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Donnerstag, 31. März 2022

Gytha Lodge "Neben wem du erwachst"

Kann man den Schrecken von Louise nachvollziehen? Da wacht sie nach einer völlig durchzechten Nacht auf und findet neben sich im Bett einen Mann. 
Dies ist nicht ihr Ehemann.
Dieser Mann ist tot. 
Und sie erinnert sich an: Nichts.
Völlig panisch verwischt sie ihre Spuren, um im Anschluss die Polizei zu rufen, welche unter der Führung von DCI Jonah Sheens schnell bemerkt, dass hier vieles nicht zusammenpasst.
Erinnert sich die Frau wirklich nicht mehr? Wo starb der Mann und warum lag er bei ihr im Bett?
Mit dem dritten Band um DCI Jonah Sheens schafft es die Autorin wieder den Leser in die Wirren des menschlichen Geistes zu entführen, denn wer von den Personen sagt die Wahrheit?
Warum verschweigen einige Zeugen bewusst irgendwelche Details oder soll man ihnen wirklich glauben, dass sie sich erst Tage später an Ereignisse erinnern können?
Hat Louise im Übrigen einen Filmriss oder tut sie nur so, um die Ermittler an der Nase herum zu führen?
Psychologisch wie schon der vorherige Band auf hohem Niveau lässt Gytha Lodge den Leser nicht zur Ruhe kommen. Meint man in der Meinung gefestigt zu sein, was passiert ist, kommt eine Wendung a la Agatha Christie daher, die man nicht hat kommen sehen und man muss sich erstmal sammeln, um die neuen Hinweise mit den bestehenden Fakten überein zu bekommen.
Das Buch verlangt vom Leser volle Konzentration, denn ansonsten entgeht einem der entscheidende Hinweis. 
Die häufigen Perspektivwechsel erhöhen ebenfalls den Druck auf den Leser.
Mir persönlich hat das zweite Buch besser gefallen. Mir lag die Geschichte mehr als die im dritten Band, denn in diesem war mir von allem ein bißchen zuviel (spoilerfreie Formulierung).

4 von 5 Betten

Maria Isabel Sánchez Vegara "Charles Dickens"

Weil sich Bücher im Rudel immer wohler fühlen als allein, gab es natürlich auch noch die Ausgabe einer meiner liebsten Autoren: Charles Dickens. 
Auf den bekannten 32 Seiten nimmt uns das Buch mit in die Kindheit von Charles Dickens, die so unglaublich prägend für seine spätere schriftstellerische Tätigkeit war. 
Das Buch verknüpft wunderschön die Kindheitserinnerungen von Charles Dickens mit seinen ersten literarischen Figuren, in dem der Autor seine Romanfiguren auf den Comicseiten selber trifft, eine Umsetzung, die mir sehr gut gefällt.
Als Charles Dickens Leser erfährt man auf diesen paar Seiten nicht viel Neues und doch ist das Buch wie die anderen der Serie eine schönes Kleinod, in dem es sich zu blättern lohnt! (Ob die Autorin wohl Bestellungen für weitere Autoren annimmt 😇?)
Wie immer, wenn ich etwas über Charles Dickens lese, bin ich hin und her gerissen, was doch letztlich mein Lieblingswerk von ihm ist. 
Meistens tendiere ich zu "Eine Weihnachtsgeschichte", Scrooge mit seinem Geld zählen und seiner Verbitterung, die drei Geister, es ist für mich der Inbegriff von viktorianischer Literatur und dann denke ich an die Berichte, die er über London geschrieben hat. Denn er war auch für Zeitungen als Reporter tätig. Ein Mann mit vielen Facetten und trotzdem oftmals so zerrissen.
Jeder sollte einmal Charles Dickens gelesen haben und dieses kleine Buch bietet einen gelungenen Einstieg.

5 von 5 Geistern

Mittwoch, 30. März 2022

Susanne Popp "Die Teehändlerin"

Es gibt diese Bücher, unter denen man sich etwas anderes vorstellt. Bücher, bei denen man von gewissen Gegebenheiten ausgeht. Wenn man diese Bücher dann liest und feststellt, dass diese Gegebenheiten nicht so sind, wie man es sich erhofft hat, neigt man dazu das Buch zu beschuldigen, doch liegt es am Buch oder eher am Leser?
Gerade ist es mir mit "Die Teehändlerin" passiert.
Mit diesem Buch entführt uns die Autorin nach Frankfurt. Genauer gesagt in das Frühjahr 1838, als der Kaufmann Tobias Ronnefeldt sich vorbereitet die Anbaugebiete des von ihm importierten Tees in China zu besuchen. Ein Prokurist ist eingestellt, alle Vorbereitungen laufen, doch dann fällt der Prokurist plötzlich aus, ein neuer muss daher und nichts von dem Besprochenen läuft in Abwesenheit von Tobias so, wie er es für richtig erachtet hätte. Da muss seine Frau Fredericke doch eingreifen, oder?
So kommt sie als Frau eines Kaufmanns hinter die Ladentheke und auf den ersten Spott braucht der Leser nicht lange zu warten. Doch wird sie sich durchsetzen?
Und nun? Was war mein Problem? Nun es waren zwei Dinge. Zum einen kam mir, und dabei blieb es bis zum Schluss, zu wenig über Tee vor. Natürlich wurde über Tee geschrieben und er kam auch nicht nicht vor, aber ich hätte mir mehr Details gewünscht:
Wieviel Tee verwendete man damals für die Herstellung einer guten Tasse Tee?
Wie lange brauchte es von China über England oder die Niederlande nach Deutschland etc.?
Wieviel Tee verkaufte sich am Tag?
Interessant fand ich, dass auch schon damals nicht nur Tee sondern auch anderweitige ostindische Artefakte im Laden erwerblich waren.
Zum anderen trägt das Buch den Titel "Die Teehändlerin". Lange Teile des Buches beschäftigen sich mit der Zeit bevor sie hinter die Theke geht und auch sonst wird berichtet über ihre Schwestern, über ihren Schwager, über einen Arzt, über andere Frauen, kurzum "die Teehändlerin" kam mir zu kurz. Allerdings muss ich sagen, als ich das Buch zu Ende gelesen habe, das vieles, obwohl es nicht "die Teehändlerin" ist, "die Teehändlerin" formt. Alle Figuren begleiten sie auf dem Weg, alle Figuren beeinflussen sie und das Buch zeigt ein Frankfurt in der Biedermeier-Zeit, in der es zum Umbruch kam, wie eine Frau gesellschaftlich wahrgenommen wurde. Somit war der Begriff der Teehändlerin hier weiter gefasst, als ich es erst für mich wahrgenommen hatte.
Abschließend gibt das Nachwort Aufschluss, was wahr und was Fiktion ist, ein wichtiges Element für mich bei historischen Büchern.

