Hallo zusammen.
Heute geht es mit dem Autor Gernot Schatzdorfer weiter:
(Foto: Gernot Schatzdorfer (privat), Grafik: Maximilian Wust)
Wie bist du zum Schreiben gekommen?
Das war im Jahr 2008. Einem Mitmenschen, der mich gut kennt, sind zwei Besonderheiten an mir aufgefallen: Zum einen neige ich zu Rückzug und Alleinsein, zum anderen kann ich sprachlich gut formulieren und auch schwierige Sachverhalte präzise auf den Punkt bringen. So riet er mir zur Schriftstellerei, wo ich beide Eigenheiten verbinden und als Ressourcen zu nutzen kann.
Das erste Buch, was ich von dir lesen durfte, war "Der Lindwurmplanet". Jetzt ist frisch "Insektoid" herausgekommen.
Wie wählst du die Form deiner Außerirdischen?
Eine Inspirationsquelle sind Mythen, Märchen und Sagen. Für den „Lindwurmplaneten“ überlegte ich zum Beispiel, wie man Drachen oder Lindwürmer in einen Science-Fiction-Kontext stellen könnte. Solche archetypischen Figuren sind seit jeher fähig, unsere Emotionen und unser Unbewusstes anzusprechen.
In „Insektoid“ orientierte ich mich an der irdischen Biologie, konkret an Aussehen und Eigenschaften von Insekten. Mir ging es dabei auch darum, mir vorzustellen, wie völlig andersartiger Wesen die Welt und die Menschen wahrnehmen. Durch Facettenaugen sieht die Welt gleich ganz anders aus.
Eines sind meine Außerirdischen bestimmt nicht, nämlich menschenähnlich. Das hat zwar eine lange und in den Lesegewohnheiten auch gut etablierte Tradition in der klassischen Space Opera (Star Trek usw.), ist aber nicht mein Zugang.
Du bist bereits der zweite Physiker, den ich interviewen darf. Empfindest du es so, dass die Jobwahl auch mit einem spezifischen Literaturgeschmack einhergeht?
In meiner Berufsrealität bin ich gar kein Physiker, lediglich von der Ausbildung her, denn ich habe ein Lehramtsstudium für Mathematik und Physik abgeschlossen. Seither arbeite ich als Lehrer, wobei ich in den letzten Jahren gar nicht Physik unterrichtet habe, sondern nur Mathematik und Informatik.
Ich war aber schon in meiner eigenen Schulzeit sehr stark naturwissenschaftlich interessiert und habe damals auch mit dem Lesen von Science Fiction begonnen. Mein Interesse für dieses Genre speiste sich aus meiner Orientierung an Naturwissenschaft und Technik. Das ist bis heute so geblieben, aber inzwischen lege ich das Augenmerk beim Lesen wie auch beim Schreiben stärker auf das Menschliche und Zwischenmenschliche.
Wie kann man sich deinen Schreibprozess vorstellen?
Am Anfang stehen Ideen. Wann immer mir etwas einfällt, schreibe ich es auf. Beispielsweise habe ich vor einiger Zeit einen Bericht über Hinweise auf einen Planeten gelesen, der zur Gänze aus Diamant besteht. Es kann aber auch ein zwischenmenschliches Motiv sein, das ich unter mir nahestehenden Menschen beobachte, etwa zwei Brüder, deren Brüderlichkeit in einer Extremsituation auf die Probe gestellt wird.
Gedankensplitter dieser Art habe ich zu einer inzwischen recht ansehnlichen Sammlung zusammengetragen, die ich laufend ergänze und immer wieder durchlese. Manchmal bleibe ich an einer Idee hängen und greife sie heraus, um eine Story daraus zu bauen. Bei einem längeren Text können auch mehrere Einträge einfließen, weitere kommen dann beim Konzepterstellen ohnehin von selbst dazu. Auch die thematische Vorgabe in einer Anthologie-Ausschreibung kann Ausgangspunkt einer Idee sein.
Dann überlege ich mir ein Rohkonzept für den Text. Dazu gehören die Personen (Hauptperson, Nebenrollen, Gegenspieler), das Setting bzw. der Weltenwurf und die Dramaturgie (Handlungsplot, Spannungsaufbau, Erzählperspektiven). Das alles halte ich auch schriftlich fest.
