Montag, 31. Juli 2023

Marlies Folkens "Sternschnuppentage"

Eigentlich hatte Janna schon genug Schicksalsschläge in der letzten Zeit abbekommen, als das Schicksal erneut zuschlägt und ihr die Mutter nimmt. Nur noch ihre Großmutter Johanne bleibt ihr von ihrer Familie und ihr Chef/Freund Martin. Nach der Beerdigung will die Großmutter endlich wieder auf ihre Insel. Nichts hält sie mehr in der Altenwohnung in der Nähe des Hauses der verstorbenen Tochter und so machen sich Janna und Johanne auf nach Sylt.
Johannes kleine Pension in Morsum ist ihr Ziel und da die Wände anstarren keine Option ist, wird die Pension auf Vordermann gebracht. Ein Bahnunglück sorgt unerwartet schnell für Gäste, sodass den beiden wenig Zeit zum Trauern bleibt.
Doch das Schicksal ist mit Janna selbst jetzt noch nicht fertig - zum Schlechten und zum Guten.

Auf knapp 280 Seiten geht es in Jannas Leben und damit auch für die Leser recht turbulend zu. Ein Schicksalsschlag hier, ein Hoffnungsschimmer dort und immer die Devise, Kopf in den Sand stecken, gilt nicht.

Was sich so leicht daher sagt, ist in manchen Situationen wirklich hart und man fragt sich, warum die Autorin ihre Protagonistin an manchen Stellen im Buch weiter und weiter gängelt. Doch es scheint so, als ob sich hier ein wirkliches Leben abspielt. Denn es gibt nicht nur Höhen im Leben und die Tiefen haben wir alle schon einmal erlebt.
Beim Lesen bleibt das Auge oftmals nicht trocken, denn man leidet und man freut sich auch für Janna, wie sie ihren Weg Stück und Stück meistert. Vielleicht ist wirklich das, was man aus dem Buch mitnimmt: Spätestens dann, wenn andere an einen glauben, sollte man es selbst auch tun.

Wunderschön eingebettet ist die Geschichte in die Landschaft der Insel Sylt. Wer die Insel nicht kennt, kann das Buch trotzdem zur Hand nehmen, doch Kenner der Insel erfreuen sich definitiv an den markanten Inselhighlights, die immer wieder eine kleine Nebenrolle spielen.

4 von 5 Sternschnuppen

Sonntag, 30. Juli 2023

Zeitschrift des Monats "Phantast"

Zumeist sind es Bücher, die einem als Leser ins Auge springen, dabei gibt es wahrlich viele andere Möglichkeiten an Texte, Berichte und Geschichten zu kommen. Dieses Jahr nehme ich euch einmal im Monat in die Welt der Zeitschriften mit. Die Zeitschriften umfassen die verschiedenen Genres wie Krimis, Fantasy, Science-Fiction oder bilden ein buntes Crossover. Von Printausgaben über Downloads, von kostenlosen Exemplaren bis hin zum Hochglanzmagazin ist so manches dabei, was das Leserherz höher schlagen lassen kann. So genug der Einleitung, schauen wir uns die siebte Zeitschrift an:


Name: Phantast 
Turnus: alle drei Monate
Preis: PDF Download (kostenlos)
Bezugsadresse: www.literatopia.de
Seitenumfang: bis zu 100 Seiten

Bei dem Phantasten handelt es sich um eine Literaturwissenschaft, die sich besonders an eine breite Leserschaft richtet. Bereits 27 Ausgaben stehen zum Download bereit.
Dabei ist jede Zeitschrift einem Thema gewidmet, welches in der Ausgabe behandelt wird.
Kurzgeschichten findet man hier eher selten. Vorrangig werden Artikel, Rezensionen und Interviews präsentiert. Dabei ist es den Herausgebern wichtig, für die jeweilige Ausgabe kompetente Gesprächspartner zu finden, die zu dem Thema fundiert Auskunft geben.
Untermalt werden die Texte zumeist mit Buchcovern und Fotos, um die Eigenheiten des Genres zu zeigen. Durch die Themenbände kann man mit jeglicher Ausgabe anfangen, die einen am meisten interessiert.

