Samstag, 30. April 2022

Christian Hoffmeister "Google unser"

Die Götter der Vergangenheit haben ausgedient. Es gelten die neuen Mystizismen der Gottheiten: Amazon, Apple, Facebook und Google. 
Doch sie sind nicht allein im Olymp der modernen Gottheiten. Es gesellen sich seit Jahren immer mehr Silicon Valley Firmen am Firmament der Datensammler und noch nie waren die Menschen so bereitwillig ihre Daten ihren Gottheiten zu überlassen.
Sicherlich ist der Vergleich von Religion und moderner Informationskultur oder gar eine Gleichsetzung eine gewagte Ausgangsthese, aber der Autor kratzt hier nicht nur an der Oberfläche, sondern auf knapp 250 Seiten werden Thesen entwickelt und Zusammenhänge hergestellt, die einem als kritischer Techniknutzer vielleicht schon einmal an der Schwelle des Bewusstseins gekratzt haben, die man aber auf Grund des Wunsches der Nutzung einfach unterdrückt hat.
Man braucht diese Firmen im Alltäglichen nicht, aber sie machen das Leben leichter und das machen sie sich vielfältig zu Nutzen. Daten sammeln hier, Werbung streuen dort, selektive Informationen zusammenstellen bei einer bestimmten Eingabe, denn:
Der Leser ist heutzutage oftmals faul. Er will sich nicht durch alle Informationen wühlen. Er will sie schön aufbereitet in Sekundenschnelle vor sich haben. (Hier widerspricht zwar der Gedanke der Gottheit, da man selbst der Gottheit dienen sollte, aber sei es drum.) Man will bewusst eine Selektion und wundert sich aber dann, wenn die Selektion "bezahlt" ist.
Viele Ungereimtheiten und vermeintlichen Dienste am Nutzer werden entmystifiziert und beim Leser bleibt mehr und mehr ein schaler Geschmack zurück.
So wahr viele Einstellungen des Buches sind, so hat es mich seitenweise Kraft gekostet, es zu Ende zu lesen, der Vergleich mit der Religion im Allgemeinen und mit ihrer Wirkungsweise im Speziellen zieht sich oft seitenweise durch das Buch und verzerrt den für mich gewünschten Schwerpunkt des Buches. Sicherlich wird auf die Marktposition der "Big 4" eingegangen, doch war der religiöse Anteil für mich zu umfangreich.

3 von 5 Suchmaschinen

Montag, 25. April 2022

Marc Meller "Stadt des Zorns"

Neun Monate sind seit dem letzten "Experiment" vergangen und trotzdem nagen die Ereignisse jeden Tag an Hannah. Als ihre Schwester sich entschließt, ihr etwas Gutes zu tun und sie zu sich nach Köln einlädt, ist ihr nicht klar, dass sie damit eine neue Runde für Janus einläutet. Kaum in Köln angekommen, steht die Stadt Kopf und Hannah befindet sich wieder in der Gewalt von Janus.
So schnell sich eine Form von Anacharie in der Stadt ausbreitet und damit die Polizeiarbeit bündelt, so schnell sie die Spieler in der Kanalisation zusammengekommen, denn Janus zwingt seine Helfer wieder mitzuspielen und sich seinen Regeln zu beugen. Wer und vor allem, wie viele werden dieses Mal überleben?

Ein anderer Ort, dieses Mal wesentlich größer als im ersten Band, bietet Janus eine Vielzahl an Möglichkeiten. Wieder bis ins Kleinste durchgeplant, wird der Leser durch die Seiten gepeitscht, denn zum einen erlebt man, wie Hannah wieder in den Sog von Janus gerät und zum anderen will Kommissar Kappler sein Versprechen einlösen und Hannah beschützen. Doch wie, wenn er in einem anderen Bundesland keine Befugnisse hat?
Im fortwährenden Wechsel werden beide Handlungsstränge erzählt, was dem Buch, wie schon im ersten Band, ein gehöriges Tempo vorgibt.
Der Leser leidet mit Hannah und schüttelt den Kopf über die Bürokratie, der sich Kappler gegenübersieht. Denn obwohl er Janus kennt, soll er in Köln nichts entscheiden.
In diesem Band werden in meinen Augen viel mehr Missstände aufgegriffen, als es noch im ersten Band der Fall war. Umweltschutz, Datenklau, Manipulation, alles das spielt in diesem Band eine große Rolle, da Janus persönliche Note bereits im ersten Band thematisiert wurde.
Doch diesen zweiten Band kann man nicht ohne den ersten lesen, da Janus Handlungen auf Entwicklungen im ersten Band zurückgreifen.
Obwohl es ein zweiter Band ist, ist er durch das geänderte Setting und die Beweggründe sehr eigenständig und in keinerweise ein Abklatsch vom ersten Band. Langeweile kommt beim Lesen auch dann nicht auf, wenn man schon erahnt, worauf es hinauslaufen soll.
Ein spannender zweiter Teil, der einen Blick "hinter die Kulissen" gewährt.