4 von 5 Teetassen

Maria Isabel Sánchez Vegara "Hans Christian Andersen"

Vor einiger Zeit erwähnte ich bereits, dass ich die Reihe Little people, big dreams sehr schön finde. Da es inzwischen allerdings so viele Bände gibt und das Thema mit dem Bücherregal ist wohl jedem Buchsammler bekannt, habe ich mich darauf beschränkt, lediglich die Bücher zu sammeln, die sich mit Autoren befassen.
Das Leben eines Autoren auf 30 Seiten zu beschränken, mag vielleicht herzlos erscheinen, allerdings gewährt das Buch lediglich einen Eindruck in das Leben und unterstellt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
So habe ich mich mit diesem Band auf die Reise in Hans Christian Andersens Leben gemacht. 
Wusstet ihr, dass er ursprünglich ans Theater wollte und erst recht spät eine Schule besucht hat, um richtig Dänisch schreiben zu können?
Mit in meinen Augen wunderschönen Illustrationen sieht man Hans Christian, wie versucht Shakespeare zu geben, wie er von der Liebe enttäuscht wird, um letztlich auf seinem Schwan durch die Lüfte zu gleiten.
Ein abschließender Zeitstrahl umfasst noch einmal wichtige Stationen in Hans Christians Leben und bildet so ein informatives Ende dieses schönen Buches.
Solltet ihr die Reihe noch nicht kennen, es gibt auch Bücher über Entdecker, Forscher, Musiker, Sportler... Schaut doch vorbei. Es gibt sie inzwischen auch auf Deutsch, da ich aber auf Englisch angefangen habe, bleiben es bei mir auch immer die englischen Ausgaben.

5 von 5 Märchen

Dienstag, 29. März 2022

Piper Rayne "Twist of a love affair"

Die Zwillinge Denver und Rome Bailey erleiden den Albtraum eines jeden Mannes, als eine junge Frau kommt in Romes Restaurant gestürmt und behauptet, dass das Kind auf ihrem Arm seines wäre. Sie wolle einen DNA-Test, sprach es und ward schon wieder verschwunden. Schier alle Baileys sind sprachlos über diesen Auftritt und doch steht direkt die Frage im Raum, gibt es bereits eine neue Generation Bailey? Nach langem Hin und Her kommen zumindestens bruchstückhaft die Erinnerungen zurück und Rome kann sich an Harley erinnern. 
Doch einfach so will er den DNA-Test nicht machen, trotz all seiner Vorgeschichte möchte er das kleine Mädchen und somit auch zwangsläufig seine Mutter kennenlernen und überredet sie nicht sofort wieder abzureisen, sondern in paar Tage bei ihm und seinen Geschwistern zu bleiben, doch wie lange sind ein paar Tage?
In üblicher Bailey-Struktur wird auch im dritten Band der Reihe um die Geschwister Bailey immer im Perspektivwechsel aus Sicht von Rome und Harley erzählt. Beide erzählen über ihre Ängste und Sorgen, beide sind gebrandmarkt und haben ihre Vergangenheit. 
Mal feinfühlig, mal witzig, mal nahezu tiefsinnig baut sich die Geschichte auf, ohne dabei zu "schwere Kost" zu sein.
Eine Geschichte, um von den eigenen Problemen abzulenken und sich gleichzeitig bewusst zu machen, dass jeder im Leben Menschen hat, denen er vertrauen kann, man muss nur wissen, wer diese sind.

