Wer meinem Account schon länger folgt, weiß, dass ich es liebe, Romanfiguren zu interviewen. Dieses Mal hat sich Jule aus Marie Meiers "Seelengrube" Zeit für ein paar Fragen genommen.
Willkommen auf meinem Blog, Jule.
Als Figur in "Seelengrube" musst du das machen, was die Autorin vorgibt. Ist das immer leicht?
Jule: Nee, gar nicht. Mein Tag sieht normalerweise so aus: aufstehen, arbeiten gehen, dann Pizza und dazu eine nette Serie, manchmal auch ein Videospiel. Das ist natürlich nicht so spannend, sehe ich ein. Aber etwas weniger Action hätte es in der Geschichte auch getan. Ich meine, wieso müssen ständig Leute auf mich schießen? Ich wäre viel lieber eine Figur in einem netten Romance-Schinken. Vielleicht so eine High-School-Romanze, auch wenn ich da etwas jünger sein müsste. Ich wäre da so ne graue Maus, aber dann komme ich auf die neue Schule, alle finden mich cool und ein Werwolf-Vampir-Fee-Kerl will den Rest seines unsterblichen Lebens mit mir verbringen. So was. Das fände ich nett. Aber stattdessen werde ich von interstellaren Rebellen gefangen genommen und bedroht – außerdem muss ich in dieser nutzlosen Kraft besser werden, mit der ich unglücklicherweise geboren wurde …
Vor diesem Hintergrund: Siehst du positiv oder mit gemischten Gefühlen auf die nachfolgenden Bände?
Jule: Eher positiv. Klar, es passiert eine Menge Mist, aber auch einige gute Sachen. Den Werwolf-Vampir-Fee-Kerl habe ich vielleicht nicht bekommen, aber … Na ja. Ich gehe nicht leer aus. Auch so … so emotional, weißt du?
Aber erzähl doch mal, wie dein Alltag in Arges aussieht.
Jule: Ganz grob hab ich das ja schon beschrieben. Ich lebe im Fundament, das ist die zweittiefste Stadtebene. Da lebt man, wenn man nicht ganz Bodensatz ist, aber auch nicht richtig weit gekommen im Leben. Ich verschlafe meistens – aufstehen find ich echt schwer. Dann zwänge ich mich mit den ganzen Angestellten in die Bahn. Alle tragen Uniform oder Anzug – ich trage meistens meine Zitadellenuniform, dann rücken mir die Leute nicht so auf die Pelle. Früher bin ich dann zur Zitadelle gefahren, um Seminare zu besuchen und rufen zu lernen. Aber das mache ich eigentlich gar nicht mehr, ich bin ja auch … Ach, ist egal.
Auf jeden Fall mache ich momentan vor allen Dingen so Übersetzungsjobs für die interstellaren Handelsunternehmen. Viele sprechen nur Castil, aber gerade wenn die Leute mit Planeten im Rim handeln, brauchen sie eine Übersetzerin. Manchmal hänge ich dann in Hafenbüros rum, manchmal nehmen sie mich direkt mit. Mein zweites Standbein ist mein Job als Schiffsflüsterin. Unsere Raum-schiffe werden mit derselben Energie angetrieben, die ich auch kontrolliere, wenn ich rufe. Ich werde als Schiffsflüsterin ein Teil des Schiffs, bin dann quasi Antrieb und Schilde. Dank mir kann das Schiff auch den Raum falten. Das klingt episch, ist aber eigentlich ziemlich gechillt.
Ich verbringe viel Zeit in den Quartieren der Schiffsflüsterer, gucke Serien und bediene mich an der Minibar. Manchmal hab ich andere Jobs und … das kann man dann nachlesen.
Was magst du an dem Stilmix Science Fiction und Urban Fantasy?
Jule: An Science-Fiction mag ich den Komfort. Viele sagen, dass Arges ganz schön dystopisch ist. Aber wenn du nicht auf die Unterdrückung guckst und die reichen Arschlöcher, die an der Spitze stehen, also wenn du ganz fest die Augen zusammenkneifst, dann ist es schon ein toller Ort. Es gibt fast überall öffentliche Verkehrsmittel und sie sind immer pünktlich. Man kriegt so gut wie alle Dinge, die irgendwo im bekannten Kosmos produziert werden, weil Arges Hauptumschlagplatz für Waren ist. Die Entertainment-Kanäle haben Millionen von Serien, Filmen, Videospielen … Mit VR-Brillen kannst du deine Lieblingsstars anlecken – und die schmecken dann nach Pfefferminz oder so! Man kann quasi jede Krankheit heilen, aussehen wie man will, sein wer man will … wenn man nur genug Knete hat. Unsere Technologie ist die fortschrittlichste unter allen Planeten. Es ist cool – bis einem das Geld ausgeht. Dann ist es der schlimmste Ort im All, glaube ich.
Dass irgendetwas Fantasy ist, nehme ich gar nicht so wahr. Meine Kräfte stammen von einer hierzulande gut erforschten physikalischen Kraft. Wir haben einen eigenen Wissenschaftszweig dafür – den größten und am besten geförderten. Wir lachen Leute aus, die sagen, dass das Magie sei – das ist eine Meinung von Menschen, die noch nie Glimmer-Spektrogramme auswerten mussten. Erst seitdem ich das Monster kenne, verstehe ich ein bisschen besser, warum manche Menschen das, was ich tue, für phantastisch halten könnten.
Zurzeit sind in vielen Büchern "Buchspringer" unterwegs. Welche literarische Figur dürfte dich gerne besuchen?
Jule: Ich habe lange fast nur Fantasy gelesen – also ich persönlich fände so Werwolf-Vampir-Feen-Leute als Besucher schon ganz cool. Bei uns auf Arges gibt es die Comicreihe Red Hound, die handelt von einem Widerstandskämpfer. Ich lieb die sehr. Ich wünschte, es gäbe Red Hound wirklich und er würde mal vorbeikommen …
Meine Autorin sagt, dass sie gern mal die Crew aus Becky Chambers Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten zu Besuch hätte.
Und welcher Charakter in "Seelengrube" erdet dich?
Jule: Fast alle meine Freunde tun das. Florence ist wie ein großer Bruder für mich. Er war früher auch an der Zitadelle und stammt auch aus der Unterstadt, er weiß, was ich durchgemacht habe und wie das Leben so für mich ist. Florence ist immer da – außer er muss in der Tapasbar seiner Eltern arbeiten. Emili ist eigentlich mein Vorgesetzter, doch das versteht er nicht so richtig. Deshalb sind wir Freunde. Mit ihm kann ich schweigen.
Meine Freundin Amy findet mich eigentlich zu geerdet – die hätte lieber, dass ich mal ein bisschen abgehobener werde.
Hast du ein Lebensmotto?
Jule: Nicht so richtig. Ich bin nicht so der „Live, Laugh, Love“-Mensch. Ich hab für jeden Tag ein eigenes Motto, je nachdem, wie es mir geht und wie düster die Welt gerade aussieht. Meistens ist es so was Uninspiriertes wie „Ich schaff das schon“ oder an schlechten Tagen ein „Morgen ist auch noch ein Tag“.
(Cover: Marie Meier, Grafik: Maximilian Wust)
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