Hier geht es zur Webseite: Der Phantast

Samstag, 29. Juli 2023

Nils Meyer-Selbach (Hrsg) "Ahrensmord"

Wenn ihr noch euren Sommerurlaub für dieses Jahr plant, sollte es nicht in Ahrensburg sein. ;-)
Denn wie die vorliegende Anthologie zeigt, wird dort soviel gemordet, dass 22 Autoren 20 Verbrechen eingefallen sind. Aber nein, natürlich sind es nur Geschichten, ob sie einen wahren Ursprung haben, glaube ich eher nicht. Was aber Tatsache ist, dass dem Herausgeber eine spannende Sammlung gelungen ist.
Alle zwanzig Verbrechen unterscheiden sich voneinander, Wiederholungen finde im Plot kaum statt. 
Vielmehr nehmen sich viele Autoren die Geschichte von Ahrensburg zum Anlass sie in ihren eigenen Krimi mit einfließen zu lassen, was der Anthologie ein sehr starkes Lokalkolorit gibt.
Die Geschichten sind mal gruselig, mal mysteriös, mal charmant, mal hintersinnig, aber selten wirklich brutal, was die Abgrenzung zum Thriller darstellt.
Zwanzig Kriminalfälle gilt es an der Seite von Detektiven oder Polizisten zu lösen und es ist spannend zu sehen, wie gut die eigene Intuition ist und man den Mörder oder auch den Ausgang der Geschichte erahnen kann.
Alle Geschichten lassen sich gut lesen, wobei die unterschiedlichen Stile und Herangehensweisen eine bunte Mischung durch die gesellschaftlichen Schichten von Ahrensburg und auch der Menschen ansich bieten. Neid, Frust, Geldgier sind nur einige der Möglichkeiten aus denen die Autoren bei ihren Fällen geschöpft haben und obwohl alles in Ahrensburg spielt, wird es beim Lesen alles nur nicht langweilig.

4,5 von 5 Ahrensmorden

Alan Garner "Treacle Walker"

Wie schreibt man eine Rezension, wenn man den Text offensichtlich nicht verstanden hat?
Bei der Lektüre fühlte ich mich an meine Schulzeit erinnert, in der man immer nur mit Hilfe von Interpretationsbüchern den Sinn eines Buches verstehen konnte.

Aber ich greife vor:

Treacle Walker ist ein Lumpensammler, der im Gegenzug für Lumpen einen Stein und einen weiteren Gegenstand bei dem Spender zurücklässt. Als Joseph den Lumpensammler vor seiner Haustür vorbeifahren hört, gibt er ihm seinen alten Schlafanzug, erhält dafür einen Reibstein und darf sich ein Stück Porzellan aussuchen, auf dem kurze Zeit später sein Name aufflammt. Soweit so gut. Die beiden unterhalten sich, Treacle gibt Joseph noch weitere Anweisungen und dann wird es ... surreal.

Als Lesender wird man eine Welt der Magie, Märchen und Sagen katapultiert, ohne dass man zeitweilig weiß, wo man sich gerade befindet. Ein Comic erwacht scheinbar zum Leben und die auftretende Dichte von Spiegeln erinnert an "Alice hinter den Spiegeln".
Man hetzt als Lesender nahezu durch die Seiten, versucht den Protagonisten zu folgen, nur um das Gefühl zu haben, dass sie einem gerade wieder entwischt sind.

Beim Lesen merkt man sehr schnell, dass es sich um eine englische Kurzgeschichte handelt, erinnert sie an einen weiteren Text von Lewis Carroll "Die Jagd nach dem Schnatz".
Das soll nicht andeuten, dass ich "Treacle Walker" ebenfalls als Nonsenseballade bezeichnen möchte, aber meine Verwirrung ist bei dieser Erzählung ähnlich.

Mit 160 Seiten ist "Treacle Walker" ein kurzes Buch, das sich abseits von dem befindet, was man regulär zu lesen bekommt.
Wer ein Gedankenexperiment wagen möchte, kann sich an diesem Text gerne versuchen.