4 von 5 DNA-Tests

H. G. Wells "Die Zeitmaschine"

Er ist zurückgekehrt. Er ist zurückgekehrt aus dem Jahr achthundertzweitausendsiebenhundertundeins um seinen werten Kollegen von der Zukunft zu berichten, die er als Zeitreisender gesehen hat. Mit seiner Maschine ist er durch die Zeit gereist und hat einen Blick auf die zukünftige Menschheit geworfen, denn, man mag es kaum glauben, es gibt selbst in dieser Zeit noch Menschen. Sicherlich haben sie mit den Menschen seiner Zeit nicht viel gemein, aber sie leben noch auf der Erde. Doch sind die Einschätzungen des Zeitreisenden, die er in der gemütlichen Runde von sich gibt, denn wirklich nachvollziehbar? Er selbst merkt immer wieder an, dass er erst den einen und dann einen ganz anderen Eindruck von den Menschen, der Zivilisation und deren Gefüge hatte, um sich dann im Laufe der 144 Seiten das ein oder andere Mal zu korrigieren. Kann er seine Geschichte beweisen oder ist er ein Fantast? 
Ein Klassiker, der mit seiner Kürze komprimiert daher kommt und doch ein wichtiges Thema umfasst: Wie stellt sich ein Autor im Jahr 1895 die Zukunft vor und meine viel dringlicher Frage, warum reist man genau in dieses bestimmte Jahr? (Wer eine Antwort darauf weiß, möge bitte jetzt sprechen. 😉)
Zeitreisen, Dystopien und all ihre anderen Subgenres zielen in meinen Augen auf diesen Klassiker, denn obwohl das Buch beinahe 130 Jahre zählt, könnte das Buch auch in der heutigen Zeit geschrieben sein. Die Ideen, die Struktur und vieles anderes in diesem Buch könnte und kommt in den modernen Bücher namenhafter Autoren auch heute noch vor. 
Die Erzählperspektive ist gut gewählt und als Leser fühlt man sich durch kleine Kniffe mitten im Buch und kann den Zigarrenqualm riechen und das knisternde Feuer im Hintergrund hören, während man dem Erzähler in seinen Ausführungen folgt. Gesprächsfetzen ringen dem Leser ein Lächeln ab, denn der Autor schien schon damals genau zu wissen, wie die Leserschaft auf sein Buch reagieren würde und bindet dies fließend in seinen Text ein. Das einzige, was mich jeweils verwirrt zurücklässt, ist die Sache mit den Krebsen, aber das ist eine andere Geschichte. 

4 von 5 Zeitreisenden

Montag, 28. März 2022

Editha Weber "Gartenkünstlerinnen"

Um es mit den Worten von Emily Dickson einzuläuten, "Blüten und Bücher, die großen Seelentröster." 
So scheint es, als ob es kaum eine bessere Kombination als Bücher und Gärten gibt und über drei sehr außergewöhnliche Gärtnerinnen weiß dieses schmale Buch zu berichten.
Gertrude Jekyll, Vita Sackville-West und Constanze Spry sind auf ihren drei Lebenswegen auf so unterschiedliche Weise an das Gärtnern gekommen und doch haben sie drei alle etwas gemeinsam: Sie haben alle drei auf ihre Art des Gärtnerns und das Verständnis vom Gärtnern verändert.
Das Buch ist naheliegend in drei Abschnitte unterteilt, wobei sich jeder Abschnitt einer Gärtnerin widmet. Wie kam sie zum Gärtnern, was war ihr größter Erfolg beziehungsweise wofür ist sie hauptsächlich bekannt.
Alle drei werden dabei auch in den historischen Kontext gesetzt und ihr Lebenslauf mit dem Weltgeschehen verglichen. Untermalt mit einzelnen Fotos ihrer Werke wird dem Leser auch anschaulich dargebracht, was diese drei Frauen geleistet haben.
Über die vielen Details der Lebensläufe kann man auch Rückschlüsse auf die Gärten ziehen, denn da die Gärten als Rückzugsorte gelten, drücken sie gleichzeitig viel über die jeweilige Persönlichkeit der Gärtnerin aus.
Vornehmlich richtet sie das Buch ans Liebhaber der Gartenkunst, aber auch geschichtlich interessierte Leser finden hier kleine Anekdoten, die sie aus dem Buch mitnehmen und sie zugleich schmunzeln lassen, denn: "
In einem Garten ging das Paradies verloren, in einem Garten wird es wiedergefunden" (Blaise Pascal).

4 von 5 Gärten

Sonntag, 27. März 2022

Traian Suttles "Best of Sixty"

Ein weiteres Buch über Sherlock Holmes zu schreiben, ist ein Projekt, dass dem Autor eine noch größere Kreativität abverlangt, als es Bücher ansich schon tun. Denn nicht nur im Bereich des Pastiches gibt es zahlreiche Bücher mit und über Sherlock Holmes, nein, auch in der Sekundärliteratur hat der consulting detective Einzug gehalten.
Seien es seine Forschungen, seine Routen durch London oder er selbst als Leitfigur des viktorianischen Zeitalters, der in einem Buch untersucht wird (welch wunderbare Ironie).
Der Autor hat sich in diesem Buch daran begeben die 15 besten Sherlock Holmes Geschichten zusammenzustellen.
Über die Jahre hinweg, angefangen mit Arthur Conan Doyle, hat es immer wieder Abstimmungen darüber gegeben, welche die besten Sherlock Holmes Geschichten seien. Ausgehend von dem jeweiligen Jahrzehnt, in welchem die Abstimmung stattfand, über welches Land hat abgestimmt, bis hin zu, haben Männer oder Frauen abgestimmt, gibt es bei den 60 Geschichten, teilweise Übereinstimmungen, aber auch große Unterschiede.
Der Autor hat bei der jeweiligen von ihm ausgesuchten Geschichten immer vorangestellt, wie die Geschichte in den jeweiligen Abstimmungen abgeschnitten hat, um dann in eine detaillierte Inhaltsangabe überzuleiten. Er spannt den Bogen zwischen einzelnen Geschichten, zeigt Parallelen in Handlungen, Personen oder Situationen auf.
Man merkt hier schon, dass er trotz der Inhaltsangaben, eine gewisse solide Grundkenntnis des Kanons voraussetzt, um mit seinem Buch darauf aufzubauen.
Mit einer unverblümten Sprache zergliedert er die Texte und zeigt, warum für ihn diese Geschichten, die besten 15 sind, wobei je nach Geschichte die Erörterung unterschiedlich lang ausfällt.
Man muss das Buch sehr konzentriert lesen, da der Autor sich mit den Querverweisen und den Hintergrundrecherchen sehr viel Mühe gemacht. Doch gerade deshalb lässt sich das Buch "nicht am Stück" lesen. Der Sprachstil ist zwar flüssig, aber die schiere Informationsdichte verlangt dem Leser einiges ab.
Als Sherlock Holmes Kenner findet man in diesem Buch nicht grundlegend neue Informationen, aber es werden dem neigten Leser Zusammenhänge offenbart, die einem bei 56 Kurzgeschichten schon einmal durchgehen können.
Zuletzt sei gesagt, seine Auswahl entspricht nicht meinen 15 besten Geschichten, aber über Geschmack lässt sich nicht streiten.

