Donnerstag, 3. Oktober 2024

Autoreninterview Dieter Rieken

Hallo zusammen.
Mit seinen Kurzgeschichten steigt Dieter Rieken tief in die Psychologie ein. Ihr wollt mehr erfahren? Dann lest das folgende Interview:

(Bild: (c) Mercan Fröhlich Mutluay, Grafik: Maximilian Wust)

Wie bist du zum Schreiben gekommen?
Ich habe mich als Jugendlicher für alles Mögliche begeistert, zum Beispiel für Naturwissenschaften und fürs Zeichnen. Vor allem aber habe ich viel gelesen, und das queerbeet. Was meine ersten Schreibversuche betrifft, waren Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre Autoren wie Herbert Franke, Thomas Ziegler, Samuel R. Delany, Ursula K. LeGuin und John Varley wichtige Vorbilder. An der Uni sind weitere „Studienobjekte“ dazugekommen, die mich aus verschiedenen Gründen beeindruckt haben: Büchner, Brecht und Christian Geissler, aber auch Majakowskij, Boris Pilnjak und Andrej Belyj.
Den Ausschlag, dass ich nicht wie geplant Biochemie, sondern Literaturwissenschaften studiert habe, hat übrigens Herbert Franke gegeben – unfreiwillig natürlich. Er fand die Stories, die ihm der 18-jährige Nobody zugeschickt hatte, richtig gut und hat sie Wolfgang Jeschke empfohlen. So kam es, dass der Heyne Verlag gleich drei meiner Geschichten gekauft hat.
Um 1984 herum gab es dann eine doppelte Zäsur: Der „Boom“ der deutschen SF in den großen Verlagen war vorbei. Gleichzeitig hat mir mein Studium deutlich gemacht, welche Ansprüche ich an „gute Bücher“ stelle und dass für mich dazu weitaus mehr gehört als eine interessante Idee und eine mittelmäßige Umsetzung ... Lange Geschichte! Um es kurz zu machen: Die folgenden 35 Jahre habe ich Literatur – wenn überhaupt – fast ausnahmslos für die Schublade geschrieben. Bis 2018, bis zu meiner ersten Storysammlung „Überlebensprogramm“ …

„‚Zweimal langsamer wie du …‘“ ist Anfang des Jahres erschienen und hat für viele gute Besprechungen gesorgt. Doch erzähl einmal, wie kamen ausgerechnet diese Geschichten zusammen?
Das Buch besteht ja im Wesentlichen aus zwei Kurzromanen – und Novellen haben es hierzulande bekanntlich schwer. Michael Iwoleit hat „Jonas und der Held Terranovas“ in seiner letzten NOVA-Ausgabe publiziert – trotz der Länge. „‚Zweimal langsamer wie du …‘“ ist dann allerdings noch umfangreicher geworden als „Jonas“. Ich habe die Geschichte nirgendwo unterbringen können, zumindest nicht ohne radikale Kürzungen. Das wollte ich aber nicht. Als mein Verleger Michael Haitel mit der Idee auf mich zukam, daraus ein eigenes Buch zu machen, habe ich sofort ja gesagt. Das war zugleich eine willkommene Gelegenheit, „Jonas“ zu überarbeiten. Dazu musst du wissen, dass ich mit meinen Geschichten eigentlich nie zufrieden bin; ich finde garantiert immer noch etwas, das man besser machen kann. So ist dann auch die „Die Schneekönigin“ mit in das Buch gekommen – eine Neufassung einer älteren Story. Es beinhaltet also einfach die letzten drei Erzählungen, an denen ich seit 2020, seit meinem Roman „Land unter“ gearbeitet habe.