3 von 5 Lumpen

Freitag, 28. Juli 2023

Virginia Woolf "Ein Zimmer für sich allein"

Kennt ihr diese Menschen, die einen fragen, warum man "alte Bücher" liest? 
Gerade diesen Menschen sollte man den Essay aus dem Jahr 1929 von Virginia Woolf vorlegen.
Warum?
Weil er in vielerlei auch heute noch aktuell ist.
Der Titel ist dabei auch Programm des schmalen Buches, denn Virginia Woolf erörtert auf knapp 160 Seiten, warum eine Frau "Ein Zimmer für sich allein" und ein gewisses Einkommen benötigt, um sich vornehmlich dem Schreiben widmen zu können.
Dabei nimmt sie den Leser auf einen geschichtlichen Exkurs mit und zeigt, wann und wie Frauen anfingen zu schreiben, was William Shakespeare damit zu tun hat und warum eben diese beide Voraussetzungen (der Raum und das Einkommen) in ihren Augen unerlässlich sind.
Dabei führt sie manche Punkte mit einer solchen Pedanterie ins Feld, dass die dazukommenden Wiederholungen manche Abschnitte wie eine Hexenjagd wirken lassen. An manchen Autorinnen lässt sie kein gutes Haar und es sind diese Abschnitte, bei denen ich mit dem Kopf geschüttelt habe, weil das ihre anderen Erkenntnisse herabsetzt.
Sucht man in diesem Text wirkliche Schreibtipps einer der Frauen der Weltliteratur, so sind sie rar gesät. 
Doch was das Buch wirklich hervorragend zeigt, ist die Historie. Sowohl die Zeit vor Virginia Woolf als auch ihre eigene Zeit werden dem Leser wie ein Spiegel vorgehalten und man kann sich in der Zeit verlieren.
Das Buch gilt zurecht als ein Stück der Weltliteratur, auch wenn ich bei einigen Äußerungen der Autorin meilenweit entfernt bin, das Buch ist ein Stück Literaturgeschichte. Es hat die Literatur beeinflusst, sodass sie heute ist, wie sie ist und allein schon aus diesem Grund sollte man das Buch lesen.

3,5 von 5 Essays

Donnerstag, 27. Juli 2023

#AutoralsDetektiv: Sarah Lutter


Hallo zusammen.
Zur Veröffentlichung meiner ersten Anthologie "En Passant - Die Reisen des Sherlock Holmes" habe ich mir in Zusammenarbeit mit Christoph Grimm und dem Burgenwelt-Verlag eine Sonderausgabe von #AutoralsLeser ausgedacht. Einmal in der Woche folgen nach der Veröffentlichungswoche die weiteren Interviews. Zum Abschluss zu dieser Interviewreihe beantworte ich die Fragen:

Welche Sherlock Holmes Geschichte von Arthur Conan Doyle hat dich in die Welt des Detektivs geführt und was hat dir an ihr gefallen?
In der Stadtbibliothek haben mich als Kind die Bücher über Abenteuer und Pferde nicht wirklich gereizt, da war mir ein Detektiv im nebelverhangenen London viel sympathischer. Die Kinderausgaben der Klassiker waren kürzer und auch nicht so gruselig wie die Erwachsenenausgaben, sonst hätte ich nach "Der Hund von Baskerville" nicht weitergelesen. 
Mir gefiel, wie der Detektiv vermeintlich alle an der Nase herumführt und neben den Ermittlungen auch seine direkten Mitmenschen täuschen kann, um sie schützen. Holmes kann weitaus empathischer sein, als es oft der Fall ist.

Sherlock Holmes hat im Laufe der Jahre viele Veränderungen in den Pastiches durchgemacht. Welchen Holmes magst du am liebsten?
Im Fernsehen ist und bleibt Jeremy Brett "mein" Sherlock Holmes. Wenn ich an die Texte denke, die Mimik, die Gestik, die Grazilität fängt für mich kein Schauspieler diese besser ein als er.
Andere Schauspieler haben auch ihre Form eines Sherlock Holmes geschaffen, die ihre Daseinsberechtigung hat, aber ich bin da eher klassisch angehaucht. So geht es mir auch bei den Pastiches, je "abgedrehter" sie sind, desto weniger gefallen sie mir. 

Hand aufs Herz: Was zeichnet deine Holmes Geschichte in der Anthologie aus?
Jede Geschichte in der Anthologie ist originell und hat ihren eigenen Ton und Stil. Trotzdem ergeben sie zusammen ein großes Ganzes. Sie zeigen die verschiedenen Facetten des Ermittlers, was lag da näher, als Holmes selbst zur Feder greifen zu lassen.

Hiermit endet die Interview-Reihe zu der Anthologie "En Passant - Die Reisen des Sherlock Holmes". Ich hoffe, die Interviews haben euch gefallen und der eine oder andere greift auch zu dem dazugehörigen Buch.

