Freitag, 12. Dezember 2025

Wolfgang Kemmer "The Memoirs of Dr. Watson"

Seitdem es literarische Figuren gibt, haben Autoren den Drang die eine oder andere Figur mit ihren eigenen Geschichten zu betrauen. Eigene Abenteuer stehen da neben eigene Ideen, Vorstellungen oder auch Aspekten, die dem Autor in den ursprünglichen Texten vielleicht zu kurz kommen oder gar unerwähnt bleiben. Wie die Leserschaft diese Texte aufnimmt, umfasst die ganze Bandbreite, von "keine eigenen Ideen" bis hin zu "besser umgesetzt als der ursprüngliche Autor".
Denn nicht nur in den Köpfen der Autoren formt sich ein Bild des Charakters, sondern auch in denen der Leser und diese sind oftmals kritischer als jeder Lektor.
So ist es auch bei Geschichten rund um den Meisterdetektiv Sherlock Holmes und seinem Chronisten Dr. John Watson. 
Manche bevorzugen den traditionellen Stil von Sir Arthur Conan Doyle, andere wünschen sich Holmes in den Wirren der modernen Kultur wiederzufinden.
Was macht man da als Autor?
Man bleibt bei seiner Linie und schreibt den Holmes, den man in die eigenen Geschichten eintauchen lassen möchte!
Wolfgang Kemmers Anthologie umfasst sechs Geschichten, die sich mit dem Phänomen Sherlock Holmes befassen und den Detektiv in die Baker Street zurückkehren lassen. 
Kemmer hat es wie andere Autoren geschafft, einen kleinen Teil des Nachlasses von Dr. Watson zu ergattern und stellt uns vier Geschichten vor.
Alle Geschichten sind mit Erinnerungen an die großen Fälle, z.B. "Der Hund der Baskervilles" oder auch "Das leere Haus", angelehnt und führen den Leser tief in das sherlockianische Universum. Während der erste Fall eine Familientragödie behandelt und Holmes und Watson unmittelbar nach dem "Hund" auf den Plan ruft, zeigt der zweite Fall, dass ein Sherlock Holmes auch einen Fall lösen kann, wenn ihm Moriarty dicht auf den Fersen ist.
Ein schönes kleines Crossover zeigt der dritte Fall, auch wenn er Holmes nicht zum Erfolg gereicht. "Die Weihnachtsgeschichte" von Charles Dickens und ihre Lehre bildet die Grundlage für ein feines Versteckspiel, dass Holmes und Watson an Weihnachten von London nach Worcester beordert.
Die vierte klassische Erzählung führt uns zurück ins Dartmoor. Ein Gefangener ist ausgebrochen und versetzt ein kleines Dorf in Angst und Schrecken.
Bei den beiden letzten Texten hat sich Wolfgang Kemmer etwas besonders ausgedacht. Seine Krimis spielen in der heutigen Zeit zum einen in Meiringen und zum anderen in Siegburg und zeigen, wie Holmes auch heute noch in aktuelle Fälle verwoben ist. Wie? 
Nun das findet man beim Lesen heraus.
Wolfgang Kemmer zeigt mit seinen Texten, die hier erstmalig zusammen erscheinen, wie schön man die Lücken des Kanons füllen und seine eigene Holmes-Sprache finden kann, ohne dabei dem Original zu widersprechen. 
Eine überaus gelungene Sammlung, die gerne ein paar Geschichten mehr enthalten dürfte.

5 von 5 Deerstalkern

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