Donnerstag, 20. April 2023

Herausgeberinterview Kai Focke

Hallo zusammen.
Wieder habe ich mich auf die Suche nach einem interessanten Autor gemacht und habe jemand Nettes gefunden, die mir meine Fragen beantworten möchte.
Kai Focke hat vor einiger Zeit bereits Fragen zum Schreiben und dem Autorendasein beantwortet. Nun arbeitet er mit Sabine Frambach zum 50-jährigen Bestehen der Dualen Hochschule Baden-Württemberg an einer Anthologie. Der richtige Zeitpunkt, ihm erneut ein paar Fragen zu stellen.



Wie bist Du darauf gekommen zum Jahrestag der Hochschule eine Anthologie herauszugeben?
Letztlich ausschlaggebend war das anstehende Hochschuljubiläum meines Arbeitgebers. Die Duale Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) feiert am Standort Mannheim im Oktober 2024 ihr 50-jähriges Jubiläum. Durch die Kooperation zwischen DHBW und der Phantastischen Bibliothek Wetzlar (PBW) im Rahmen von Future Life habe ich eine Art „Zukunftsreflex“ entwickelt. Bevor ich diesen erkläre, sollte ich jedoch kurz auf Future Life und die PBW eingehen. In Wetzlar befindet sich nämlich die größte und in ihrer Vollständigkeit einzigartige Sammlung deutschsprachiger phantastischer Literatur mit inzwischen über 300 000 Titeln. Die Sektion Future Life erstellt auf der Basis der dortig vorhandenen Science-Fiction-Literatur Zukunftsszenarien für Unternehmen und öffentliche Einrichtungen innerhalb eines etwa 20 bis 30 Jahre umfassenden Zeitraums. Im Hinblick auf unser Hochschuljubiläum stellte sich mir vor diesem Hintergrund reflexartig die Frage, wie wohl der Hochschulalltag am Standort Mannheim in 25 Jahren aussehen könnte. Das Jubiläum bot hierzu eine ideale Gelegenheit: einerseits ein Rückblick auf 50 Jahre Hochschulgeschichte, andererseits der Blick in die Zukunft. 25 Jahre fokussieren hierbei einen zeitlichen Abstand, dessen zukünftige Ereignisse aus heutiger Sicht zwar spekulativ sind, sie bewegen sich jedoch noch in einem – im Sinne von realistischen Einschätzungen – vertretbarer Rahmen. So hat in diesem Fall ein vergangenheitsbezogenes Jubiläum den Blick in die Zukunft angeregt.

Wie unterscheidet sich die Arbeit an dieser Anthologie zu den den vorigen?
Bei den beiden vorherigen Anthologien, die ich gemeinsam mit Sabine Frambach herausgegeben habe, herrschten andere Rahmenbedingungen. Staubkornfee trifft Ich-Maschine (2021 bei p.machinery erschienen) ist eine Auswahl-Anthologie, bei der wir aus den ersten 30 Bänden der Phantastischen Miniaturen – eine Kürzestgeschichten-Reihe, die von Thomas Le Blanc, dem Gründer und Leiter der Phantastischen Bibliothek Wetzlar herausgegeben wird – eine Zusammenstellung bereits erstveröffentlichter Texte erarbeitet haben. Es ging uns hierbei nicht nur darum, das breite und facettenreiche Spektrum der Phantastik aufzuzeigen, sondern eine Anthologie zu schaffen, die Genre-Neulingen einen einfachen Einstieg in diese faszinierende Literaturgattung ermöglicht. Türen, Tore & Portale (2022 bei p.machinery erschienen) besteht hingegen ausschließlich aus eigenen Texten, also Kurz- und Kürzestgeschichten, die Sabine und ich speziell für diese Anthologie verfasst haben. Hochschule der Zukunft im Jahr 2049, so der Arbeitstitel, ist wiederum an eine offene Ausschreibung geknüpft, an der sich jeder beteiligen kann. Sämtliche Informationen zur Ausschreibung und zur Anthologie können über den Short-Link www.mannheim.dhbw.de/anthologie2049 abgerufen und heruntergeladen werden. Einsendeschluss ist der 31. Oktober 2023. Daher gilt: Wer eine kreative Idee hat, möge in die Tasten klopfen!

Bereits zwei Anthologien hast Du herausgegeben. Gibt es Dinge, bei denen Du schon eine Routine entwickelt hast oder ist immer alles neu?
Jede Anthologie ist etwas Einzigartiges, hat ihre eigenen Reize und Herausforderungen. Bei Staubkornfee trifft Ich-Maschine galt es, einen bestehenden Kanon an Texten zu sichten, nach Genres zu systematisieren und – vor dem Hintergrund der Zielgruppe der Genre-Neulinge – dahingehend zu beurteilen, ob jemand, der noch nichts mit phantastischer Literatur zu tun hatte, mit diesen Kurzgeschichten etwas anfangen kann. So mussten Sabine und ich schweren Herzens äußerst ​gelungene Texte zur Seite legen. Diese enthielten beispielsweise Anspielungen auf klassische Werke der Phantastik, deren Kenntnis zwar bei Fans des Genres vorausgesetzt werden konnten, jedoch nicht bei Genre-Neulingen. Wenn diese Anspielungen für das Textverständnis zentral waren, dann konnten wir diese Geschichten nicht aufnehmen. Unbeschadet dessen sammelt man Erfahrungen bei der Textauswahl. Ich gehe davon aus, dass Sabine und mir diese Routine helfen wird, die hoffentlich zahlreichen Einsendungen zu Hochschule der Zukunft im Jahr 2049 schneller zu sichten und zu systematisieren.