Dienstag, 25. Juli 2023

Andreas Suchanek "Flüsterwald - Eine neue Bedrohung: in den Fängen der Zauberin"

Zum siebten Mal verschlägt es die Lesenden in den Flüsterwald und die Tristesse des vorigen Bandes bleibt auch hier das tragende Element.
Nachdem Ella zum Ende des vorigen Bandes eine Vermutung hatte, kehrt sie allein in den Flüsterwald zurück, um ihre Annahme zu überprüfen. Diese wird auch bestätigt, was sich für sie leider zum Nachteil entpuppt. Lukas und die anderen versuchen ihrer Spur zu folgen, doch das ist nicht so einfach, denn einfach sind die Abenteuer im Flüsterwald schon lange nicht mehr, wenn sie es denn je waren.
In diesem Band begegnen wir einigen Charakteren, von den bisher nur die Rede war. Und ... wir lernen einen weiteren Flüsterwald und seine Bewohner kennen, denn die Geschichte führt uns ans andere Ende der Welt.
Spannung und Nervenkitzel erwarten den Lesenden erneut in diesem Band, wobei auch andere Themen angerissen werden. Artenvielfalt, Klimaschutz und andere Missstände finden ihren Weg in die Geschichten von Lukas und seinen Freunden und es scheint, dass die Reihe mit jedem Buch ernsthafter wird und nachdenklich stimmt.  
Die Sorge um das, was wir heute haben und das, was immer noch passiert, wird über verschiedene Figuren in die Geschichte getragen und es zeigt sich, dass jede Geschichte zwei Seiten hat und man nicht immer die Entscheidungen des einen von vornherein verurteilen darf.
Aber nicht alles in der Geschichte ist bierernst. So ist Rani gerade mitten in der Pubertät und was das für einen Menok heißt, nun ja, ich möchte nicht in Lukas' Haut stecken.
Andreas Suchanek schafft es bereits zum siebten Mal, dass man beim Lesen nur so durch die Seiten fliegt und sich am Ende wünscht, weiterlesen zu können.

4 von 5 Folianten

Freitag, 21. Juli 2023

Johanna Paul "Das kleine Friesenhaus am Meer"

Irgendwann ist es genug und somit steigt Emma eines Tages in München ins Auto und fährt in Richtung Norden. Weg von ihrem Mann, weg von den Vorwürfen und seinem Getue. Es verschlägt sie mit ihrem restlichen Geld in den Ort ihrer Kindheit. Während sie versucht ihr Leben neu zu ordnen, steht eines Tages ihre Nichte Sina vor der Tür. Auch sie musste flüchten, wenn auch aus einem ganz anderen Grund. Als schließlich noch Jonas auftaucht, ist das Trio vereint und es gilt gemeinsam den vielen Stolpersteinen, die sich Leben nennen, auszuweichen.

Ein Buch über Neuanfänge und Missverständnisse. Ein Buch über darüber, wie es ist, aus einer Situation auszubrechen, die dem eigenen Leben nicht gut tut. So sonnig das Buchcover wirkt, das Buch hat mehr Tiefgang, als es im ersten Moment erscheinen mag.
Es zeigt, wieviel Menschen mitunter auf sich nehmen, um anderen zu gefallen und nicht anzuecken und wie schnell sich diese Menschen selbst verlieren.

Die Geschichte wird abwechselnd aus der Perspektive von Emma, Sina und Jonas erzählt, wodurch der Leser näher an die jeweiligen Probleme und Gefühle rückt. Mal traurig, doch zumeist zutiefst optimistisch zeigt sich, wie sehr der Glaube an sich selbst und die richtigen Menschen im Umfeld Berge versetzen können und das Leben von jetzt auf gleich lebenswerter sein kann.

Das Buch kommt ohne die großen Regeln der Achtsamkeit aus und zeigt durch Empathie und Perspektivwechsel, wie sich Menschen fühlen und wie sich dies auf die Gesellschaft auswirkt. Der Roman lädt dazu ein, alte Fesseln zu überdenken und abzuschütteln, denn das Leben ist schön.

4 von 5 Friesenhäusern

Donnerstag, 20. Juli 2023

#AutoralsDetektiv: Jürgen Bärbig


Hallo zusammen.
Zur Veröffentlichung meiner ersten Anthologie "En Passant - Die Reisen des Sherlock Holmes" habe ich mir in Zusammenarbeit mit Christoph Grimm und dem Burgenwelt-Verlag eine Sonderausgabe von #AutoralsLeser ausgedacht. Einmal in der Woche folgen nach der Veröffentlichungswoche die weiteren Interviews.

