Hallo zusammen.
Diese Woche habe ich dem Vielschreiber Alexander Klymchuk ein paar Fragen gestellt.
(Foto: Alexander Klymchuk (privat), Grafik: Maximilian Wust)
Wie bist du zum Schreiben gekommen?
Vor Ewigkeiten, also irgendwann in den 90ern, habe ich „Trucks“ gelesen, eine Kurzgeschichten-Anthologie von Stephen King. Die Geschichten darin haben mich so beeindruckt, dass in mir der Wunsch reifte schreiben zu wollen. Ich hatte Feuer gefangen.
Mein Plan war es, eine Kurzgeschichtensammlung zu realisieren, sie „Erkerfenster“ zu nennen, ins Englische übersetzen zu lassen und Stephen King zu schicken, zusammen mit einem Brief, in dem ich ihm dankte und ihm sagte, dass er für diesen ganzen Schlamassel verantwortlich war.
Nach schwerfälligen, planlosen und uninspirierten Versuchen auf einer elektrischen Schreibmaschine, einem alten 4.86er Computer mit der Rechenleistung eines modernen Taschenrechners und (sehr viel) später meinem ersten Laptop, schrieb ich ein paar grottenschlechte Texte, bevor ich irgendwann etwas zustande brachte, das tatsächlich in einem Buch abgedruckt wurde.
Als ich dann viele Jahre später Vater einer Tochter geworden war und die Zwillinge unterwegs waren, wusste ich, dass ich meine „Erkerfenster“ endlich veröffentlichen sollte, denn sonst würde ich es wahrscheinlich nie tun. Also tat ich es, bemerkte dabei, dass ich heute viele Dinge anders und besser machen würde und fing wieder an zu schreiben. Die großartige Melanie Haupt übersetzte meine Geschichten und ich schickte die „Bay Windows“ zusammen mit einem Brief in die Hammond Street in Bangor, Maine, an mein Vorbild Stephen King, wie ich es einst geplant hatte.
Mittlerweile hatte ich Dan Simmons entdeckt und die unvergleichlichen Geschichten von Howard Philipps Lovecraft, sodass ich mich durch deren Lektüre auch als Autor weiterentwickelt hatte, ohne es zu merken. Ich stand erneut in Flammen. Und ich schrieb wieder. Planvoller, durchdachter, strukturierter, klarer, besser. So wurde in kurzer Zeit der Großteil meiner neuen Geschichten in Anthologien veröffentlicht, was mir ein paar Preise einbrachte und mich darin bestärkte, auf einem guten Weg zu sein und das Schreiben niemals wieder aufzugeben.
Viele deiner Geschichten werden in Anthologien veröffentlicht. Würdest du sagen, dass die Kurzgeschichte "deine" Ausdrucksform ist?
Absolut. Ich liebe einen guten Roman, gerade Simmons und King schaffen es immer wieder, mich zu fesseln. Aber ich bevorzuge Kurzgeschichten, als Lektüre und Projekt. Der überschaubare Umfang zwingt den Autor sich auf das Wesentliche zu beschränken. Im besten Fall ist kein Wort zu viel. Jeder Satz hat seine Daseinsberechtigung. Alles arbeitet auf etwas hin, das sich vor den Augen des Lesers zu einem Bild entfaltet, einer Pointe, die das Geschehen konsequent zu einem befriedigenden Ende führt. Oder wie Joseph Pulitzer sagte: Schreibe kurz – und sie werden es lesen. Schreibe klar – und sie werden es verstehen. Schreibe bildhaft – und sie werden es im Gedächtnis behalten.
Das ist eine Kunstform. Ich denke auch nicht, dass Kurzgeschichten einfach kürzere Romane sind, sondern eine Gattung für sich. Roald Dahl beherrschte dies meisterlich. Sogar Quentin Tarantino nahm „Der Mann aus dem Süden“ als Inspiration für seine Episode der „Four Rooms“.
Howard Phillipps Lovecraft erschuf ein ganzes Universum mit seinen Erzählungen. Jeffery Deavers Anthologie „Todesreigen“ ist ein originelles Sammelsurium irrwitziger Geschichten. Edgar Allen Poes Erzählungen sind Klassiker der Weltliteratur. Viele fantastische Autoren verlassen sich bei der Realisierung ihrer Visionen auf Kurzgeschichten. Montague Rodes James. Nathan Ballingrud. Richard Matheson. Jonathan Nolan. Steve Rasnic Tem. Auguste Groner. Robert Bloch. Ich befinde mich also in bester Gesellschaft.
So verschieden die Anthologien sind, oft findet man dich in ihnen. Ist es dir wichtig, möglichst viele Genres zu bedienen?
