Donnerstag, 18. Juli 2024

Autoreninterview spezial Rhea Hermes

Hallo zusammen.
Nachdem ich die letzten Interviews hauptsächlich mit Schreiberlingen geführt habe, darf ich euch dieses Mal die Antworten der Psychologin Rhea Hermes vorstellen. Was sie mit der Schreiberei zu tun hat? Lest selbst.

(Foto: Rhea Hermes privat, Grafik: Maximilian Wust)

Wie bist du zum Schreiben gekommen?
Oh. Ich würde sagen, das kam durch meine Begeisterung für Abenteuer-geschichten. Als Kind habe ich abends im Bett zum Beispiel die Geschichten von Enid Blyton verschlungen und konnte vor lauter Abenteuer-Fantasien kaum einschlafen. Tagsüber versuchte ich dann, diese Geschichten nachzuspielen. Ich rannte durch die Gegend, über die Felder und durch den Wald, und suchte verschollene Schmugglerschätze und verborgene Geheimgänge. Wenn das aufgrund des Wetters nicht möglich war, verbrachte ich Stunden damit, die Geschichten mit Buntstiften und Wachsmalkreide auf Papier zu bringen und meine Ideen wie auf einer Bilderbuchseite in Worte zu fassen. Einige dieser Geschichten existieren noch heute (lacht).
Sie sind nicht sehr lang und voller Rechtschreibfehler, aber eine unglaublich wertvolle Erinnerung.
Ich glaube, darum hat es sich auch so natürlich angefühlt, dass mein Debüt-Buch ein Abenteuerroman für Kinder wurde. »Die Geheimnisse der Pfefferbucht« wird bald zwei Jahre alt und ich denke oft an die gemeinsame Reise, auf die ich mich mit Lily, Kieran und Charli, meinen kleinen Protagonist*innen, begeben habe.

Du hast mir erzählt, du arbeitest gerade an deinem ersten Ratgeber. Wie legst du hierbei die Schwerpunkte?

Viel kann ich über das Buch leider noch nicht verraten, hoffe jedoch, dass ich es im Herbst an die ersten Testleser*innen übergeben kann. Im Grunde tue ich das, was ich schon jeden Tag mit großer Leidenschaft tuen darf: Ich tauche in die menschliche Psyche ein und hoffe, dass ich dabei so viele Leser*innen mitnehmen kann wie möglich. Ich versuche, wie auch in meinen Beiträgen auf Instagram, auf verständliche und vor allem unterhaltsame Weise Einblicke zu geben und abseits der Pop-Psychologie aufzuklären. Wichtig ist es mir immer, wissenschaftliche Erkenntnisse mit den Erfahrungen
aus meiner eigenen Privatpraxis zu verbinden. Ich bin der festen Überzeugung, dass Wissen uns befähigt. Befähigt, selbst viel für unsere mentale Gesundheit und unser Wohlbefinden tun zu können. Unser Gehirn ist ein faszinierendes Organ und ein ganz fantastisches Werkzeug, aber es hat eben seine kleinen Macken (lacht)
Der Ratgeber ist im übertragenen Sinn eine Art Reiseführer für diejenigen, die sich selbstbewusst auf Neuanfänge einlassen wollen, aber unsicher oder ängstlich sind, wie ihr Weg aussehen könnte, und noch vor den Herausforderungen und mentalen Hindernissen zurückschrecken.

Auf deinem Instagram gibst du Tipps und erstellst Umfragen. Wie wichtig ist aus psychologischer Sicht die Wortwahl?
Durch die Wahl unserer Worte können wir unsere persönlichen Bewertungen und Meinungen ausdrücken und bestimmte Stimmungen und Bilder erzeugen. Zum Beispiel kann die Beschreibung eines Protagonisten als »müde ins Bett sinkend« oder als »erschöpft ins Bett fallend« ganz unterschiedliche Emotionen bei Leser*innen hervorrufen. In Aktionsszenen können Worte wie »ineinander krachen« direkt Tempo vermitteln, ohne dass die Details des Aufpralls beschrieben werden müssen, weil wir innerhalb derselben Sprache oft sozial geteilte Vorstellungen mit einem ganz bestimmten Wort und seiner Kraft verknüpfen. So können Worte auch gezielt genutzt werden, um zu beruhigen, zu vermitteln oder eben auch um Angst zu schüren und unangenehme Gefühle zu erzeugen.
Allerdings hat auch das seine Grenzen, denn Leser*innen bringen immer ihre eigenen Erfahrungen und Vorstellungen in einen Text ein, was ein natürlicher und normaler Prozess ist. Diesen Einfluss kann ich als Verfasser*in von Texten aber niemals kontrollieren. Und es erfordert sehr bewusste Anstrengungen, sich möglicherweise auf eine völlig andere oder neue Perspektive und Wahrnehmung einzulassen – sowohl beim Verfassen als auch beim Konsumieren von Texten.
 