Weiter geht's mit: Jürgen Bärbig

Welche Sherlock Holmes Geschichte von Arthur Conan Doyle hat dich in die Welt des Detektivs geführt und was hat dir an ihr gefallen?
Das ist schon eine ziemlich lange Zeit her. Das war auch nicht eines seiner Bücher, sondern ein Film zu seinen Bücher. Der Hund von Baskerville. Ich glaube damals tatsächlich die Verfilmung mit Peter Cushin als Holmes und Christopher Lee als Sir Henry. Ich mag die gruselige Atmosphäre, hinter der ja doch etwas Übernatürliches stecken könnte, bis es dann zur Auflösung kommt. Danach bin ich dann immer wieder auf Holmes und Watson gestoßen. Ich glaube der Übergang, vom ersten Film, hin zu seinem literarischen Gesamtwerk war dann fließend. Es gibt da keinen bestimmten „Moment“ in dem ich ein Fan von Doyles Schaffen wurde.

Sherlock Holmes hat im Laufe der Jahre viele Veränderungen in den Pastiches durchgemacht. Welchen Holmes magst du am liebsten?
Ich mag vor allem die Holmes Geschichten, ganz gleich ob im Buch oder im Film, in denen Watson nicht nur als trotteliger Sidekick dargestellt wird, sondern als gleichberechtigter Partner, der seine eigenen, durchaus herausragenden, Fähigkeiten einbringt und damit hilft, den Fall zu lösen.
Besonders gelungen finde ich da die neuen Verfilmungen mit Robert Downey jr. und Jude Law, oder auch die Serie Sherlock mit Cumberbatch und Freeman. Obwohl ich zugeben muss, dass ich mich lange mit dem modernen Setting schwer getan habe, bevor ich der Serie eine Chance gab. 

Hand aufs Herz: Was zeichnet deine Holmes Geschichte in der Anthologie aus?
Ohne ins Detail gehen zu wollen und zu viel zu verraten, versuche ich Holmes ein wenig anders darzustellen. Besorgt und gleichzeitig nicht auf der Höhe seiner Fähigkeiten. Den Grund dafür kann ich allerdings nicht nennen, ohne der Geschichte vorzugreifen. Außerdem habe ich einen Ort in London eingebaut, den ich besonders faszinierend finde. Wer einmal dort gewesen ist, wird meine Faszination vielleicht teilen können. Am Ende wird dann deutlich, von welchem Ort ich spreche. 

Nächste Woche endet die Interview-Reihe mit meinen eigenen Antworten zu Sherlock Holmes.

Mittwoch, 19. Juli 2023

Erich Kästner "Die Schildbürger"

Jedem, wirklich jedem, ist im Leben schon einmal ein Schildbürgerstreich begegnet.
Doch warum dieser Streich so heißt, wissen wahrscheinlich die wenigsten. Erich Kästner schafft hier mit seinem Buch Abhilfe. Denn war euch klar, dass die Bürger von Schilda ursprünglich gar nicht so dumm waren und dass sie sich lediglich dummstellten, bis sie es schließlich wurden? Nein.

Auch wenn es sich um ein Kinderbuch handelt (welche gerne unterschätzt werden), habe ich stellenweise herzlich gelacht. Wenn man bei der Bürgermeisterwahl anwesend ist oder die Männer des Dorfes mit Stockpferden ihrem Herrscher entgegenreiten, sind das Bilder für den Kopf, die man erstens nicht so schnell vergisst und zweitens durch ihre Schlichtheit an Intensität gewinnen. 

Erich Kästner schafft es in elf Kapiteln zu zeigen, warum und gerade auch, wie die Menschen dumm und manchmal auch faul werden. Es ist ein Fest durch die Zeilen zu gleiten und bei diesem doch etwas älteren Text festzustellen, dass er bis heute nichts an seiner Bedeutung und seinem Scharfsinn verloren hat.
Wer die anderen Bücher von Erich Kästner kennt, wird sich ein wenig über die geänderte Erzählstruktur wundern, aber sie passt sich hervorragend diesem Text und seiner Dynamik an.

5 von 5 Streichen

Montag, 17. Juli 2023

Ilva Fabiani "Meine langen Nächte"

Was passiert, wenn man plötzlich entdeckt, dass man all die Jahre falsch gelegen hat? Unbedacht handelte, sich von den falschen Dingen leiten ließ? Was wenn man die Augen öffnet, nachdem sie jahrelang geschlossen waren und vor dem eigenen Grauen steht und sich nur durch die ganz große Lösung aus der Situation retten kann. Wenn man dies überhaupt als Lösung ansehen kann.