Nicht unbedingt. Wenn mich ein Thema anspricht, nutze ich die Ausschreibungsmodalitäten nur zu gerne als Impuls, egal um welches Genre es sich dabei handelt. Beheimatet fühle ich mich irgendwo in der Fantastik, wo Dinge geschehen, die es in der Realität eigentlich nicht geben kann. Das darf dann komische Züge haben, wie Pratchetts Scheibenwelt, die ich liebe, oder dramatisch und unheimlich sein, wie Lovecrafts kosmische Monstergeschichten. Es darf philosophisch werden oder poetisch, wobei ich gerne mir liebgewonnene Lyrik ins Geschehen bringe, allen voran natürlich William Shakespeares Sonette, die mich seit Jahrzehnten begleiten und nichts von ihrer Faszination einbüßen, gleich wie oft ich sie lese.
Es darf auch wie bei den unglaublich guten Geschichten von Dan Simmons knallhart in eine erwachsene Form von Horror abrutschen, die einem die Schuhe auszieht und nackt zurücklässt, bis ins Mark erschüttert und nachhaltig verändert.
Ich denke, oder bilde mir ein, dass meine Geschichten etwas eint, das sie in jedem Genre unverwechselbar macht. So ist es für mich dann stets eine neue Herausforderung, mich einem mir bisher fremden Genre zu stellen, das mich aus meiner Komfortzone herausholt. Zu Beginn, als ich ohne Übertreibung nur unlesbaren Rotz produzierte, wollte ich auf Teufel komm raus gruselig sein und meinem Vorbild King nacheifern. Mit der Zeit verstand ich, dass das Emotionale beim Lesen zwischen den Zeilen steht, in den Bildern, die beim Leser entstehen. Irgendwann merkte ich, dass ich keine „Jump Scares“ oder Monster brauchte, um einen guten Text zu schreiben, der einen Sog entwickelte und den Leser in seinen Bann ziehen konnte. Und je mehr ich wegließ von den Dingen, die ich einst für unverzichtbar hielt, desto besser wurde meine Schreibe, denn das was übrigblieb, ist das, worauf es wirklich ankommt.
Wie kommen dir deine Ideen zu den Geschichten?
Das ist unterschiedlich. Oft habe ich sofort eine Idee, wenn mich ein Thema anspricht. Manchmal ist es etwas, das ich in einem Film sehe oder etwas aus den Nachrichten, das mich anregt einen Aspekt weiterzuspinnen zu einem Plot. Dann werfe ich ein paar Notizen auf ein Blatt Papier, schreibe einen Titel darüber und lege es in mein Fach im Wohnzimmerschrank. Da liegen mittlerweile so um die vierzig durchgeplottete Ideen, die nur darauf warten, dass ich sie ausformuliere. Und in der Regel ist es die dritte Titelvariation, die sich im Endeffekt durchsetzt.
Es ist auch immer wieder schön etwas mit anderen Autoren gemeinsam zu realisieren und nicht die volle Kontrolle über ein Projekt zu haben. Mit Andreas Dörr sitze ich noch an „Synopsis“, einem Sci-Fi-Roman, den man kapitelweise sowohl vorwärts als auch rückwärts lesen kann. Mit Jana Kiwus konnte ich die Gruselgeschichte „Der Fremde“ für den Elysion-Verlag schreiben, bei der sie den Großteil des kreativen Prozesses übernahm, was eine wirklich tolle Erfahrung war. Und mit Nicole Hobusch ist mit „Immortalis“ etwas entstanden, das sich thematisch von allem abhebt, woran ich vorher beteiligt war.
Im Grunde will ich ein Leseerlebnis schaffen, das neu ist und sich nicht darauf ausruht, alte Formeln von bereits Geschriebenem wiederzukäuen. Ich versuche dann, dem Anspruch gerecht zu werden, meine Geschichten leicht zugänglich, anspruchsvoll und unvorhersehbar zu gestalten.
Hast du bestimmte Rituale, um dich einem neuen Text zu nähern?
Wie bereits gesagt, habe ich oft relativ schnell eine Idee. Ich plotte dann alles Unverzichtbare durch, was nicht so umfangreich ist, wie es vielleicht klingt. Dann setze ich mich in einer freien Minute hin und schreibe. Und der Knackpunkt daran ist: wann hat man dafür Zeit?
Ich arbeite in Vollzeit als Erzieher. Meine Tochter wird nächstes Jahr eingeschult. Meine zwei Jungs sind gerade drei Jahre alt geworden. Es gibt ständig etwas zu tun. Und in der Zeit zwischen Abendrot und Morgengrauen zu schreiben klingt nur romantisch, wenn man außer Acht lässt, dass einem so wertvoller Schlaf abhandenkommt.