4 von 5 Entscheidungen

Sonntag, 24. April 2022

Detlef Klewer "Horror Musica Daemonica"

Neben Sehen, Riechen, Fühlen und Schmecken ist das Hören einer unserer wichtigsten Sinne.
Doch was, wenn das Hören beeinflusst wird, durch Laute und Geräusche, die wir unterschwellig wahrnehmen?
Wenn uns diese zwar verstören, wir diese aber nicht abschalten können und ihnen ausgeliefert sind?
Wenn sich Mächte unserer bedienen, die wir am liebsten ausschließen würden, wenn wir es denn nur könnten?
Mit siebzehn Autoren macht sich der Herausgeber Detlef Klewer auf eine musikalische Reise, die den Leser zeitweise berührt, im nächsten Moment an den Rande des Wahnsinns bringt, um ihn dann an seiner eigenen Auffassungsgabe zweifeln zu lassen.
Glänzen die ersten Geschichten durch ihre Raffinesse und mit ihrer Hommage an bekannte Klassiker, jagen die nächsten Geschichten dem Leser einen Schauer durch den Körper, wenn es ersichtlich wird, wozu Dämonen den Menschen trieben können, wenn die Menschen ihre musikalischen Ziele verfolgen. Kein Preis ist zu hoch, um als nächster Paganini oder ähnlicher Superstar zu brillieren.
Die Geschichten unterscheiden sich in ihrer Gestaltung als Erzählungen, Sagen oder Kriminalfälle und ziehen damit den Leser jede auf ihre Art in den dunklen Abgrund hinter der Musik.
Das Orchester erhebt sich zum Spiel.
Einem Spiel, dem der Leser entgehen kann, nicht aber die Protagonisten, die sich in der "Horror Musica Daemonica" verlieren. 
Schürt das Licht!
Verschließt eure Ohren!
Lauscht nicht auf die sanften Töne!
Sie ziehen euch in den Abgrund!

4 von 5 Teufelssonaten

Donnerstag, 21. April 2022

Jessica Müller "Tod in der Glaskugel"

"Ich sehe was, was du nicht siehst."
Doch das Wesentliche sieht das Medium Madame Blanche nicht: ihren eigenen Tod.
Mitten auf dem Friedhof Highgate wird das stadtbekannte Medium gefunden. Eine natürliche Todesursache nahezu ausgeschlossen.
Doch wer wollte Madame Blanche etwas Böses, die Dame, die der Londoner Society über ihren Schmerz hinweghalf, da sie ein letztes Gespräch mit den Toten vermitteln konnte?
Doch bald schon ergeben sich Zweifel, wie Madame an ihre Informationen zu gelangen pflegte und die Schar der Verdächtigen wächst zunehmend an. Basil Stockworth hat somit kaum Zeit für seine Charlotte. So begibt Charlotte sich selbst in die Gesellschaft von Damen, mit denen sie zukünftig verkehren wird. Doch wird ihr diese Beschäftigung auf Dauer ausreichen?

Jessica Müllers zweiter Band, ebenfalls im Jahr 1865 ansiedelt, schließt nahezu an den ersten Band an, daher empfielt es sich, den ersten Band gelesen zu haben. Das Buch ist eine gelungene Mischung aus detektivischen Ermittlungen, Societyklatsch und realistischen Beschreibungen der Stadt London zu dieser Zeit. Viele Handlungsstränge und Personen aus dem ersten Band werden hier aufgegriffen und weitererzählt, sodass der Leser die Figuren immer besser kennenlernt.
Der Fall bietet mit seinen vielfältigen Verdächtigen einen garantieren Rätselspaß, da man als Leser, im Gegensatz zu anderen Büchern, beim konzentrierten Lesen selbst die Lösung des Falls ermitteln kann.
Ein gelungener Krimi, der die Atmosphäre der Zeit einfängt und zugleich einen Ausblick auf die folgende Entwicklung der Figuren gibt.

4 von 5 Glaskugeln

Sonntag, 17. April 2022

Bettina M. Pause "Alles Geruchssache"

"Ich kann dich nicht riechen!"
Den Gedanken hatte doch jeder schon einmal, oder? Allerdings hängt an der Aussage vielmehr Wahrheit, als man es im ersten Moment vermuten würde. Denn, der Riechsinn ist von den Menschen in den letzten Jahrzehnten stiefmütterlich vernachlässigt worden. Als Mensch ist man kein "Riechwesen", man hört, man sieht, man interpretiert. Deswegen ist der "Schnüffler" auch so unbeliebt.
Mit diesen und ähnlichen Aussagen steigt die Autorin in ihr Forschungsgebiet ein. Was riecht man, wann riecht man, warum ist auch heutzutage das Riechen oftmals wichtiger als das Sehen und das Hören?
Vorweg gesagt, vieles läuft beim Riechen unterbewusst ab, nimmt man einen Geruch aktiv war, hat man vorher schon unterbewusst eine Vielzahl von Gerüchen wahrgenommen, es aber nicht bemerkt. Als Zugang zu den Gefühlen und somit auch zu den Erinnerungen gibt es nichts, was wichtiger ist, als das Riechen. Daher: Nase auf und Nase ins Buch.
Die Schwierigkeit, die sich bei Sachbüchern für mich immer ergibt, ist die Informationsdichte. Wieviel Informationen versucht das Sachbuch auf der begrenzten Seitenanzahl an den Leser zu bringen? Wieviel wird beim Lesen als bekannt vorausgesetzt? Wie ist die Ausdrucksweise?
Für mich ist dieses Sachbuch eines der besten, die ich jemals gelesen habe. Es erklärt anschaulich, was ich im Alltag schon oft erlebt habe, dass Gerüche mich sehr beeinflussen. Viele in meinem Umfeld nehmen diese Gerüche nicht so stark war und das Buch hält auf viele meiner Fragen eine Antwort bereit. 
Doch es ist auch so, dass dieses Sachbuch, um sich mit empirischen Daten zu rechtfertigen, teilweise wie ein Lehrbuch auftritt und man als Laie am Ball bleiben muss, damit man alle Aspekte rund ums Riechen kennenlernt. Wie man es besser machen könnte, bleibt auch mir ein Rätsel, da man in der Wissenschaft die Nachweise anführen muss. Vielleicht sollte man als interessierter Leser diese Passagen einfach überblättern, dann ist das Buch in seinem Unterhaltungs- und Lernaspekt besser. 
Wenn man sich für Psychologie, Empathie, den Menschen und sein Sozialgefüge ansich interessiert, dann sei dieses Buch wärmstens empfohlen.