3,5 von 5 Lupen

Freitag, 25. März 2022

Debbie Tung "Quiet girl"

Zunehmend wird die Welt lauter, unruhiger und komplizierter. 
Hektik hier, falsche Freunde da und obendrein ein Berg voller Arbeit, den man "zusammen" mit anderen bewältigen soll. Für Debbie ein Albtraum.
Debbie ist hochgradig introvertiert und mit Menschen kann sie nicht all zuviel anfangen, denn:
Menschen sind laut,
Menschen sind anstrengend,
Menschen saugen ihr die Kraft aus.
Kommt dir bekannt vor?
Dann nimm doch mal diesen Comic zur Hand. Vielleicht findest du dich selber wieder.
Sicherlich sind einige Dinge überspitzt, aber vieles kann der gestresste Leser, und ich denke hier, das betrifft nicht nur die Introvertierten, aus seinem Alltag wiederfinden und das eine oder andere zustimmende Nicken wird Debbie mit ihren Comics erhalten.
In der Umsetzung recht schlicht gehalten, erhält der Comic Debbies "Lebensgeschichte". Sie zeigt, wann sie in welchen Situationen strauchelt, wann es ihr zuviel wird und wie einzelne Menschen sie auf Kurs halten können, bis sie erkennt, dass mit ihr nichts "falsch" ist, sondern dass sie lediglich anders ist und das ist gut so.
Gerade dieser Aspekt hat mir besonders gut gefallen, man muss sich nicht verstellen, denn die richtigen Leute trifft man gerade dann, wenn man genau man selbst ist und diese Menschen wollen keine "Show".
Das Buch macht Mut, sich mit sich selbst auseinander zu setzen und die vermeintlichen Schwächen in Stärken zu verwandeln und das mit einer sehr herzlichen Art.

4 von 5 Kohlestiften

Donnerstag, 24. März 2022

Timothy Holme "Venezianisches Begräbnis"

Die Strafversetzung von Achille Peroni passt ihm selber so gar nicht.
In Neapel ist er "der Mann der Polizei", in Venedig, ja was ist er eigentlich?
Sicherlich wird ihm mit Respekt begegnet, dafür eilt ihm sein Ruf auch bis nach Venedig voraus. Allerdings sind die Venezianer schon ein ganz einiges Volk. Allein ihr Gewese um die Gondeln. Neben Vaporetti die Fortbewegungsmittel. Sogar eine historische Regatta wird für die Gondolieri durchgeführt und alle wollen sie dabei. Dabei geht es auch hier nicht immer legal zu, im Hintergrund werden die Wetteinsätze abgegeben, Personen werden bestochen und überhaupt alles ganz großes Kino. Doch im Vorfeld zu der Regatta stirbt ein Anwalt, der mit den Gondolieri zusammenarbeitet. Sein Büro ist durchwühlt und er selbst wurde auf dem Heimweg tödlich verletzt. Was wusste der Anwalt, dass er mit seinem Leben bezahlen musste?
Peroni macht sich mit seinen Kollegen an die Arbeit und so verschlungen die Wasserstraßen Venedigs sind, so verschlungen sind auch die Gründe für diese Tat.
Mit gemächlichem Tempo beginnt dieser klassische Krimi seine 250 Seiten. Man spürt auf den ersten Seiten schon das Dolce Vita und man ist schnell von der Stadt und den Personen eingenommen. Trotz seiner Überheblichkeit kann man sich mit Peroni relativ schnell anfreunden und ihn durch die Ereignisse begleiten. Was allerdings stört, ist das zu große Personal. Sicherlich ist es wichtig, dass man bei einem Krimi nicht schon auf Seite 10 weiß, wer der Mörder ist, aber ein wenig Durchsicht wäre schon manchmal nett gewesen. Schlungen hier, schlungen da und immer wieder noch eine weitere Möglichkeit, wer der Täter sein könnte, macht das Lesen zeitweise ein wenig anstrengend und auch die lateinische Ergüsse des tragen dazu bei, dass man letztlich froh ist, wenn das Buch endet.
Die Lösung und das Motiv sind dabei sehr schlüssig, das Lokalkolorit ein Traum, kurzum, es ist nicht mein Lieblingskrimi, aber die Idee war schon richtig gut.

3 von 5 Gondeln

Agneta Pleijel "Doppelporträt"