In meiner Rezension des Buchs habe ich auf den psychologischen Aspekt in deinen Geschichten hingewiesen. Triffst du die Entscheidung für psychologische Elemente bei jeder Geschichte bewusst? Oder ergeben sie sich im Schreibprozess auf Grund des Plots?
Weder noch. Ich denke mal, ich kann gar nicht anders, als meine Figuren mit einem nachvollziehbaren Hintergrund zu schreiben. Denn so ein „Päckchen“ trägt schließlich jeder von uns mit sich herum; und die Figuren sollen die Leser:innen doch überzeugen!
Die Idee, dass der ehemalige Raumschiffpilot Captain Täuber – noch dazu mit seiner Vorgeschichte – ein innerlich „zerrissener“ Mensch sein muss, stand bei „Jonas“ von Anfang an fest. Das war nicht nur entscheidend für den ganzen Plot, sondern auch für die Überraschung gegen Ende der Erzählung.
Bei „‚Zweimal langsamer wie du …‘“ habe ich mich mit jeder Überarbeitung näher an die Reaktionen meiner Hauptfigur herangetastet. So, wie Tine letztlich auf die Geschehnisse und Katastrophen in dieser Erzählung reagiert, ist sie aus Sicht ihres Ex-Freundes Warner eine „Weltmeisterin in Realitätsverweigerung“. Ich kann diese Verdrängungsmechanismen ziemlich gut nachvollziehen. Denn ich kenne viele Leute, die mit den täglichen Katastrophenmeldungen schon heute anders nicht mehr fertig werden.
Es ist also wohl eher so, dass die Frage „Was macht das mit uns?“ – die psychische Verfasstheit der Hauptfiguren – konstitutiv für viele meine Plots ist. Auf jeden Fall nicht andersherum.

In welcher deiner Geschichten war dir dein eigener Antagonist lieber als dein Protagonist?
In keiner. In „Land unter“ gibt es zwar Antagonisten im klassischen Sinne. Doch die waren mir nicht „lieber“, ich fand sie nur interessanter zu schreiben, vor allem den Berliner Clanchef Tarik, weil mir sein Hintergrund und die Art, wie er lebt, denkt und agiert, sehr fremd sind. Da musste ich viel recherchieren.

Bekannt bist du für deine Science-Fiction-Texte, aber bitte einmal ehrlich: Schlummert in der berühmten „Schublade“, die jeder Autor hat, kein anderes Genre, das du einmal ausprobieren möchtest?
Nein, wirklich nicht. In meiner „Schublade“ gibt es ein paar Ideen, aber die sind alle mehr oder weniger Science-Fiction. Ehrlich gesagt weiß ich im Moment nicht, ob ich sie jemals umsetzen werde. Ich schreibe zwar viel, doch das sind Sachtexte, und neben meinem Beruf finde ich nur wenig Zeit für literarische Texte ... Wie auch immer: Wenn, dann ist „Near Future“ für mich auf jeden Fall auch weiterhin die ideale Form, um eine gute Geschichte zu erzählen, die man nicht nur gerne liest, sondern die vielleicht sogar einen Beitrag zu den Themen und Problemen unserer Zeit leistet.
Natürlich nur einen kleinen Beitrag, aber immer mit dem klaren Blick von einem möglichen, wahrscheinlichen Morgen aus auf das Gewesene, das unser Heute ist – und vielleicht auch auf den Weg dazwischen. Diesen Anspruch habe ich.

Welchen Science-Fiction-Plot würdest du nie schreiben, weil er dir zu abgegriffen ist?
Jede Form von Military-Science-Fiction. Belanglos. Und so sehr ich jeden Versuch bewundere: Utopien. Die sind zwar nicht abgegriffen, im Gegenteil, aber ich habe wahrscheinlich nicht genug Zuversicht dafür.

Bei aller Kritik, die wir Schreibenden oftmals einstecken müssen: Was spornt dich immer wieder an, dich an deine Tastatur zu setzen?
Es sind die Ideen in meinem Kopf, die sich alle irgendwie um den Zustand unserer Welt drehen. Ich habe eine ziemlich klare Haltung zu den gängigen Klima- und Umweltproblemen, zu Rechtspopulismus und Nationalismus, zu den Möglichkeiten und Grenzen der Demokratie … Zum Teil ist es sicher auch das Bedürfnis, gewissen Menschen, die ihre Macht und ihren Einfluss missbrauchen, in literarischer Form zu widersprechen. Nicht zuletzt liebe ich es wirklich, wenn sich aus diesen Ideen und Gedanken allmählich eine Geschichte herausformt, die mit interessanten Figuren aufwarten kann und die hinsichtlich Sprache und Stil einfach „schön zu lesen“ ist.
Das alles ist ein starker Ansporn. Mal sehen, wann es mich das nächste Mal „packt“.



Nachdem ihr Dieter kennengelernt habt, könnt ihr hier mehr über ihn erfahren:

spbonline.de
facebook.com/profile
instagram.com/dieter_rieken

In diesem Sinne: Fröhliches Lesen und freut euch auf das nächste Interview. 

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