4,5 von 5 Gerüchen

Samstag, 16. April 2022

Andreas Gruber "Apocalypse Marseille - 13 utopische Geschichten"

Da hat es doch ein paar Wochen gedauert, bis die nächste Anthologie sich auf dem Ebook-Reader vorgedrängelt hat und was soll ich sagen? Wenn mich schon die erste Anthologie angenehm überrascht hat, frage ich mich, wie eine weitere noch besser sein soll als diese.
Versteht mich nicht falsch, dieses Buch ist keineswegs ein Buch, von dem der Leser sagen kann, es hat mir gefallen, es war toll. Dieses Buch bringt den Leser zeitweilig beim Lesen an seine Grenzen, denn wie das Thema "Utopie" schon andeutet, es geht zeitweilig um das nackte Überleben und da sind der Handlung keine Grenzen gesetzt.
Die Geschichten setzen sich im Kopf fest, Bilder entstehen, wo man Szenerien nur angedeutet werden, es entspinnt sich ein Kopfkino, das den Leser kaum loslässt. Eine wahre Kunst.
In den 13 Geschichten reist der Leser allerdings nicht nur in die Zukunft, wie es bei dem Thema Utopie den Anschein haben könnte, nein, der Autor bedient sich auch der Zeitreisen (z.B. Untergang der Titanic), um den Leser in eine andere Welt zu entführen.
Mal kurz und knackig, mal über viele Seiten werden hier Geschichten ersonnen, die sich der Autor nicht nur ausgedacht, sondern die den Leser auch zum Nachdenken anregen sollen. 
Was würde man selbst an der Stelle des Protagonisten tun und was erwarten wir selbst von unserer Zukunft?
Wie ich auch schon bei der ersten Rezension meinte, es ist nahezu erstaunlich, wie derselbe Autor so unterschiedliche Geschichten schreiben und mit einem einzigen Thema so gut unterhalten kann.
Wieder werden die Geschichten mit kleinen Texten über die Entstehung der Geschichte eingeleitet und das abschließende Verzeichnung gibt dem Leser direkt weitere Lesetipps an die Hand.
Fünf weitere Anthologien warten noch auf dem Ebook-Reader und eins sei abschließend gesagt:
Für zarte Nerven sind diese Geschichten nichts.

5 von 5 Anthologien

Sonntag, 10. April 2022

Emmi Johannsen "Mordseeluft"

So beschaulich das Inselleben oftmals sein kann, desto gruseliger können auch die Todesarten sein. Denn kaum hat sich Caro zur Mutter-Kind-Kur nach Borkum begeben, wird der Chef der Kurklinik, Doktor Schäfer, von ihr tot in der Strandsauna entdeckt. Der Anblick nach der nächtlichen Sauna-Session erinnert an einen Grill und die erste Euphorie des Strandspaziergangs ist erstmal dahin. Schnell sieht es so aus, als ob der regelmäßige Saunagänger sich mit dem Aufguss verschätzt hat, doch war der Doktor auch ein Schürzenjäger. Unfall? Mord?
Die Polizei ist gedanklich bei einem Unfall, doch Caro, die für ihren Ex-Mann ihre Fühler in Richtung Detektivarbeit ausgestreckt hat, hört in der Klinik den einen oder anderen Kommentar, der sie zweifeln lässt. Als sie überall den Mann mit der grünen Mütze sieht, ist ihre Neugier endgültig geweckt und neben Walking, Therapiestunden und Kaffee trinken mit ihrem Schwiegervater beginnt sie die Frauen in der Klinik zu befragen und kleine Geheimnisse aufzudecken.
Auf charmante und humorvolle Art startet eine bekannte Autorin mit der Reihe um Caro Falk in ein neues Genre. Ein Inselkrimi gemischt mit cosy crime Elementen und dazu eine gehörige Portion Gesellschaftskritik. Was sich im ersten Moment wie ein Potpourri anhört, ergibt sich in dem Krimi aber aus der Situation heraus. In der Klinik trifft der Leser hauptsächlich auf Mütter, die aus verschiedenen Gründen zu dem Kindsvater ein schlechtes Verhältnis haben, was man dem Buch vielfach anmerkt. Kritik über Kindererziehung und die Gesellschaft ansich liegen hier nahe, auch wenn sie eher einen Nebenschauplatz zur eigentlichen Handlung darstellen. 
Die Figuren stehen oftmals für Stereotypen und wirken dadurch ein wenig überzeichnet, aber jede Figur hat in dem Buch ihre Aufgabe und somit setzt sich auch dieses Puzzle dem aufmerksamen Leser zum Schluss zusammen.
Die Sprache ist zeitweilig ein wenig derb gehalten, aber auch dies passt sich in die Geschichte ein,
Miss Marple auf Borkum. Schiff ahoi.