Im Prinzip gibt es also für mich kein bestimmtes Ritual, wie ein bestimmter Tee, Räucherstäbchen, Hintergrundmusik, Kuschelkissen oder so etwas. Ich schreibe, wann immer ich Zeit habe. Also schreibe ich öfter nicht, als ich es tatsächlich tue. Auch diese Antworten hier hacke ich zwischen Mitternacht und ein Uhr morgens in meinen Laptop, nach einem Arbeitstag der um 13:45 Uhr begann und um 23:00 Uhr endete. Und nein, das ist kein typischer Tag, aber solche Tage gibt es eben. Und so geht es mir dann auch mit meinen Geschichten. Wann immer ich kann, nähere ich mich einem Text. Wann immer ich die Ruhe und Muße finde mich einem Plot zu widmen, setze ich mich hin und tue mein Bestes, diesen Plot auszuformulieren und zu einer packenden Geschichte zu machen.
Und dann sind mir Stephen Kings Worte ein Trost: Don´t write it right. Just write it. And make it right later.
Ein gutes Lektorat ist dann Gold wert. Ich verlasse mich da voll und ganz auf Petra Ihm-Fahle, deren Arbeit ich sehr schätze und von der ich viel lernen konnte.
Würdest du selbst auch einmal eine Anthologie herausgeben wollen und wenn ja, welches Genre würdest du wählen?
Horror. Definitiv. Dafür schlägt mein Herz. Für die Dinge, die hinter den Schatten lauern, in den Abgründen und verborgenen Winkeln unserer Welt. Es waren immer diese Dinge, die mich als Leser trafen und nachhaltig zeichneten, die unvergessen blieben. Clive Barker hatte mit „Die Bücher des Blutes“ diese Wirkung. Seine Geschichten haben mich überfahren wie ein Zug. Und es war cool. Er hatte eine so starke Vision von dem, was er zu erzählen hatte, dass man mitgerissen wurde. Stephen King hat mit „One for the road“, „Boogeyman“ und „Trucks“ die Weichen gestellt, die mich zu dem Autor machten, der ich heute bin. Und die besten Momente in Dan Simmons Geschichten sind für mich die, in denen sich das Bekannte und Vertraute auflöst und hinter den alltäglichen Dingen etwas zum Vorschein kommt, das eine Art Furcht in einem weckt, die man zuvor noch nie erlebt hat oder sich auch nur vorstellen konnte, das sie existiert. Horror lotet Grenzen aus, bringt einen an den Rand des Abgrunds und verlangt, dass man sich vorstellt, wie es wäre zu springen, zu fallen und auf dem Boden aufzuschlagen. Das ist nicht schön, nicht angenehm und auf keinen Fall leicht, aber es ist existentiell, aufwühlend und intensiv, so wie einem die Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit nur vor Augen führt, wie wertvoll und kostbar das Leben ist.
Du hast gleich mehrere Ideen für neue Geschichten im Kopf. Welche bearbeitest du zuerst?
Diejenige, die sich gut schreiben lässt und für mich konkret, klar umrissen und überschaubar ist. Meist also die kürzere. Oft habe ich bei einer Ausschreibung eine Deadline, was ich als ungemein hilfreich empfinde. Das lässt mir dann keine andere Wahl, als ein Projekt abzuschließen und zu Ende zu bringen. Auch wenn der Alltag sich wieder in den Vordergrund drängen will und ich arbeiten, einkaufen, funktionieren und mein Leben als Vater / Ehemann / Erzieher mit meiner Passion als Träumer / Künstler / Autor in Einklang bringen muss.
„Der Exorzismus der Maria Copperfield“, meine Sherlock-Holmes-Geschichte, die in „En Passant“ im Burgenwelten-Verlag erschien, ist dafür ein gutes Beispiel. Irgendwann, ich glaube nach der Lektüre von „Der Vampir von Sussex“, versuchte ich mich an einer Erzählung des Meisterdetektivs. Ich schaffte ungefähr zwei Seiten, bevor mich die Muse verließ. Über fünfzehn Jahre lang blieb sie unvollendet und gammelte in einer Schublade vor sich hin. Bis zu dem Tag, als ich den Ausschreibungstext des Burgenwelten-Verlags auf Facebook las. Ich kramte die zwei Seiten wieder heraus, plottete das Ding bis zum Schluss durch und schrieb es endlich zu Ende. Und dann korrigierte ich es. Und dann nochmal. Und nochmal. Und dann machte ich „den Sack zu“, beendete dieses Projekt und legte es ad acta. Und begann etwas Neues.
Irgendwer hat mal gesagt: Ein Bild ist nie fertig, man legt nur den Pinsel weg.
Und das ist etwas, das ich mit Mühe lernen musste: eine Geschichte loszulassen.
Nachdem ihr wisst, was Alexander schreibt, könnt ihr hier mehr über ihn erfahren:
instagram.com/alexander_klymchuk_autor
facebook.com/alexander.klymchuk
In diesem Sinne: Fröhliches Lesen und freut euch auf das nächste Interview.