Jeder Mensch ist ein Kaleidoskop an Verhaltensweisen, Gefühlen und Wünschen. Sie auszusprechen ist für die meisten Menschen schon schwierig, doch ist man Engländerin und noch dazu verschüchtert, wagt man sich emotional nur äußerst selten aus dem Schneckenhaus. Auch, oder gar weil, sie berühmt war, war Agatha Christie die meiste Zeit ihres Lebens eher eine Beobachterin, was sich in den vielen Geschichten und Personen ihrer unzähligen Kriminalromane widerspiegelt. Sie beobachtete ihr Umfeld stets genau, doch sie selber öffnete sich nur wenigen Menschen und schwieg zumeist.
Als ihr 80. Geburtstag näher rückt, beschließen ihr Enkel und ihr Ehemann, dass ein Porträt von ihr gemalt werden soll und zwar von niemand anders als Oskar Kokoschka. Der Maler, der für seine eigene Interpretation von Gemälden bekannt ist, soll die schüchterne Autorin aus der Reserve locken, um ihr Innerstes nach außen zu kehren. Keine leichte Aufgabe.
So beginnt er in der ersten von sechs Sitzungen über sein Leben zu erzählen, seine Zeit mit Alma Mahler, seine ersten Aufträge, um eine Verbindung zu schaffen und sie auf das Werk vorzubereiten. Denn wenn sie nicht spricht, kann er nicht malen.
Auf gut 220 Seiten präsentiert uns die Autorin ein Doppelporträt von zwei sehr unterschiedlichen Charakteren des 20. Jahrhunderts.
Unterscheidliche Kindheit, unterschiedliche Länder, die Erlebnisse des Krieges, alle diese Themen beeinflussen das Gespräch der beiden während ihrer Sitzungen. Sie überraschen einander mit ihren Äußerungen, denn obwohl sie sich nicht kennen, haben sie ein gewisses Bild vom jeweils anderen für sich im Kopf.
Ein fiktives Gespräch, welches aber so nah an der Realität zu sein scheint, dass man als Leser mit ihnen im Raum ist, die Pinselstriche hört und Mrs Christies Augenrollen sieht, wenn Herr Kokoschka wieder über die Stränge schlägt.
Ein Buch für Kunstinteressierte, für historisch Interessierte und natürlich für Agatha Christie Fans.

5 von 5 Pinselstrichen

Mittwoch, 23. März 2022

Britta Röder "Zwischen den Atemzügen"

Ein... und ausatmen... Ein... und ausatmen...
So selbstverständlich das Atmen für uns ist, so selbstverständlich erscheint uns auch oftmals unser Leben. Die kleinen Dinge, die das Leben täglich bereichern, werden ausgeblendet, weil man höher und weiter strebt und zu beschäftigt ist, den Augenblick zu genießen und sich bewusst zu machen, dass nach dem nächsten Atemzug alles anders oder sogar alles vorbei sein kann.
Ollis Job ödet ihn an, jeden Tag der gleiche Kram und irgendwie ist es nicht so wirklich das, was er tun wollte. Leokadia ist von ihrem Leben zwar nicht angeödet, aber auch sie fühlt sich in ihrer Haut zur Zeit nicht allzu wohl, was eigentlich maßlos untertrieben ist. Als beide per Zufall aufeinander treffen, scheint es so, als ob das Schicksal sie zusammengeführt hat und nichts ist in diesem Moment einleuchtender, als dass sie sich zusammen aufmachen, um die Stadt Frankfurt zu verlassen und somit auch ihre Probleme hinter sich zu lassen. Doch bei diesem mehr als spontanen Roadtrip stehen die beiden immer mit einem Fuß über einem vermeintlichen Abgrund, denn der Tod ist ihnen ein ständiger Begleiter und somit ziehen die beiden unwillkommene Aufmerksamkeit auf sich. Denn wann kann es Zufall oder Schicksal sein und wann steckt doch ein allzu menschlicher Plan dahinter?
Szenenwechsel, Personenwechsel, Stimmungswechsel, all diese verschiedenen Formen der Stilmittel verwebt Britta Röder in ihrem Buch über das Schicksal zu einer Geschichte, die nicht das abgehalfterte "Versuche jeden Tag zum schönsten deines Lebens zu machen" benötigt, um dem Leser das Gefühl zu geben, das man sich oftmals in einem Hamsterrad befindet. Sicherlich ist das Leben in vielerlei Hinsicht davon geprägt, was wir vermeintlich tun müssen, doch ist es nicht oft so, dass man sich mit einer Situation schlichtweg abfindet, obwohl man sie manchmal auch mit nur minimalsten Aufwand ändern könnte?
Ein Buch, das zeigt, dass man oftmals den Anschub braucht, um im Leben etwas zu ändern, was einen quasi über Nacht glücklicher werden lässt.
Ein Buch, was die Augen für die kleinen und schönen Momente des Lebens öffnet. Eine liebe Nachricht hier, eine Umarmung dort, ein Lächeln oder einfach ein gutes Gespräch mit einem Menschen, der einen nicht verändern will, sondern in ihm das sieht, was man selbst vor lauter Alltag nicht zu sehen vermag.
Danke für dieses Buch.

5 von 5 Atemzügen

Dienstag, 22. März 2022

Herausgeberinterview Christoph Grimm

In der Welt der Literatur begegnen uns Lesern nicht nur die Autoren, sondern es gibt auch eine weitere Gruppe von Menschen, die sich um das Publizieren von Büchern bemühen.
Herausgeber.
Selbst auch mal als Schreiberlinge tätig, prangern sich oftmals auf dem Buchcover ohne vom Leser wirklich wahrgenommen zu werden. Geht es ihm doch eher um die Geschichten und die dafür verantwortlichen Autoren.
Einen Blick hinter die Kulissen und speziell zu der Arbeit an seiner neuesten Anthologie hat uns Christoph Grimm gewährt. Was er zu den Themen Auswahl, Anekdoten und Realismus zu erzählen hat, lest selbst:


Nach "Fast menschlich" und "Dunkle Rituale" folgt nun "Alien Contagium", wie wählst du die Themen für deine Anthologien?
Mein geschätzter Autorenfreund und Lektor Sven Haupt hat im Klappentext seiner Anthologie „Der endlose Kreis“ angegeben, dass der Zauber einer Kurzgeschichtensammlung darin zu finden ist, dass die Leser nie wissen, was sie im jeweils nächsten Kleinod erwartet.
Die große Stärke einer Anthologie liegt in der Gratwanderung zwischen Harmonie und Abwechslung. Daher suche ich nach Themen, die einerseits viele Menschen ansprechen – wer, ob SF-Fan oder nicht, fragt sich nicht, wohin die Entwicklungen künstlicher Intelligenzen geht oder ob wir allein im All sind? – und andererseits inhaltliche sehr unterschiedliche Geschichten erlauben.