Kommen wir zur Literatur: Was liest eine Psychologin in ihrer Freizeit?
Du meinst neben Fachliteratur (lacht). Ich mag vor allem Geschichten, über denen ein Geheimnis liegt. Das kann der historische Familienroman ebenso gut sein wie der spannende Krimi. Und ich mag tatsächlich auch Bücher, in denen es kein klassisches Happy Ending gibt.
Damit stoße ich allerdings häufig auf Unverständnis (lacht)

Wenn du Romane oder Krimis liest, was ist dabei dein Eindruck? Spiegeln sich Autor*innen in den Geschichten selbst oder schaffen sie Figuren, die weit ab von ihrer eigenen Persönlichkeit sind?
Du meinst, ob Krimi- oder Thrillerautor*innen alles versteckte Serienmörder sind? (lacht)
Aus psychologischer Sicht gibt es dazu tatsächlich sehr unterschiedliche Ansätze. Autor*innen können ganz bewusst oder unbewusst Teile ihrer eigenen Persönlichkeit einfließen lassen. Das passiert womöglich auf Basis starker Selbstreflexion. Manchmal projizieren sie ihre eigenen Ängste, Wünsche oder Erfahrungen auf die Figuren, die sie schaffen, weil ihnen dieses Spektrum an Emotionen vielleicht besonders vertraut und bekannt ist.
Auf der anderen Seite nutzen Autor*innen ihre Kreativität, um Charaktere zu erschaffen, die weit von ihrer eigenen Persönlichkeit entfernt sind. Sie können ganz wunderbar in die Rolle von Mörder*innen, Detektiven oder anderen fiktiven Figuren schlüpfen. Hierbei geht es weniger um Selbstreflexion, sondern mehr um die Kunst des Erzählens. Und um die Fähigkeit, gedanklich andere Perspektiven einzunehmen und Ereignisse anders wahrzunehmen, als sie es vielleicht im Alltag tun.
Auch intensive Recherche kann Autor*innen in die Lage ihrer Charaktere versetzen und ihnen die  Möglichkeit geben, Gedanken und Gefühle nachzuvollziehen. Dies erfordert mitunter ein gewisses Maß an Empathie und die Fähigkeit, sich in unterschiedliche Persönlichkeiten und Emotionen hineinfühlen zu können.
Insgesamt ist es vermutlich eine Mischung aus persönlicher Erfahrung, kreativer Freiheit und empathischer Vorstellungskraft. Besonders spannend finde ich es immer, wenn Autor*innen auf mich zukommen, um mich bezüglich Persönlichkeitseigenschaften oder psychologischen Prozessen nach Unterstützung zu fragen - was ich übrigens immer sehr gerne tue, soweit es meine Zeit zulässt. Es ist total schön zu sehen, wie intensiv sich viele Autor*innen mit bestimmten Themen bereits befasst haben und was für ein großartiges Verständnis sie durch ihre Arbeit und Recherchen bereits haben. Oft sind vielleicht nur noch feinste Nuancen – meist im Verständnis von psychologischere Begrifflichkeiten – zu klären.