Anna, jahrelang war sie der Sohn, den ihr Vater nie hatte. Im Deutschland zwischen den Kriegen wächst sie mit ihrer kranken Schwester und ihrem seltsamen Bruder in ihrem Elternhaus auf. Schon schnell zeigt sich, dass sie von ihrem Vater die Begabung für die Medizin geerbt hat. Und doch ... Sie ist anders. Herrisch, bösartig und manchmal tief verstört hält sie das Familienleben kaum aus. Immer dagegen, immer auflehnend, hält sie nichts von den bestehenden Konventionen und will daher der neuen Ideologie folgen. Auch wenn sie dadurch die Menschen in ihrem direkten Umfeld mehr als einmal vor den Kopf stößt. Nachdem sie das Studium an den Nagel hängen muss, wird sie zu einer braunen Schwester und wird noch kälter, als sie es schon lange Zeit ist.

Das Buch geht unter die Haut. Das Buch berührt. Auch wenn die Autorin im Nachgang erwähnt, dass nicht alle Personen real sind, merkt man an vielen Stellen, dass nicht viel zur Realität fehlt. Wenn man um diese Zeit weiß, was geschah, was sich explosionsartig entwickelte, erkennt man, wo die Menschheit am Scheideweg stand. Wo Menschen zusahen und die Autorin schafft es mehrfach, den Lesenden hier einzufangen. Man ist so oft hin und her gerissen, man denkt, man weiß, wenn man verachten sollte und doch zeigt das Buch an vielen Stellen eine solche Menschlichkeit, dass es einem fast das Herz zerreißt. Das Buch weckt so viele Emotionen, dass man oft das Buch zur Seite legen muss, um die letzten Seiten zu verdauen. Nicht umsonst ist es für mehrere Preise nominiert.

4,5 von 5 Operationen

Donnerstag, 13. Juli 2023

#AutoralsDetektiv: Jens Arne Klingsöhr


Hallo zusammen.
Zur Veröffentlichung meiner ersten Anthologie "En Passant - Die Reisen des Sherlock Holmes" habe ich mir in Zusammenarbeit mit Christoph Grimm und dem Burgenwelt-Verlag eine Sonderausgabe von #AutoralsLeser ausgedacht. Einmal in der Woche folgen nach der Veröffentlichungswoche die weiteren Interviews.

Weiter geht's mit: Jens Arne Klingsöhr

Welche Sherlock Holmes Geschichte von Arthur Conan Doyle hat dich in die Welt des Detektivs geführt und was hat dir an ihr gefallen? 
In den frühen 80er Jahren gab es eine Hörspielreihe mit Peter Pasetti als der Detektiv, die speziell für das Label Europa produziert wurde. Die Episode ‚Der sterbende Detektiv‘ hat maßgeblich beeindruckt, woran das intensive Spiel von Peter Pasetti seinen nicht zu unterschätzenden Anteil hat – bis heute ist das meine Lieblingsgeschichte. Sherlock Holmes ist – wenn auch nur vorgetäuscht - nicht ganz bei sich und sterbenskrank, Watson hat entgegen vieler anderer Geschichten eine sinnvolle Tätigkeit und Funktion in der kurzen Erzählung, und die Erzählstruktur ist eine andere, denn es gibt keinen direkten Klienten; für mich hebt die Geschichte sich daher sehr positiv von den anderen hervor. 

Sherlock Holmes hat im Laufe der Jahre viele Veränderungen in den Pastiches durchgemacht. Welchen Holmes magst du am liebsten? 
Mir gefällt der Holmes, der sich nicht aus der Ruhe bringen lässt; der sein Augenmerk auf den Fall legt und erwartet, dass auch andere, i. d. R. Watson, alles andere der Ermittlung unterordnen – wodurch er recht arrogant wirkt. Ich mag es aber auch, wenn Autoren ihn Fehler machen lassen: Sherlock Holmes ist kein unfehlbarer Superheld, sondern ein zwar herausragender Mensch, der aber, wie alle Menschen, auch Schwächen hat und der dann und wann auch mal eine Situation falsch einschätzt.