4 von 5 Möwen

Samstag, 9. April 2022

E.T.A. Hoffmann "Das Fräulein von Scuderi"

Klassiker lesen ist immer so eine Sache. Wie bewertet man ein Buch oder in diesem Fall eine Novelle, die  sprachlich so von unserer heutigen Zeit abweicht, dass man dazu nur schwierig Zugang findet? Wenn das Lesen eher eine Anstrengung ist als ein Vergnügen.
Lesen ist für mich allerdings nicht immer nur pure Unterhaltung, somit dienen mir Klassiker oft dazu, etwas über die Zeit zu lernen, in der sie geschrieben wurden.
Worum geht es hier eigentlich? 
Paris im Jahr 1680. Das Fräulein von Scuderi ist bereits bei Jahren und hat sich beim König eine bemerkenswerte Position erarbeitet. Er achtet sie und ihre Meinung und lässt sich von ihr beeinflussen.
Als es in Paris zu mehr und mehr tödlichen Überfällen kommt, gerät ein junger Mann ins Visier, nur weil er zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen sein soll. Das Fräulein soll sich seine Klage anhören, denn nur ihr will der junge Mann Vertrauen schenken. Doch ist dies nur ein Trick und was hat der nächtliche Übergriff auf ihr Haus damit zu tun?
Mit ihren kriminalistischen Zügen wird diese Geschichte als Vorreiter der Detektivgeschichten der folgenden Jahrzehnte bezeichnet. Auf knapp 100 Seiten wird dem Leser ein Fall dargelegt, der die meisten Elemente in sich vereint, die man hinterher bei Poe, Doyle, Christie und anderen Kriminalautoren antrifft. Allerdings kann ich diese Novelle trotz der entsprechenden Geschichte nicht als "Urform" des Detektivromans ansehen, da für mich wesentliche Detektivelemente fehlen.
Trotzdem ist es ein lehrreiches Buch, dass über die Zeit in Paris Aufschluss gibt und selbst in der heutigen Psychologie ist das Cardillac-Syndrom, welches auf dieser Novelle basiert, immer noch ein Fachbegriff, den ich in dieser Erzählung gelernt habe.

3,5 von 5 Schmuckkästchen 

Donnerstag, 7. April 2022

Petra Altmann "Stadtplan für ein gutes Leben"

Was ist ein erfülltes Leben?
Viel Abwechslung?
Viel Routine?
Was bedeutet es ein "gutes Leben" zu führen?
Die Autorin vergleicht in ihrem Buch das Leben mit einer Stadt. Es gibt in einer Stadt die verschiedensten Bereiche, die auch alle unterschiedlich "arbeitsintensiv" sind. Es gibt Bereiche, die bedürfen der täglichen Aufmerksamkeit und es gibt Bereiche, die werden von Zeit zu Zeit zu Baustellen, da hier Dinge verändert werden müssen. Der Umfang der Baustelle liegt natürlich bei der jeder individuellen Person und es ist auch nicht gesagt, wie oft ein Mensch im Laufe seines Lebens Baustellen eröffnen muss. Wichtig ist dabei allerdings, dass andauernde Unzufriedenheit ein maßgeblicher Indikator dafür ist, dass man im Leben etwas ändern sollte.
Oftmals wird das Leben mit einer Reise verglichen, deswegen hat mich dieses Buch als Ansatz interessiert. Das eigene Leben als Hauptstraße zu sehen, an der die verschiedenen Gebäude mit ihren unterschiedlichen Aufgaben stehen, ist ein Ansatz, den man noch nicht so oft gehört hat.
Viele Aspekte, die in den Gebäuden zum Tragen kommen, sind allerdings bekannt.
Man soll sein Leben leben und sich von anderen nur zum Guten beeinflussen lassen, man soll Neues erkunden, damit man wächst und neugierig bleibt.
Viele eigene Ressourcen schöpft man als individuelle Person gar nicht im vollen Umfang aus, da man im Alltag keine Zeit hat, diese Ressourcen zu entdecken.
Neue Menschen können da hilfreich sein und ein neues Lebensgefühl entstehen lassen.
Wer sich schon mal mit im erweiterten Sinne "Lebensratgebern" beschäftigt hat, wird einige der alten Weisheiten wiederfinden, allerdings werden auch einige Wahrheiten angesprochen, die sonst nicht alltäglich sind. Einige religiöse Ideen und Aspekte kommen auch kurzzeitig zur Sprache, sie nehmen allerdings keinen allzu großen Raum ein.
Das Buch kann eine Orientierungshilfe sein. Sie kann die täglichen Probleme ins rechte Licht rücken und kommt dabei ohne den erhobenen Zeigefinger aus.

4 von 5 Stadtplänen

Klabund "Die Krankheit"

Davos, der Ort für die Liegekur. 
Ob Deutsche, Russen, vereinzelt Franzosen und Italiener, alle strömen sie nach Davos, um sich von ihren Leiden kurieren zu lassen. Doch ist es längst nicht gesagt, dass man sich hier erholt. 
Denn einige Krankheiten lassen sich nicht kurieren und der Tod klopft nahezu täglich an eines Gastes Tür. 

Wer bereits "Der Zauberberg" von Thomas Mann gelesen, der darf von diesem kurzen Werk nichts Neues erwarten. Die Geschichten ähneln sich, der einzige wesentliche Unterschied betrifft die Länge des Buches. Kommt diese hier mit unter 100 Seiten daher, ist der Roman von Thomas Mann je nach Ausgabe um die 1000 Seiten lang.
Wie schon der Titel hergibt, dreht sich in Davos alles um "die Krankheit". Man labt sich an ihr und das tägliche Liegen und Husten, nimmt den größten Teil der Zeit ein. Mal eine Kutschfahrt, mal eine Abendgesellschaft, aber grundsätzlich geht es um das Kultivieren der Krankheit. 
Um einen Eindruck vom Leben mit der Krankheit zu erhalten, sei es den Lesern ans Herz gelegt, die sich nicht an Thomas Mann wagen. Man bekommt trotz der Kürze einen recht passablen Eindruck der Szenerie.
Für Leser von Thomas Mann sei gesagt, obwohl Klabund darauf bestand etwas einiges im Gegensatz zu Thomas Mann zu schaffen, ist ihm das in meinen Augen nicht gelungen. Daher kann man das Buch in meinen Augen lesen, man muss es aber nicht.