Was ist für dich schwerer, selbst zu schreiben oder eine Anthologie zusammenzustellen?
Als Herausgeber stehe ich gewissermaßen nur vor dem literarischen Äquivalent eines Büffets, und muss mir überlegen, welche der Köstlichkeiten auf meinem Teller Platz finden, welche gut miteinander harmonieren, ob weniger nicht mehr ist etc. Ich würde sagen, selbst einen Gaumenfreuden zu kreieren ist schwieriger, als sie zu konsumieren.

Was muss eine Geschichte haben, damit du sie für eine Anthologie in Erwägung ziehst?
Grundsätzlich muss ein Text eine handwerkliche Grundgüte haben, damit er in die engere Auswahl kommt. Wichtig ist mir jedoch eine frische, originelle Herangehensweise. Bei jedem Thema – ob Androiden oder Erstkontakt – sind manche Ideen naheliegend. So manche Geschichte, die für sich genommen gut gelungen ist, habe ich bei der Zusammenstellung nicht berücksichtigt, weil sie sehr bekannten Geschichten zu ähnlich sind oder verhältnismäßig oft variiert werden. Ich habe daher eher nach originellen Ideen oder ungewöhnlichen Geschichten Ausschau gehalten.

Wie wichtig ist dir Realismus in den Geschichten?
99,9 % aller SF-Geschichten sind mehr oder weniger unrealistisch. Auch wenn mich Geschichten aus dem Segment der Hard SF (bspw. die Romane Andy Weir, Kim Stanley Robinson oder Brandon Q. Morris) oder mit vorstellbaren Entwicklungen unserer Zukunft besonders reizen, ist für mich in erster Linie wichtig, dass die Welt der Geschichte in sich schlüssig ist. Dafür braucht es Regeln. In einer Fantasygeschichte darf Magie nicht alles können, in der Sciencefiction darf Technik nicht alles ermöglichen. In Star Trek akzeptiere ich, dass Captain Kirk gebeamt werden kann – aber nicht, dass er das von sich aus oder über unbegrenzte Distanzen kann.

Was ist die lustigste Anekdote bei der Schöpfung von "Alien Contagium"?
In einem Forenthread wurde die Darstellung eines gut sichtbaren, weiblichen Hinterteils auf einem Cover diskutiert. Generell werden in der SF-Literatur verhältnismäßig oft leicht bekleidete Damen auf die Cover gehievt. Fast schon öfter, als das All zu sehen ist. Wir sind es derart gewohnt, dass es uns kaum noch auffällt. Ohne dies explizit an meinen Coverdesigner Detlef Klewer herangetragen zu haben, wünschte ich mir ein Bild, auf dem ein „Covermodel“ auf jeden Fall adäquat für eine Erstkontakt-Mission gekleidet ist.

Hat man als Herausgeber in der jeweiligen Anthologie eine Lieblingsgeschichte?

Nein, ich finde jede Geschichte auf ihre Art und Weise gelungen. Manche Autor:innen sind handwerklich etwas versierter als andere, doch mein Gefallen finden sie alle. Ich möchte einen Vergleich zur Musik ziehen: Mit welcher objektiven (!) Begründung könnten so unterschiedliche Kurz-Werke wie „Minnie the Moocher“, „Spanish Train“, „Dust in the wind“, „In the air tonight“, „Ballade pour Adeline“, „Bat out of Hell“, „Roots bloody roots“, „Breaking the habbit“ oder „Rollin‘ in the deep“ bewertet werden? Jedes dieser Stücke hat seinen eigenen Charakter und jegliche Wertung wäre subjektiv. (In meinem Fall ist es von Tagesform und Laune abhängig, ob ich mir von Max Cavalera und Eric Adams etwas vorkreischen oder von Chris de Burgh oder Adele etwas vorsäuseln lassen will).
Als Herausgeber überlege ich mir eher, welche Stücke in einem Gesamtwerk – der Anthologie - nebeneinander Sinn ergeben und trotz ihrer Unterschiedlichkeit nebeneinander harmonieren. „Ballade pour adeline“ neben „Roots bloody roots“? Dann eher „Rollin‘ in the deep“ neben „Dust in the wind“, oder?

In "Alien Contagium" geht es um den ersten Kontakt mit Außerirdischen. Was wäre dein erster Satz an einen Außerirdischen?
Ich bin fest davon überzeugt, dass Neil Armstrong seinen berühmten „Ein kleiner Schritt …“- Satz monatelang vor der PR-Abteilung der NASA aufsagen musste, ehe er ihn auf dem Mond zum Besten geben durfte. Wem würde in solchen einem Moment diese eleganten Worte einfallen? Vermutlich wäre mein erster Satz so etwas wie „Holy guacamole“, „Fuck“ oder „Aaaaah!“. Sollte ich mich vorbereiten können, wäre es wahrscheinlich etwas in der Richtung „Wir sind noch jung. Habt Geduld.“

Wenn du einen Pitch für "Alien Contagium" schreiben müsstest, wie würde dieser lauten?
Hier verweise ich doch gerne auf den Klappentext 😉.

Hättet ihr mit diesen Antworten gerechnet? Ich fand es auf jeden Fall spannend einen Blick hinter die Kulissen werfen zu dürfen. Vielleicht ergibt sich erneut eine solche Möglichkeit. Ich würde mich freuen.

Montag, 21. März 2022

#AutoralsAlienkenner: Erin Lenaris

Hallo zusammen. Zur Veröffentlichung der neuen Anthologie "Alien Contagium" habe ich mir in Zusammenarbeit mit dem Eridanus-Verlag eine Sonderausgabe von #AutoralsLeser ausgedacht. Sieben Tage lang, stellen sich sieben Autoren den drei Fragen zu #AutoralsAlienkenner. Jeden Tag gibt es einen Beitrag mit einem Autor der Anthologie.

