Mittwoch, 16. Februar 2022

Andrea und Dirk Liesemer "Tage in Sorrent"

Sorrent, 1876.
Friedrich Nietzsche ist mit seinen Kräften am Ende. Die fortwährenden Migräneschübe, die ihn längere Zeit an das Bett fesseln, seine Magenprobleme, der daraus resultierende Schwindel. Alles das trägt nicht dazu bei, dass er seiner Professur in Basel ordentlich nachgehen und sich zum anderen dem Schreiben widmen kann. Sein Augenlicht verlässt ihn zunehmend, sodass er nur noch mit Hilfe eines Sektretärs seine Gedanken verschriftlichen könnte, wenn er sich denn konzentrieren könne. Da kommt die Einladung einer alten Bekannten zur rechten Zeit. Sie lädt ihn ein, ein Jahr mit ihr und zwei weiteren jungen Männern in Sorrent zu verbringen. Fernab der nördlichen Tristesse hofft sie die drei Männer von Migräne, Schwindsucht und Antriebslosigkeit zu heilen.
Auch wenn die Anreise für Nietzsche beschwerlich ist und es bei der Ankunft zu einem Streit mit seinem väterlichen Freund Richard Wagner kommt, sieht man schon nach kurzer Zeit, wie Nietzsche unter der italienischen Sonne förmlich aufblüht. Eine Akademie im Süden Italiens, der Traum seiner Bekannten rückt auch für Nietzsche täglich in greifbarere Nähe, doch wird sein Gesundheitszustand dies auf Dauer zulassen?
Andrea und Dirk Liesemer zeichnen mit ihrem Buch eine Zeit von Nietzsche auf, die zu einem Umbruch in seinem Leben hätte führen können. Das Buch wird über einen Zeitraum von wenigen Monaten erzählt und spiegelt doch so vieles aus seinem Leben wieder. Warum ist er an diesem Punkt? Wie äußern sich seine Leiden? Wie euphorisch und kreativ er sein kann, wenn es ihm gut geht.
Durch einen flüssigen Schreibstil, angenehmes Lokalkolorit und eingestreuter Zitaten wirkt es, als ob man mit Nietzsche und den anderen durch Sorrent wandelt. Man riecht die Zitronen und Orangen, man hört das leise Rumoren des Vesuvs. Man leidet mit Nietzsche und den anderen beiden Männern, man freut sich, wenn es ihnen gut geht und sie die Umgebung nach einem passenden Platz für die Akademie erkunden.
Ein Buch, welches zeigt, wie sehr Krankheit und das Gefühl nicht verstanden zu werden, das Leben beeinflussen kann und dabei viel über die Zeit und die Kultur um 1876 mitgibt.
Ein interessantes und lehrreiches Buch.

4,5 von 5 Zitronen

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