Was muss eine Kurzgeschichte für diese Anthologie mitbringen, um Dich zu überzeugen?
Eine sehr gute Frage, die schwierig zu beantworten ist. Selbstverständlich muss die Kurzgeschichte die formalen Kriterien der Ausschreibung erfüllen – Umfang, Genrezugehörigkeit et cetera – daneben aber auch inhaltlich überzeugen. Da es leider kein Backrezept für einen gelungenen Text gibt, muss ich bei meiner Antwort leider bis zu einem gewissen Grad vage bleiben. Zunächst sollte ein in sich geschlossener Handlungsstrang in der Kurzgeschichte erkennbar sein, was jedoch keinesfalls heißt, dass deren Ende nicht offen sein darf. Das Publikum mit einem offenen Ende zu konfrontieren ist zulässig, jedoch sollte die Offenheit bis zu einem Punkt gehen, an dem man sich sinnvoll die möglichen Alternativen vor Augen führen kann. Klassisches Beispiel ist das moralische Dilemma. Der Protagonist steht vor einer Entscheidung, die in beiden Fällen negative Konsequenzen hat. Sprich: Drückt er „den Knopf“ oder nicht. Neben dem geschlossenen Handlungsstrang sollte das Ende pointiert sein, wobei ich das eben Gesagte – also ein sinnvolles offenes Ende – mit einschließe. Mein persönliches Verständnis einer Pointe ist weit gefasst. Sie muss nicht witzig oder schreiend komisch sein, sie kann auch tiefgründig sein, zuvor in diesem Zusammenhang nicht gestellte, aber naheliegende Fragen aufwerfen oder moralisch herausfordernd sein. Last but not least: Der Bezug zur Near Future Science-Fiction der Hochschule der Zukunft muss gegeben und kreativ bearbeitet sein. Hierzu gibt es zahlreiche Anregungen im Ausschreibungstext, die ich hier nicht alle aufzählen kann. Ein Beispiel möchte ich – vor dem Hintergrund der aktuellen Chat-Bot-Diskussion – dennoch nennen:    
Wie werden zukünftig die Leistungen von Cyborgs bei Hochschulprüfungen bewertet? Wird es eine Zwei-Klassen-Gesellschaft geben, also einerseits Personen, die sich technisch erweitern, also zu Cyborgs werden, und andererseits Personen, für die diese Option – sei es aus gesundheitlichen oder religiös-weltanschaulichen Gründen – nicht in Frage kommt? Wie werden dementsprechend faire Prüfungen gestaltet?
Und nun: Wie kann hieran eine Kurzgeschichte anknüpfen? Vielleicht muss eine Hochschullehrerin „ermitteln“, weil sich ein Cyborg als „natürlicher Mensch“ ausgegeben hat, um sein Prüfungsergebnis durch das Ablegen der vermeintlich normalen Prüfung zu verbessern. Doch im Zuge ihrer Ermittlungen stößt die Hochschullehrerin auf einen völlig unerwartetes Detail, nämlich ... Habe ich schon erwähnt, dass sich Sabine und ich riesig auf die Einsendungen der Kurzgeschichten freuen?


Daraus ergibt sich logischerweise die Gegenfrage: Welche Kurzgeschichte fällt bei Dir durch?
Zunächst einmal Kurzgeschichten, die dies nicht erfüllen. Hinzu kommt – und das ist die Ungerechtigkeit, mit der die schreibende Zunft stets konfrontiert ist –, dass selbst ein Text, der alle Voraussetzungen mitbringt unter Umständen nicht zum Zuge kommt. Wie kann das sein? Einerseits kann der Text einem anderen Text, der vielleicht nur um Nuancen besser ist, inhaltlich stark ähnelt. Eine Anthologie darf dem Publikum nicht zwei stark ähnlichen Storys präsentieren. Der Text ist, trotzdem er gut ist, dann leider raus. Andererseits kann es sein, dass der Text zwar brillant ist, aber nicht die Zielgruppe der Anthologie trifft; entweder weil die thematische Bearbeitung exzeptionell ist, dass ein breites Publikum nichts anfangen kann oder weil der Text nur von einer Leserschaft verstanden werden kann, die mit Science-Fiction tiefgehende Erfahrungen haben. Ich hatte dies in ​deiner dritten Frage kurz angerissen. Beispielsweise haben sich Sabine und ich bei der Zusammenstellung der Auswahlanthologie Staubkornfee trifft Ich-Maschine    gegen eine durch und durch gelungene phantastische Kurzgeschichte entscheiden müssen, da diese nicht nur die Kenntnis vom Werk des Schriftstellers Ambrose Bierce sondern auch von dessen Leben zu deren Verständnis voraussetzte. Ohne diese Informationen waren Plot und Pointe unverständlich. Damit würde man einen breiten Teil der Leserschaft irritieren. Zudem gilt die alte Weisheit: Der Platz zwischen zwei Buchdeckeln ist leider begrenzt.


Nachdem ihr wisst, was Kai schreibt und herausgibt, könnt ihr hier mehr über ihn erfahren:
literaturfragmente.com

Und hier geht es direkt zur Ausschreibung:
Dhbw Mannheim - Anthologie "Hochschule der Zukunft im Jahr 2049"

In diesem Sinne, fröhliches Lesen und freut euch, wenn es demnächst ein weiteres Interview gibt.

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