Heute mit dabei: Erin Lenaris

Welches Klischee zum Erstkontakt kannst du nicht mehr lesen?
Technologisch haushoch überlegene Aliens greifen die Erde an und unterjochen/vernichten die Menschheit, um unsere Ressourcen auszubeuten... 😶 Wenn wir Menschen die "final frontier" des Alls literarisch erschließen, sehen wir uns dagegen lieber als heldenhafte Entdecker. Leider ist die Angst vor dem Fremden eine treibende Kraft für viele von uns, daher funktioniert der klassische Plot in Hollywood noch immer.

Welche bekannte Erstkontakt-Geschichte kannst du wieder und wieder lesen?
Abgrundtief böse, potthässliche und poetisch völlig unbegabte Aliens zerstören die Erde, um Platz für eine intergalaktische Hyperraum-Autobahn zu schaffen... 👍
Douglas Adams' "Per Anhalter durch die Galaxis" begeistert mich heute noch ebenso wie vor 20 Jahren. Die Satire rund um den Durchschnittsbriten Arthur Dent und seinen extraterrestrischen Freund Ford Prefect wird für mich immer die brillanteste SciFi-Komödie bleiben!

Was macht deine Erstkontakt-Geschichte aus?
I don't want to believe - Sarah betreibt zwar ein Diner im UFO-Stil, das vor seiner Schädigung durch Hurricane Katrina bei den Alien-Touristen in Pensacola sehr erfolgreich war, kann sich die tatsächliche Existenz von Aliens aber beim besten Willen nicht vorstellen. Doch plötzlich behauptet ein Stammgast, er habe außerirdisches Leben entdeckt... Ob in der Geschichte nun wirklich Aliens vorkommen, müsst ihr selbst entscheiden. 😛

Mit diesen Antworten enden sieben Tage und damit auch sieben sehr unterschiedliche Interviews. Ich hoffe, die kleine Reihe hat euch gefallen. Vielen Dank an die Autorinnen und Autoren, die sich für die Interviews Zeit genommen haben.

#AutoralsAlienkenner: Sven Haupt




Hallo zusammen. Zur Veröffentlichung der neuen Anthologie "Alien Contagium" habe ich mir in Zusammenarbeit mit dem Eridanus-Verlag eine Sonderausgabe von #AutoralsLeser ausgedacht. Sieben Tage lang, stellen sich sieben Autoren den drei Fragen zu #AutoralsAlienkenner. Jeden Tag gibt es einen Beitrag mit einem Autor der Anthologie.

Heute mit dabei: Sven Haupt

Welches Klischee zum Erstkontakt kannst du nicht mehr lesen?
Erstkontakt-Geschichten gehören heutzutage zu den anspruchsvollsten Setups der Science-Fiction, da jeder Leser über einen gewaltigen Fundus an Motiven verfügt, welchen er sich aus unzähligen Filmen, Serien und Büchern zusammengesammelt hat. Ich lese seit 35 Jahren Science-Fiction und fürchte mich deswegen regelrecht vor ein paar dieser Setups, welche schon lange tot im Graben liegen und besser nicht mehr verwendet werden sollten. Dazu gehören Aliens, die planen die Menschheit zu vernichten, um die Rohstoffe der Erde zu plündern, und/oder die Menschheit versklaven, essen oder als Haustier halten wollen.
Nicht viel besser sind Aliens, welche gottgleich und weise sind, aber an unserer Gier und Dummheit scheitern.

Welche bekannte Erstkontakt-Geschichte kannst du wieder und wieder lesen?
Ich vermute jetzt einfach, dass diese Frage sich auch auf Werke jenseits der Anthologie beziehen soll. Mein Favorit ist „Blindsight“, ein Science-Fiction Roman des kanadischen Autors Peter Watts aus dem Jahre 2006. Der Roman beschreibt den ersten Kontakt der Menschheit zu einer außerirdischen Intelligenz und hier lässt der Autor alle anderen Werke in diesem Genre meilenweit hinter sich. Watts hat es als einziger Autor geschafft in seinem Werk die Kontaktaufnahme der Menschheit zu einer außerirdischen Intelligenz auf eine Weise zu beschreiben, die mich vollkommen überzeugt hat. Die Begegnung ist fremdartig, vollständig unverständlich und zutiefst verstörend.

Was macht deine Erstkontakt-Geschichte aus?
Ich verstehe die Frage leider nicht. Ich beantworte stattdessen die Frage wie die Geschichte entstanden ist, weil das (glaube ich) in eine ähnliche Richtung zielt:

Oft bin ich (gerade für Anthologien) mit Themen beschäftigt, zu denen mir absolut nichts einfällt. In einem solchen Fall ist es nicht schlecht eine Strategie zu haben. Wenn ich nicht weiß, was ich machen soll, frage ich mich gerne, wie es wäre, wenn ich das exakte Gegenteil von dem mache, was von mir verlangt wird. Was also, wenn ich nicht über einen ersten Kontakt schreibe, sondern über einen letzten? Macht erstmal keinen Sinn. Wann sollte das passieren? Nun, am Ende allen Seins. Wer würde einen letzten Kontakt zum ersten Mal aufnehmen, wenn sowieso alles zu einem Ende kommt? Nun, vielleicht jemand, der das Ende nicht akzeptieren will. Aber was würde man retten wollen, wenn alles endet? Nun, wahrscheinlich das Wichtigste. Was ist den bitte das Wichtigste? Nun, was wäre denn für die Menschheit das Allerwichtigste, und wo wir gerade dabei sind, was wäre das Gegenteil davon? Das führte mich zu der Frage, wie jemand, der mich überhaupt nicht versteht und mich niemals treffen wird, herausfinden soll, was für mich das Wichtigste ist. Der Rest ergab sich dann von selbst. 