Hand aufs Herz: Was zeichnet deine Holmes Geschichte in der Anthologie aus?
Das muss jeder Leser für sich selbst beantworten. Für mich ist es die ungewöhnliche Fallkonstruktion: Ein Portemonnaie verschwindet, taucht dann wieder auf und nur weil es wieder aufgetaucht ist, gerät jemand in Haft. Dabei ist an dem Portemonnaie und an dessen Inhalt nichts Ungewöhnliches.

Nächste Woche stellt ein weiterer Autor seine Antworten zu Sherlock Holmes vor.

Stella Schaller (u.a.) "Zukunftsbilder 2045"

Denkt man über die Zukunft nach, ist man schnell im Bereich der Science Fiction. Fliegende Autos, fortschreitende Digitalisierung, Dinge, die sowohl eine Hilfe als auch zu einem Problem für die Menschheit werden können. Doch das Thema Zukunft ist um vieles reichhaltiger und spannender als "nur" Technik.
Über diese Basis nähert sich das Buch "Zukunftsbilder 2045" dem Thema Zukunft und der Menschheit im Zusammenspiel mit der Erde, denn klar ist, dass die Welt, wie heute schon mehrfach in den Vordergrund gestellt wird, im Wandel ist. Schwere Unwetter, Überflutungen und vieles mehr zeigen, dass etwas geschehen muss, wenn wir noch eine Weile auf dem Planet leben wollen.
So ist die Ausgangsbasis für das Buch die Realität bis zum Jahr 2022 und wird ab diesem Zeitpunkt fiktiv fortgesetzt.

Eine Reise durch mehrere größere Städte in Deutschland, Österreich und Schweiz zeigt, wie sich die Städte in den letzten 23 Jahren verändert haben. Eine Reporterin besucht in den Städten die jeweils Verantwortlichen für Klima, Stadtentwicklung, Bildung und auch neue Bereiche des öffentlichen Lebens werden hier vorgestellt. Alle Interview- oder Gesprächspartner berichten über den Wandel und auch über die damit einhergehenden Risiken. Dabei ist der Ton des Buches eher freudig denn bedrückend. Die Menschen zeigen eine Aufbruchsstimmung und sind euphorisch über das, was sie in den letzten Jahren geleistet und erreicht haben.
Vielfach wird im Buch erwähnt, dass die Situation in 2022 nicht länger hingenommen und man nicht länger ausharren durfte, um dem Ziel einer gesunden Erde und einem friedlichen Miteinander näher zu kommen.

Das Buch ist trotz seiner Fiktion zeitweilig im Ton sehr nah an einem Sachbuch und man muss sich als Leser immer wieder vor Augen führen, dass es sich hierbei um einen literarischen Text handelt. Wie im Nachwort erwähnt, haben die Schreibenden sich bei der Umsetzung bemüht, soviel Wissen und Erkenntnisse wie möglich in die Texte einfließen zu lassen. Das macht es sehr spannend die Ideen und Möglichkeiten der anderen zu lesen und sich, wie es sich die Schreibenden wünschen, inspirieren zu lassen, was man auch im Kleinen für die Zukunft tun kann.

"Zukunftsbilder 2045" öffnet in vielerlei Hinsicht die Augen für eine Zukunft, die man mitgestalten kann, denn auch die kleinen Schritte zählen im großen Ganzen.

4,5 von 5 Zukunftsbildern

Samstag, 8. Juli 2023

Philip Kerr "Game Over"

