Dienstag, 22. März 2022

Herausgeberinterview Christoph Grimm

In der Welt der Literatur begegnen uns Lesern nicht nur die Autoren, sondern es gibt auch eine weitere Gruppe von Menschen, die sich um das Publizieren von Büchern bemühen.
Herausgeber.
Selbst auch mal als Schreiberlinge tätig, prangern sich oftmals auf dem Buchcover ohne vom Leser wirklich wahrgenommen zu werden. Geht es ihm doch eher um die Geschichten und die dafür verantwortlichen Autoren.
Einen Blick hinter die Kulissen und speziell zu der Arbeit an seiner neuesten Anthologie hat uns Christoph Grimm gewährt. Was er zu den Themen Auswahl, Anekdoten und Realismus zu erzählen hat, lest selbst:


Nach "Fast menschlich" und "Dunkle Rituale" folgt nun "Alien Contagium", wie wählst du die Themen für deine Anthologien?
Mein geschätzter Autorenfreund und Lektor Sven Haupt hat im Klappentext seiner Anthologie „Der endlose Kreis“ angegeben, dass der Zauber einer Kurzgeschichtensammlung darin zu finden ist, dass die Leser nie wissen, was sie im jeweils nächsten Kleinod erwartet.
Die große Stärke einer Anthologie liegt in der Gratwanderung zwischen Harmonie und Abwechslung. Daher suche ich nach Themen, die einerseits viele Menschen ansprechen – wer, ob SF-Fan oder nicht, fragt sich nicht, wohin die Entwicklungen künstlicher Intelligenzen geht oder ob wir allein im All sind? – und andererseits inhaltliche sehr unterschiedliche Geschichten erlauben.

Was ist für dich schwerer, selbst zu schreiben oder eine Anthologie zusammenzustellen?
Als Herausgeber stehe ich gewissermaßen nur vor dem literarischen Äquivalent eines Büffets, und muss mir überlegen, welche der Köstlichkeiten auf meinem Teller Platz finden, welche gut miteinander harmonieren, ob weniger nicht mehr ist etc. Ich würde sagen, selbst einen Gaumenfreuden zu kreieren ist schwieriger, als sie zu konsumieren.

Was muss eine Geschichte haben, damit du sie für eine Anthologie in Erwägung ziehst?
Grundsätzlich muss ein Text eine handwerkliche Grundgüte haben, damit er in die engere Auswahl kommt. Wichtig ist mir jedoch eine frische, originelle Herangehensweise. Bei jedem Thema – ob Androiden oder Erstkontakt – sind manche Ideen naheliegend. So manche Geschichte, die für sich genommen gut gelungen ist, habe ich bei der Zusammenstellung nicht berücksichtigt, weil sie sehr bekannten Geschichten zu ähnlich sind oder verhältnismäßig oft variiert werden. Ich habe daher eher nach originellen Ideen oder ungewöhnlichen Geschichten Ausschau gehalten.

Wie wichtig ist dir Realismus in den Geschichten?
99,9 % aller SF-Geschichten sind mehr oder weniger unrealistisch. Auch wenn mich Geschichten aus dem Segment der Hard SF (bspw. die Romane Andy Weir, Kim Stanley Robinson oder Brandon Q. Morris) oder mit vorstellbaren Entwicklungen unserer Zukunft besonders reizen, ist für mich in erster Linie wichtig, dass die Welt der Geschichte in sich schlüssig ist. Dafür braucht es Regeln. In einer Fantasygeschichte darf Magie nicht alles können, in der Sciencefiction darf Technik nicht alles ermöglichen. In Star Trek akzeptiere ich, dass Captain Kirk gebeamt werden kann – aber nicht, dass er das von sich aus oder über unbegrenzte Distanzen kann.

Was ist die lustigste Anekdote bei der Schöpfung von "Alien Contagium"?
In einem Forenthread wurde die Darstellung eines gut sichtbaren, weiblichen Hinterteils auf einem Cover diskutiert. Generell werden in der SF-Literatur verhältnismäßig oft leicht bekleidete Damen auf die Cover gehievt. Fast schon öfter, als das All zu sehen ist. Wir sind es derart gewohnt, dass es uns kaum noch auffällt. Ohne dies explizit an meinen Coverdesigner Detlef Klewer herangetragen zu haben, wünschte ich mir ein Bild, auf dem ein „Covermodel“ auf jeden Fall adäquat für eine Erstkontakt-Mission gekleidet ist.

Hat man als Herausgeber in der jeweiligen Anthologie eine Lieblingsgeschichte?

Nein, ich finde jede Geschichte auf ihre Art und Weise gelungen. Manche Autor:innen sind handwerklich etwas versierter als andere, doch mein Gefallen finden sie alle. Ich möchte einen Vergleich zur Musik ziehen: Mit welcher objektiven (!) Begründung könnten so unterschiedliche Kurz-Werke wie „Minnie the Moocher“, „Spanish Train“, „Dust in the wind“, „In the air tonight“, „Ballade pour Adeline“, „Bat out of Hell“, „Roots bloody roots“, „Breaking the habbit“ oder „Rollin‘ in the deep“ bewertet werden? Jedes dieser Stücke hat seinen eigenen Charakter und jegliche Wertung wäre subjektiv. (In meinem Fall ist es von Tagesform und Laune abhängig, ob ich mir von Max Cavalera und Eric Adams etwas vorkreischen oder von Chris de Burgh oder Adele etwas vorsäuseln lassen will).
Als Herausgeber überlege ich mir eher, welche Stücke in einem Gesamtwerk – der Anthologie - nebeneinander Sinn ergeben und trotz ihrer Unterschiedlichkeit nebeneinander harmonieren. „Ballade pour adeline“ neben „Roots bloody roots“? Dann eher „Rollin‘ in the deep“ neben „Dust in the wind“, oder?

In "Alien Contagium" geht es um den ersten Kontakt mit Außerirdischen. Was wäre dein erster Satz an einen Außerirdischen?
Ich bin fest davon überzeugt, dass Neil Armstrong seinen berühmten „Ein kleiner Schritt …“- Satz monatelang vor der PR-Abteilung der NASA aufsagen musste, ehe er ihn auf dem Mond zum Besten geben durfte. Wem würde in solchen einem Moment diese eleganten Worte einfallen? Vermutlich wäre mein erster Satz so etwas wie „Holy guacamole“, „Fuck“ oder „Aaaaah!“. Sollte ich mich vorbereiten können, wäre es wahrscheinlich etwas in der Richtung „Wir sind noch jung. Habt Geduld.“

Wenn du einen Pitch für "Alien Contagium" schreiben müsstest, wie würde dieser lauten?
Hier verweise ich doch gerne auf den Klappentext 😉.

Hättet ihr mit diesen Antworten gerechnet? Ich fand es auf jeden Fall spannend einen Blick hinter die Kulissen werfen zu dürfen. Vielleicht ergibt sich erneut eine solche Möglichkeit. Ich würde mich freuen.

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