3 von 5 Liegen

Mittwoch, 6. April 2022

Verena Schindler "Evas Spiel"

Ein Schuss. Die Schauspielerin fällt zu Boden. Das Stück ist zu Ende. Das Publikum applaudiert. Alle Schauspieler verneigen sich, nur die Schauspielerin steht nicht mehr auf.
War es ein Unfall? War es Mord?
Alle rennen verschreckt durcheinander und keiner ahnt, was sich vor den Augen des Publikums abgespielt hat.
Eva ist eine junge Theaterschauspielerin, die es durch harte Arbeit ganz nach oben schaffen will.
Viktor, ein namenhafter Regisseur, hat bereits mehrere Aufführungen mit ihr umgesetzt und fordert von ihr alles, was ein Schauspieler geben kann. Doch wie weit muss Eva sich verausgaben, um ihrem Traum nahezukommen?
Die Geschichte wird wechselweise laufend ab der Vorstellung und in Rückblenden erzählt. Ein Schauspiel, was in vielerlei Hinsicht dem Kriminalroman entlehnt ist und doch einen ganz anderen Schwerpunkt legt.
Wann verliert sich ein Künstler in seiner Arbeit? Wann ist man nicht mehr man selbst, weil man immer wieder jemand anders darstellen muss?
Die Geschichte kommt mit vielen Fragen und den unterschiedlichsten Lösungen daher, denn jeder Mensch ist anders und anders belastbar, was Eva noch erträgt, kann Johannes kaum mitansehen.
Das Buch hat eine sehr intensive psychologische Seite, die von Abhängigkeiten und Selbstzweifeln erzählt, was dem Buch eine unglaubliche Tiefe gibt.
Das Ende ist irgendwann zwangsläufig absehbar, aber warum es dazukam, lässt eine Gänsehaut zurück.

5 von 5 Inszenierungen

Heiko Hentschel "Wir kaufen nichts!"

Der Teufel hat viele Gestalten, wenn es ihm vergönnt ist, auf der Erde zu wandeln. Doch sein Geschick die Seelen einzusammeln, wird von Mal zu Mal getrübt. Nicht alle Menschen treten ihm nicht allein entgegen, so kommt es, dass er ausspioniert und boykottiert wird, denn selbst wenn seine Geige ihm den Weg weist, kann er gegen die Monster nicht allein bestehen. Vor allem, wenn sie das Licht löschen.
Eingebettet in das Jahr 1813, es ist die Zeit der Rauhnächte, kommt diese Kurzgeschichte mit vielen fantastischen Wesen und Begebenheiten daher. Die Geschichte richtet sich vornehmlich an junge Erwachsene und bildet den Übergang zwischen dem zweiten und dritten Band der "Glas-Trilogie".
Sicherlich kann man solche Intermezzi auch ohne die eigentliche Trilogie lesen, doch ist es schon so, dass die Geschichte dadurch ein wenig blass erscheint, weil sich viele Fragen aufwerfen, die man als Leser nicht hätte, hätte man die anderen Bände schon gelesen.
Doch ist es bedingt durch die Kürze für mich als Leser interessant zu sehen, wie schnell sich eine völlig fremde Welt durch einen guten Schreibstil im Kopf erschaffen und nachvollziehen lässt. 
Der Autor führt verschiedenste Elemente aus Sagen, Mythen und fernen Geschichten zusammen, um daraus seine eigene Welt zu kreieren. Dabei bleiben die Gestalten ihrer ursprünglichen Form treu und erhalten hier eine andere Umgebung und somit ein neues literarisches Zuhause.
Wenn ich die Liebe zur Gestaltung der Trilogie betrachte, denke ich allerdings, dass die Reihe für das Bücherregal einziehen wird und nicht als E-Book daherkommen darf. 

4 von 5 Rauhnächten

Dienstag, 5. April 2022

Marie-Sabine Roger "Ein Himmel voller Sterne"

Was hätte Merlin mit seinem Namen anderes werden können als Comiczeichner? Naja, vielleicht noch Disney-Darsteller, was er selbst einmal in einem Nebensatz andeutet.
Schöner könnte sein Leben zur Zeit gar nicht sein, ohne wirklich zu suchen, hat er seine Traumfrau gefunden, sie haben sich zusammen für einen Bauernhof entschieden, seine Comics verkaufen sich gut.
Doch dann stirbt weit vor seiner Zeit sein Freund Laurent, der als Vorlage für seine Comics diente und Merlin wird der Boden unter den Füßen weggerissen. Nicht nur, dass er mit der Trauer nicht zurecht kommt, Laurent hat ihm einen Brief hinterlassen und Merlin um etwas gebeten, was Merlin nicht zu erfüllen weiß. Was ist Merlin letztlich wichtiger, sein eigenes Leben oder der Wunsch seines verstorbenen Freundes?
Vorweggenommen: So traurig wie sich die Geschichte im ersten Moment anhört, ist sie nicht. Sicherlich ist Trauer ein zentrales Thema in dem Buch. Es geht um den Tod, darum, was es mit den Hinterbliebenen macht und auch darum, wie man sein Leben gestalten soll, wenn ein geliebter Mensch stirbt. 
Doch das ist längst nicht alles, denn wo der Tod ist, ist auch das Leben und das hat in diesem Buch etwas sehr Lebensjahendes. Denn während Merlin versucht mit dem Schmerz zu überleben, leben die Menschen um ihn herum weiter. Ein Mensch verliebt sich, seine Frau gräbt den Garten um, seine Freunde laden ihn zum Essen ein. Jeder trauert auf seine Weise, aber keiner sollte sich von der Trauer auffressen lassen und das liest man immer wieder zwischen den Zeilen. Das Buch macht dahingehend Mut, dass man in seinem Rhythmus das Ende der Trauer erreichen kann, wenn man es nur will.
Um den Leser nicht nur mit Trauer zu konfrontieren, hat die Autorin für Merlin eine sehr bildhafte Sprache entwickelt. In den, teilweise unmöglichsten, Situationen stellt er sich eine reale Szene als Comicstrip vor, skizziert sie in seinem Gedächtnis und nimmt somit vielerlei die Schärfe der Traurigkeit heraus, ohne dabei ins Lächerliche oder Geschmacklose abzurutschen.
Ein wunderschönes Buch, das einem zeigt, dass selbst hinter tintenschwarzen Wolken immer noch "Ein Himmel voller Sterne" darauf wartet, entdeckt zu werden. Welch famoses Versprechen.