"Der Grill" wie ihn Neider nennen, soll das neue Gebäude in Los Angeles werden. Vollgestopft mit technischen Spielereien soll es die anderen Gebäude in den Schatten stellen und zugleich die Macht des Yu Konzerns demonstrieren. Nur Tage vor der Übernahme durch den Inhaber gehen die Architekten und Konstrukteure durch das Gebäude und was sie vorfinden, hat nichts mit der Wirklichkeit der Erbauer zu tun. Denn die geplante KI ist viel tiefer im Gebäude integriert, als es zu diesem Zeitpunkt der Fall sein sollte. Ob es das fehlende Feng Shui ist? Oder kommt doch die Gewalt von außen? Vieles ist unsicher, doch eins ist klar: Es gibt den ersten Toten.
1995 erschien bereits dieser Roman, der einem oftmals das Blut in den Adern gefrieren lässt. Intelligente Menschen bauen ein intelligentes Gebäude, doch sie hatten nicht einmal eine Ahnung von dem, was sie erschaffen würden.
Mit menschlichem Versagen und Ängsten bedient sich das Buch eines eher gemäßigten Einstiegs, nur um sich Seite für Seite aufzubäumen und den Leser neugierig und zugleich ungläubig durch die Seiten fliegen zu lassen. Hätte man das Buch zu seiner Zeit gelesen, hätte man vielfach noch mehr mit dem Kopf geschüttelt, als ich es jetzt schon getan habe, denn vieles mag damals weithergeholt gewirkt haben und doch ist manches davon heute Realität. Der stete Wechsel zwischen Roman, Krimi und Science Fiction hält den Leser neben den vielen anderen kleinen Problemen beim Lesen auf Trab und gönnt dem Verstand keine Pause. Doch wird es gerade zum Ende ein bißchen zu viel und das Buch verliert zum Ende hin ein wenig von seiner Strahlkraft.
Das Buch weist den Leser ein ums andere Mal daraufhin, wie sehr wir uns heute auf Technik verlassen und dass es auch gerade heute wichtig ist, sein Gehirn zu gebrauchen und nicht blindlinks zu vertrauen, wenn der Computer uns etwas sagt.

4,5 von 5 Programmzeilen

Donnerstag, 6. Juli 2023

#AutoralsDetektiv: Norbert Schäfer


Hallo zusammen.
Zur Veröffentlichung meiner ersten Anthologie "En Passant - Die Reisen des Sherlock Holmes" habe ich mir in Zusammenarbeit mit Christoph Grimm und dem Burgenwelt-Verlag eine Sonderausgabe von #AutoralsLeser ausgedacht. Einmal in der Woche folgen nach der Veröffentlichungswoche die weiteren Interviews.

Weiter geht's mit: Norbert Schäfer

Welche Sherlock Holmes Geschichte von Arthur Conan Doyle hat dich in die Welt des Detektivs geführt und was hat dir an ihr gefallen?
Ich kann mich nicht an meine erste Sherlock Holmes-Geschichte erinnern, habe allerdings die komplette Sammlung der Fälle des Detektivs mehrmals gelesen. Am besten gefallen mir die Fälle, die sich vornehmlich auf die analytischen Fähigkeiten des Protagonisten stützen und auf Mord und Totschlag sowie Dramatik um hochrangige Persönlichkeiten verzichten. Exemplarisch würde ich den Fall „Das gelbe Gesicht“ nennen, mit überraschendem Ende und der meines Wissens einzigen Fehleinschätzung des berühmten Detektivs.  

Sherlock Holmes hat im Laufe der Jahre viele Veränderungen in den Pastiches durchgemacht. Welchen Holmes magst du am liebsten?
Tatsächlich bin ich ein großer Fan der BBC-Krimireihe „Sherlock“ mit Benedict Cumberbatch in der Hauptrolle. Ein in meinen Augen sehr gelungener Transfer des Sherlock Holmes-Kanons in die Gegenwart unter Beibehaltung der Charaktereigenschaften der Protagonisten und Anlehnung an die bekannten Fälle von Arthus Conan Doyle. Im Gegensatz zur viktorianischen Behäbigkeit extrem temporeich, dabei durchgehend spannend und immer mit subtilem Witz.

Hand aufs Herz: Was zeichnet deine Holmes Geschichte in der Anthologie aus?
(Ich erspare mir mal den Hinweis darauf, dass ich es eigentlich nicht gewohnt bin, mich positiv über meine Geschichten zu äußern. Das dürfen gerne andere machen oder auch lassen. Hilft aber vermutlich bei der Frage nicht weiter.)
Nicht zuletzt aus Respekt vor dem Werk von Arthus Conan Doyle bemühe ich mich, „meine“ Sherlock Holmes-Fälle sehr eng an den Stil des großen Autors zu halten. Das Eintauchen in die Atmosphäre des viktorianischen Englands, die frühzeitige Einführung der scharfen Beobachtungsgabe und Analyse des Meisterdetektivs gepaart mit einem kniffligen Fall, dessen Auflösung die eine oder andere Überraschung bereithält aber nie den Pfad der Logik verlässt. Und idealerweise auf Mord und Totschlag verzichtet. Ich glaube, dass mir das mit der vorliegenden Geschichte „Der weiße König“ ganz gut gelungen ist, überlasse die Verifikation aber gerne den Lesern.   

Nächste Woche stellt ein weiterer Autor seine Antworten zu Sherlock Holmes vor.