Das fertige Konzept gehe ich mehrmals durch und versuche es zu verbessern, zum Beispiel, indem ich Inkonsequenzen in der Handlung oder in der Charakterisierung von Personen korrigiere und weiter ins Detail gehe, etwa beim Einbau von Cliffhangern oder der Positionierung entscheidender Höhe- und Wendepunkte.
Bei längeren Texten schreibe ich als nächsten Schritt noch eine Kapitel- oder Szenenübersicht, in der jede Szene mit Ort, Zeit, Perspektive und Handlung beschrieben wird, fast so wie die Kurzfassung eines Filmdrehbuchs. Gelegentlich, wenn mehrere Handlungsstränge parallel laufen, schreibe ich auch einen zeitlichen Ablaufplan.
Im Zuge dieser Vorarbeiten können durchaus auch Wochen oder Monate vergehen.
Dann erst geht es ans Schreiben des eigentlichen Textes. Wenn die Erstfassung fertig ist, optimiere den Text noch in meistens in zehn bis zwanzig Überarbeitungsschritten. Diese Phase benötigt den größen Teil der Entstehungszeit eines Werkes.
Das Ergebnis schicke ich noch meistens an mehrere Testleserinnen und Testleser. Wenn ich deren Rückmeldungen eingearbeitet habe, ist der Text reif für das Einreichen bei einem Verlag.
Dazu gehört bei längeren Texten noch ein Exposé. Das ist aber schnell gemacht, weil mein Konzept ja schon schriftlich vorliegt.
Gibt es einen Text, den du heute anders schreiben würdest?
Ich würde heute alle meine Texte anders schreiben. Schließlich lerne ich mit jedem neuen Text dazu und sehe bei meinen älteren Werken immer wieder Verbesserungsmöglichkeiten. Trotzdem lese ich auch meine alten Texte auch jetzt noch immer wieder mit viel Freude.
Ältere Texte, die ich nach längerer Zeit erstmals oder erneut veröffentliche, überarbeite ich normalerweise noch einige Male, um meinen jetzigen Erfahrungsstand einzubringen. Am Kern ändere ich nichts, es geht eher um handwerkliche Details.
Liest du neben deiner eigenen Schriftstellerei auch aktuelle Science Fiction von anderen Autoren? Oder liest du privat bewusst andere Genres?
Ich lese praktisch immer irgendetwas, und zwar überwiegend Science Fiction. Dabei lese ich nicht bewusst andere Genres, sondern immer dann, wenn mir etwas Interessantes unterkommt. Aber auch in anderen Genres oder im literarischen Mainstream zieht es mich häufig zu Romanen mit phantastischen Elementen.
Was bedeutet Science Fiction für dich?
Science Fiction bietet die Möglichkeit, die Frage „Was wäre, wenn?“ auf kreative Weise zu stellen und zu beantworten. So kann ich meine Faszination für die Ästhetik exakter, logischer Wissenschaft mit meinem Hang zum Träumen verbinden. Ich kann die ganze Bandbreite vom sachlichen Berichten über Spekulation bis hin zum fröhlichen Drauflosfabulieren abdecken und dem Zugang über den Verstand all das hinzufügen, was vom Herzen kommt: Menschlichkeit, Einfühlungsvermögen, Freundschaft und Liebe, aber auch Zorn, Hass und Rachedurst. Dazu kommen zeitlose gesellschaftliche Themen wie Toleranz und Umgang mit dem Fremden, Demokratie und Tyrannei, Freiheit und Sklaverei, Kriminalität und der Umgang damit, und vieles mehr.
Science Fiction ist also keine Flucht vor den menschlich wichtigen Dingen, sondern kann sie in phantasievoller Form auf den Punkt bringen.
Nachdem ihr wisst, was Gernot schreibt, könnt ihr hier mehr über ihn erfahren:
schatzdorfer-graz.at/gernot
facebook.com/Gernot.Schatzdorfer/
In diesem Sinne: Fröhliches Lesen und freut euch auf das nächste Interview.