Sie wäre sicher enttäuscht von mir, aber das Leben, das sie für mich wollte, hätte mich nicht glücklich gemacht. Kannst du dir vorstellen, dass ich als Raumschiff-ingenieur in den Werften gearbeitet hätte? Nein? Siehst du, ich auch nicht. Also tue ich das, was ich jetzt eben so tue.

Und wie sieht der perfekte Tag in deinem jetzigen Leben aus?
Kurz gesagt. Am liebsten bleibe ich an so einem Tag mit Kaylah im Bett und tue, was man da eben so tut. Du verstehst mich. Dann natürlich ausschlafen, ich hasse es früh aufstehen zu müssen. Und an so einem Tag mache ich mir keine Sorgen ums Geld. Das ist sonst ständig ein Problem und sorgt dafür, dass ich unentspannt bin. Ich muss zugeben, ich bin nicht gut darin mein Geld zusammenzuhalten.
Ach ja, schön ist es auch, wenn ich mal an so einem Tag nicht in Schwierigkeiten stecke. Einfach Nichtstun und genießen, das wäre perfekt. Findet aber leider viel zu selten statt.

Werden wir den Planeten wieder lebend verlassen?
Ich habe schon in vielen Schwierigkeiten gesteckt und gedacht – hier kommst du nicht lebend raus, aber hey, ich bin hier, lebendig. Und ich lass niemanden im Stich. Ich bin Optimist, und das solltest du auch sein. Wir kriegen das hin. Vertrau mir. Ich weiß was ich tue. (zwinkert und grinst)

Neugierig geworden? Dann schaut hier vorbei:
bastei-luebbe.de/Science-Fiction-Fantasy/Galaxy-of-Shadows-Die-graue-Zone
www.instagram.com/juergen_baerbig

Yvonne Tunnat, Chris Witt (Hrsg) "Ihr Körper, das Schiff"

Jede Anthologie ist eine Wundertüte, denn jede Kurzgeschichtensammlung wird durch ihre zahlreichen Wechsel getragen.
Bei 15 Geschichten, wie in dieser Zusammenstellung, müssen sich die Lesenden auf 15 Stile und 15 Themen einlassen.
15 Mal werden sie in eine Welt katapultiert, die unserer ähnlich, aber doch so ganz anders ist.
Man rauscht dabei nicht durch die Seiten, denn diese Geschichten berühren beim Lesen anders, als es reine Unterhaltungsliteratur tut. Die Texte rühren tiefer, denn auch die Themen regen mehr zum Nachdenken an. Oft wird die Science Fiction als das Genre, wenn man es so nennen will, verstanden, dass den Lesenden den Spiegel verhält. Wenn ihr jetzt nichts tut, passiert in zehn oder zwanzig Jahren diese oder jene Geschichte. 
Die Themengebiete, die die beiden Herausgeberinnen in der internationalen SF gesammelt haben, sind vielfältig. Während sich in Deutschland viele Texte mit KI oder anderer Technik beschäftigen, haben es die beiden geschafft, eine Sammlung zusammenzutragen, die nicht nur die technische Seite der Zukunft beleuchtet. Viele Erzählungen beschäftigen sich damit, was die Zukunft, die Technik, der Klimawandel oder auch die Verlangsamung des Altersprozesses mit uns Menschen macht.
Wie reagieren wir, wenn wir nach Jahren der Suche einen neuen Planeten entdecken? Was passiert, wenn es keine Sonne gibt und man sich im Kleinen organisieren muss?
Wird es uns überhaupt noch geben oder sind wir verschwunden? Oder wenn wir noch da sind, wie stellen wir uns dem Tod und dem damit einhergehenden Leid?
Yvonne und Chris schaffen es mit einer sehr guten Mischung und der entsprechenden Platzierung der Geschichten innerhalb des Buches, die Lesenden zum Nachdenken anzuregen, sie mit Problemen zu konfrontieren und so vielleicht die Augen für die Zukunft zu öffnen. Doch bei jedem dystopischen Gedanken gibt es auch den utopischen und auch wenn es oftmals zum Verzweifeln ist, die Hoffnung auf das Gute darf niemals fehlen, auch nicht in einer guten Anthologie.

5 von 5 Körpern

Danke an die Herausgeberinnen für das Rezensionsexemplar.