Was sagt die Wahl des Genres über die Autor*innen aus?
Es kann ganz unterschiedliche Gründe haben, warum sich Autor*innen für das eine oder andere Genre entscheiden. Es kann durchaus auf Persönlichkeits-merkmale oder persönliche Interessen hinweisen. Wer zum Beispiel sehr offen ist, im Sinne der Persönlichkeitstheorie, und Vorlieben für Mysterien und Rätsel hat, schreibt womöglich lieber humorvolle Krimis oder düstere Thriller.
Autor*innen können die Wahl des Genres aber auch von ihren eigenen Erfahrungen abhängig machen. Ein/e Autor/in, der/die viel über Liebe und Beziehungen nachdenkt, könnte sich für Romane in diesem Genre entscheiden. Auch gesellschaftliche Trends oder der Zeitgeist können sich widerspiegeln. In Zeiten politischer Unsicherheit oder sozialer Veränderung, tendieren mehr Autor*innen zu dystopischen Romanen oder erschaffen konträre Helden-Welten.
Es kann jedoch genauso gut sein, dass Autor*innen ganz bewusst Genre wählen, die sie herausfordern, in denen sie neue Ideen ausprobieren wollen – abseits ihrer ganz eigenen Erfahrungen und Lebensrealität.
Und die Realität zeigt uns auch, dass es einige Autor*innen gibt, die aus großer Leidenschaft und Interesse heraus in dem einen Genre begonnen haben und am Ende erfolgreich in einer ganz  anderen Richtung unterwegs sind. Insgesamt ist die Wahl des Genres vielschichtig und ganz individuell. Es gibt keine festen Regeln – von persönlichen Interessen bis hin zu »durch Zufall dazu gekommen« ist alles möglich.

Wie menschlich sind Buchcharaktere deiner Meinung nach?
Es kann sich sehr stark unterscheiden, wie sehr Buchfiguren aus psychologischer Sicht echten Menschen ähneln. Manche Charaktere können sehr komplex sein und eine Reihe von Emotionen, Motivationen und inneren Konflikten aufweisen und im Laufe der Geschichte Entwicklungen durchlaufen. Diese Figuren sind vielseitig und mehrdimensional, haben Schwächen, Stärken und eine einzigartige Persönlichkeit, die sie wie echte Menschen wirken lässt. Ich denke, dass wir uns gerade mit solchen Figuren beim Lesen auch sehr viel schneller und stärker identifizieren.
Andererseits gibt es auch eher stereotype Charaktere, die vereinfachte oder übertriebene Eigenschaften aufweisen. Diesen Figuren fehlt es möglicherweise an Tiefe oder realistischen Beweggründen, und ihr Verhalten wirkt künstlich oder klischeehaft.
Letztlich hängen die menschlichen Qualitäten der Buchfiguren von der Fähigkeit und Kreativität der Autor*innen ab, vollständige und glaubwürdige Charaktere zu schaffen. Eine gut geschrieben Figur wird psychologisch reichhaltig und fesselnd sein und beim Lesenden Gefühle hervorrufen. Umgekehrt kann es natürlich auch passieren, dass es Autor*innen zwar meisterhaft schaffen, authentische und komplexe Figuren zu erschaffen, einige Leser*innen aber dennoch enttäuscht sind, da sich die Figuren in einer für sie völlig unerwarteten Weise verhalten. Die Frage ist dann, ob die Autor*innen den Leser*innen einen wichtigen Entwicklungsschritt vorenthalten haben oder ob die Leser*innen stereotype Vorstellungen haben oder sich vielleicht so stark mit der Figur identifizierte, dass ihr Verhalten einfach nur dem persönlichen Erfahrungs-horizont widerspricht – es ist tatsächlich nicht einfach, alle Leser*innen zufrieden zu stellen. Selbst als ganz fantastische/r und ausgezeichnete/r Autor/in wirst du deine Kritiker finden, die ein Verhalten unglaubwürdig, nicht nachvollziehbar oder für unrealistisch halten.
Aber auch das ist irgendwie wieder sehr menschlich, oder? (lacht) Wir kennen das ja vielleicht auch aus unserem Alltag. Sowohl im positiven wie negativen Sinne können uns Menschen überraschen, weil wir aufgrund dessen, dass eine Person zum Beispiel eher still und zurückhaltend auf uns wirkt, gar nicht mit so einem Nachdruck und engagiertem Handeln in einer ganz bestimmten Situation gerechnet hätten (lacht)

Nachdem ihr Rhea kennengelernt habt, könnt ihr hier mehr über sie erfahren:
neuronensalto.de
instagram.com/neuronensalto

In diesem Sinne: Fröhliches Lesen und freut euch auf das nächste Interview. 

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