5 von 5 Sternschnuppen

Gitta Edelmann "MacTavish & Scott - Gefährliche Lügen"

So gut es in der Detektei auch läuft, als Finola für eine aktuelle Ermittlung nach Glasgow und somit in ihre Vergangenheit muss, bekommt die schöne neue Welt in Edinburgh Risse. Denn sie war nicht umsonst aus Glasgow weggegangen, selbst nach Jahren kommen die Erinnerung mehr als schmerzlich zu Tage. Doch es bringt sie auch Anne näher, sodass die beiden sich nicht nur als Partner der Detektei sehen.
Auch in dieser Folge geht es um zwei Aufträge, die die beiden erst einzeln und später auch zusammen versuchen zum Abschluss zu bringen. Beide sind auf jeweils ihre Weise tragisch.
Die inzwischen fünfte Folge aus der Cosy crime Serie ist in meinen Augen die bisher traurigste. Sie zeigt dem Leser an verschiedenen Schauplätzen, wie andere Menschen unser Leben zum Guten oder zum Schlechten beeinflussen können und woran man als Mensch wächst.
Interessant finde ich bei der Serie, dass jede Folge trotz ähnlicher Aufmachung immer eine etwas andere Stimmung hat. Manch eine Folge ist ein wenig lustiger gehalten, diese ist ein wenig ernster. Durch die Rahmenhandlung in Edinburgh und den Außeneinsätzen hat man zum einen wiederkehrende Elemente aber auch frische Einflüsse, wodurch Wiedererkennungseffekt und Neugier zusammengeführt werden.
Eine schöne Serie, auf die ich immer gerne zurückkomme.

4 von 5 Lügen

Montag, 4. April 2022

Kirsten Boie "Das Lesen und ich"

Eine Streitschrift für das Lesen.
Lesen wird oftmals mit dem Lesen von Büchern gleichgesetzt, was natürlich nicht grundsätzlich falsch ist, aber Lesen umfasst soviel mehr.
Es ist essenziell, um den Alltag zu bestreiten.
Ohne Lesen gibt es kaum einen Job, man kann seine Steuerklärung nicht machen oder Anträge ausfüllen. Man ist abhängig, denn man kann nicht lesen.
Dabei ist das Lesen etwas, dass der Kopf üben muss, hat er es allerdings einmal gelernt, ist es wie Fahrrad fahren. Selbst wenn man nie mehr einen Roman liest, so verlernt man allerdings nicht das Lesen.
Soweit die Kernaussage von Frau Boie und das Schlimme, wir reden hier von keiner kleinen Zahl:
1 von 5 Kindern kann laut Studien nach der vierten Klasse nicht lesen. 
Wo bleibt der Aufschrei?
Lesen ist als Hobby, als Beschäftigung, als Bildungsmöglichkeit sei hier hintenan gestellt, es geht um die grundsätzliche Fähigkeit. Ich bin erschüttert. So eine hohe Zahl habe ich nicht erwartet.
Sicher zählt die Autorin viele Gründe für das Lesen von Büchern auf, aber diese Zahl lässt mich wirklich sprachlos zurück.
Das Buch kommt klein daher, aber es ist wichtig. Für alle.

4 von 5 Streitschriften

Clemens Bruno Gatzmaga "Jacob träumt nicht mehr"

Höher, schneller, weiter.
70 Stunden-Wochen sind für Jacob in der Agentur nichts besonderes. Als Teamleiter muss er mit gutem Beispiel vorangehen und seinem Team immer zur Verfügung stehen. 
Privatleben?
Urlaub?
Entspannung?
Warum? Es gibt doch den Job und den dazugehörigen Rausch des Erfolges. 
Doch eines Tages wird ein neuer Pitch an Land gezogen. Einer, der ihn in die nächsthöheren Sphären bringen könnte, doch sein Selbstbewusstsein scheint wie weggeblasen. Warum sitzt genau bei diesem Pitch der CEO dabei, warum wird er von allen begutachtet? Schafft er die Präsentation ohne weiteren Aussetzer?
Effektivität, Produktivität, eins sein mit dem Unternehmen, alles andere ausblenden. Was der Autor hier beschreibt, könnte der eine oder andere aus seinem Berufsalltag kennen. 
Immer mehr zu tun, dabei aber dieses zwanghafte "Dein Chef ist dein Freund, du kannst mit ihm über alles reden" und als Krönung Achtsamkeitsseminare am Wochenende. Der Autor führt den Leser immer weiter in die Spirale, die für viele Menschen letztlich dazuführt, dass ihnen alles zuviel wird.
Dabei gestaltet er Jacob genauso, wie man es von einem engagierten Mitarbeiter erwarten würde und welcher für sich selbst lange nicht merkt, dass es ihm letztlich zuviel wird.
Das Buch stimmt mit seiner Aussage nachdenklich, denn zunehmendes "Denglisch", Corporate Identidy und Änderungen in der alltäglichen Arbeit führen immer mehr dazu, dass man sich von seinem eigentlichen Arbeitsbereich entfremdet und am Ende des Tages überlegt, "Was habe ich heute getan?".
Doch was muss passieren, damit man genau bei diesem Punkt ankommt? Bei Jacob ist es der Moment, in dem er nicht mehr träumt...

4 von 5 Träumen

Sonntag, 3. April 2022

M. W. Ludwig "Der Earl von Gaudibert"

Was soll ich sagen? Ich glaube, ich hätte das Buch zu keinem besseren Zeitpunkt lesen können. Warum? Weil diese kleine Novelle so ziemlich alles in sich vereint, was ich an einer guten Geschichte schätze, aber der Reihe nach:
Graham McPherson, seines Zeichens englischer Gentleman, liebt es von seinen Reisen zu erzählen. Speziell von den Reisen zum ... Mond. Ja, McPherson erzählt mitten in seinem Club im Jahr 1895, wie er zu seinem "Adelstitel" gekommen ist. Denn er einen Krater auf dem Mond vor einer feindlichen Übernahme beschützt. Die meisten hängen an seinen Lippen, nur einer spricht aus, was sich die anderen vielleicht hinter vorgehaltener Hand fragen; wo sind die Beweise?
Schnell wird eine Wette ins Leben gerufen und nun heißt es, wie kommt man schnellstmöglich zum Mond?
Was habe ich gelacht. Nicht gelächelt. Gelacht...
Dazu muss ich vorweg sagen, das Buch und sein Witz funktionieren nur, wenn man sich bereits mit viktorianischer Literatur befasst hat und wenn man geneigt ist, Bücher zu lesen, die Querverweisen und manchen Augenzwinkern punkten. 
Die Geschichte lebt vielfach durch ihren Wortwitz, der natürlich total verpufft, wenn man die klassischen Werke nicht kennt und vor allem schätzt, denn "lustig" macht sich der Autor in keiner Weise über die klassischen Werke, sondern sie bieten die Grundlage für seine eigene Geschichte und seine teilweise abenteuerlichen Interpretationen.
Die Geschichte ist flüssig erzählt und steht den viktorianischen Erzählungen in nichts nach. Die Aussicht, dass die Geschichte bereits weitererzählt wurde, verführt meinen SuB zwar zur panischen Schnappatmung, aber man kann nicht auf alles Rücksicht nehmen.
Danke an den Spender dieses Büchleins... Du weißt, was das bedeutet. ;-)

5 von 5 Wetten

literaturgebiet.ruhr "Wie weiter?"

"Wo kommst du her?"
"Öhm..."
Viele Ruhrgebietler lieben genau diese Frage. Denn auch wenn die Zechen nach und nach geschlossen wurden, man inzwischen etwas draußen sehen und die Wäsche ebenfalls draußen trocknen kann, wird man oftmals mit einem traurigen Lächeln bedacht, wenn man über seine Herkunft redet. Doch wie sieht sich die Literatur im Ruhrgebiet? Noch dazu in Zeiten von "Wir bleiben zuhause" und "1,5 Meter Abstand"?

25 Schreiberlinge haben in dieser Anthologie über das Ruhrgebiet gesprochen. Das Vergangene, das Gegenwärtige und das Zukünftige. Wie sind die Chancen? Hat der Kulturwandel in ihren Augen stattgefunden oder ist er im Ansatz steckengeblieben?

Kurzgeschichten, Gedichte, Comics; der Ausdrucksform und auch der Umsetzung waren keinerlei Vorgaben gesetzt und somit sind die 25 Werkstücke auch so unterschiedlich wie in kaum einer anderen Anthologie.

Gerade das macht es aber auch schwer die Anthologie zu bewerten, denn bei so unterschiedlichen Ausdrucksformen ist es unweigerlich so, dass dem Leser nicht alles gefallen kann. Ich bin kein Liebhaber von Gedichten und somit hat es diese Literaturgattung bei mir immer schwer. Wirklich gut gefallen haben mir die Comics und auch die meisten der Kurzgeschichten, wobei ich hier auch erstaunt war, wie unterschiedlich diese sowohl thematisch als auch in ihrer jeweiligen Länge waren.

Jeder Schreiberling hat eine eigene Wirklichkeit erschaffen, geprägt aus Erinnerungen, Glorifizierungen und manchmal auch ein bißchen Mystizismus, aber beim Schreiben muss man auch nicht immer bei der Realität bleiben, denn die kennen wir zur Genüge.

Ein Projekt, was zeigt, dass das Ruhrgebiet auch ein Schmelztiegel für Kultur ist und nicht nur durch sein "Willste was von der Bude?" besticht.

3,5 von 5 Zechen

Samstag, 2. April 2022

Katharina M. Mylius "Die Toten vom Magdalen College"

Während des berühmten Alumni-Diner am Magdalen College in Oxford bricht Jules McCann zusammen. Als die nächsten Sitznachbarn zu ihm stürzen, versucht er noch zu Atem zu kommen, allerdings kann ihm nichts mehr helfen und er verstirbt unter den Augen seiner ehemaligen Kommilitonen. Doch war es ein Unfall? Oder hatte jemand seine Finger im Spiel?
Inspector Heidi Green wird zum Tatort beordert, um sich ein Bild von der Lage zu machen, begleitet wird sie dabei von ihrem neuen Kollegen Frederick Collins. Schnell wird offensichtlich, dass Jules sich auf dem Weg zum obersten Posten der Stadt Oxford nicht bei allen beliebt gemacht hat und das nicht alles Gold ist, was glänzt. Als seine Freunde befragt werden, kommt zudem der Verdacht auf, dass diese Menschen etwas mehr verbindet, als ihre Freundschaft, etwas, das bereits vor Jahren geschehen sein muss.

Oxford. Stadt der Universitäten. Hier eine Krimiserie anzusiedeln, hat einen großen Reiz. Schon die Fernsehserien Inspektor Morse und im Anschluss Inspektor Lewis haben gezeigt, wie viele Morde in einem so schönen beschaulichen Städtchen stattfinden können. Denn, wo Universitäten sind, gibt es alles, was es für einen guten Krimi braucht: Machtstreben, Neid, Missgunst, Hass, Geld und Intrigen.
Der erste Band der Serie um die Ermittlerin Heidi Green führt den Leser hauptsächlich in das Uni-Leben und in die Politik ein. Ehemalige Studenten halten zusammen und überhaupt man kennt sich in diesen kleinen Städten und entweder liebt man sich, wenn vielleicht auch nur platonisch, oder man hasst sich. Der Krimi fängt alle diese verschiedenen Facetten ein, dabei zieht er den Leser mit dem Schlendern durch die Gassen in die Szenerie hinein und die geschichtlichen Fakten runden das Bild von Oxford vorbildlich ab.
Der Fall ist genauso, wie man ihn von klassischen Kriminalautoren, z.B. Agatha Christie, Arthur Conan Doyle oder John Bude, erwarten würde und es ist schön eine neue Serie entdeckt zu haben, bei der für mich als Leser alles stimmig ist. Gut, dass es bereits ein paar Fortsetzungen gibt und ich weiter durch die Gassen von Oxford schlendern kann.

5 von 5 Colleges 

Erich Kästner "Doktor Erich Kästners Lyrische Hausapotheke"

Hatschi...
Gesundheit...
Wohl eher nicht...
Denn natürlich handelt es bei Kästner um eine Hausapotheke, was bei mir gerade krankheitsbedingt auch wirklich passend ist, allerdings zielt seine lyrische Hausapotheke eher die moralischen oder seelischen Leiden ab.
Alles natürlich mit dem für Kästner bekannten Augenzwinkern. So kommt es auch nicht von ungefähr, dass Kästner zu seinen Gedichten auch eine Gebrauchsanweisung und einen Verwendungsnachweis an die Hand gibt, damit der Leser weiß, bei welchem Gebrechen er welches Gedicht zu konsumieren hat. Herrlich.
Mal witzig, mal trübsinnig, mal sentimental, Kästner hat für alle Stimmungen, Gemütslagen und Bedürfnisse das richtige Gedicht. Nicht zu hochgestochen, sondern so, dass auch der lyrisch nicht-versierte Leser etwas aus den Gedichten ziehen kann, sei es ein Lächeln oder ein zustimmender Seufzer.
Eine Sammlung, die in jeden Bücherschrank gehört, denn Sorgen hat man immer wieder einmal und dagegen bedarf es eines besonderen Buches.

5 von 5 Arzneien

Freitag, 1. April 2022

Klaus N. Frick "Wie künstlich ist Intelligenz?"

Künstliche Intelligenz oder auch KI ist eines der Themen, das sich in den letzten Jahren vermehrt in die Literatur geschlichen hat. Zwischen Realismus und Kopfschütteln war alles dabei und als Leser ist man geneigt zu sagen, entweder wird es verharmlost oder geradezu überspitzt, dazwischen gab es oftmals nicht viel.
Anders kommt diese Anthologie von Klaus N. Frick daher. Zu den neun ausgewählten Geschichten hat der Herausgeber Klaus N. Frick Reinhard Karger, Unternehmenssprecher des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz, mit ins Boot geholt, der das Nachwort zu dieser Anthologie verfasst hat.
Erzählerisch wie auch thematisch nähern sich die neun Autoren der Thematik "KI" von sehr unterschiedlichen Blickwinkeln, sodass der Leser einen vielfältigen Eindruck vom zukünftigen Nutzen der KI gewinnen kann.
Sei es beim Hausbau, im Gesundheitswesen, im Übergang zum Illegalen oder auch im "Zwischenmenschlichen", die Möglichkeiten des Einsatzes, aber auch die damit einhergehenden Probleme, werden in den Kurzgeschichten anschaulich dargelegt.
Für den Leser ist es angenehm, dass die Geschichten auch nicht belehrend mit dem erhobenen Zeigefinger daherkommen, sondern manche sind lustig, manche melancholisch, manche regen zum Nachdenken über den Einsatz von Technik an.
Aber allen Geschichten liegt zu Grunde, dass sie aus dem jetzigen Standpunkt der Technik nicht zu fantastisch oder unwahrscheinlich empfunden werden. Alle Autoren haben es geschafft eine Geschichte zu erzählen, wie sie in naher Zukunft passieren könnte, ohne das die Technik sich ein Bein ausreißen müsste, um die Qualität gewährleisten zu können.
Eine tolle Anthologie für Leser, die sich mit "realistischer" KI befassen möchten.

4,5 von 5 KIs