Morgen gibt es schon das letzte Interview dieser Reihe.

Samstag, 19. März 2022

#AutoralsAlienkenner: Detlef Klewer


Hallo zusammen. Zur Veröffentlichung der neuen Anthologie "Alien Contagium" habe ich mir in Zusammenarbeit mit dem Eridanus-Verlag eine Sonderausgabe von #AutoralsLeser ausgedacht. Sieben Tage lang, stellen sich sieben Autoren den drei Fragen zu #AutoralsAlienkenner. Jeden Tag gibt es einen Beitrag mit einem Autor der Anthologie.

Heute mit dabei: Detlef Klewer

Welches Klischee zum Erstkontakt kannst du nicht mehr lesen?
Ist jetzt nicht unbedingt ein Klischee, aber ich reagiere allergisch auf den Satz: "... nach Hause telefonieren."

Welche bekannte Erstkontakt-Geschichte kannst du wieder und wieder lesen?
Eine meiner all-time-favourites ist immer noch Alan Dean Fosters "Alien" - nach dem Drehbuch von Dan O' Bannon. Daher landet natürlich auch die Verfilmung von Ridley Scott immer mal wieder im Player.


Was macht deine Erstkontakt-Geschichte aus?
Nun, ich habe versucht dem Ganzen eine satirische Note abzugewinnen. Denn wahrscheinlich sind Außerirdische - wenn sie denn existieren - weder die Guten (die in einer beleuchteten Christbaumkugel als Heilsbringer erscheinen), noch die Bösen (die uns mit Todesstrahlen verdampfen wollen), sondern ganz normale Wesen mit den gleichen Fehlern wie wir Menschen ...

Morgen stellt ein weiterer Autor seine Antworten zum Erstkontakt vor.

Freitag, 18. März 2022

#AutoralsAlienkenner: Michael G. Spitzer



Hallo zusammen. Zur Veröffentlichung der neuen Anthologie "Alien Contagium" habe ich mir in Zusammenarbeit mit dem Eridanus-Verlag eine Sonderausgabe von #AutoralsLeser ausgedacht. Sieben Tage lang, stellen sich sieben Autoren den drei Fragen zu #AutoralsAlienkenner. Jeden Tag gibt es einen Beitrag mit einem Autor der Anthologie.

Heute mit dabei: Michael G. Spitzer

Welches Klischee zum Erstkontakt kannst du nicht mehr lesen?
Einen genervten Augenverdreher kann man bei mir sehen, wenn die ersten Worte des "Ankömmlings" lauten: Wir kommen in Frieden!
Da klappen bei mir die Zehnägel hoch *lach*

Welche bekannte Erstkontakt-Geschichte kannst du wieder und wieder lesen?
Du meinst, außer meiner? *lach*
Ich muss gestehen, dass ich neben Dystopien bisher nur SciFi-Bücher gelesen habe, die schon mitten in der Handlung sind und der Erstkontakt längst stattgefunden hat oder gar keine "Aliens" vorkommen. Daher hat es mich auch gereizt, eine solche Geschichte zu schreiben. Meine Erfahrungen bezüglich Erstkontakten resultieren ausschließlich aus Filmen und Serien.

Was macht deine Erstkontakt-Geschichte aus?
Dass das Ergebnis zunächst eindeutig erscheint, jedoch immer wieder kippt. Der Leser begleitet ausschließlich eine einzige Person in ihrem Handeln. Und diese ist sich darin alles andere als sicher.

Morgen stellt ein weiterer Autor seine Antworten zum Erstkontakt vor.

Donnerstag, 17. März 2022

#AutoralsAlienkenner: Sebastian Schaefer

Hallo zusammen. Zur Veröffentlichung der neuen Anthologie "Alien Contagium" habe ich mir in Zusammenarbeit mit dem Eridanus-Verlag eine Sonderausgabe von #AutoralsLeser ausgedacht. Sieben Tage lang, stellen sich sieben Autoren den drei Fragen zu #AutoralsAlienkenner. Jeden Tag gibt es einen Beitrag mit einem Autor der Anthologie.

Heute mit dabei: Sebastian Schaefer

Welches Klischee zum Erstkontakt kannst du nicht mehr lesen?
Eigentlich gibt es für mich kein unlesbares „Klischee“ als solches, kein tatsächliches Ausschluss-Motiv, auch wenn natürlich auch bei mir manches mehr Interesse als anderes weckt. Ich glaube, es geht mir eher um die jeweilige Ausführung, die Art und Weise der Darstellung, die Charaktere, die individuellen Konstellationen und, nicht zu vergessen, sondern sehr wichtig, den Schreibstil. Wir haben natürlich auch gerade bei dem Thema Erstkontakt Wiederholungen. Dies liegt allerdings schon ein wenig in der Natur der Sache und vielleicht insbesondere in zwei Dingen begründet.

Zum einen haben wir da die Begegnung mit Unbekanntem. Fremdes trifft auf Fremdes. Daraus ergeben sich für beide Seiten doch immer auch ähnliche Fragen: „Gefällt mir, was ich sehe? Verstehe ich es? Ist es gefährlich? Was will es? Interessiert mich das überhaupt?“ oder vielleicht auch einfach schlicht und ergreifend: „Kann man das essen?“

Zum anderen entdeckt man bei den Distanzen in den sprichwörtlichen unendlichen Weiten des Weltalls zumeist auch nicht so ganz leicht außerirdisches Leben, wenn es nicht gerade in Form kleiner grüner Männchen in der erreichbareren Nachbarschaft auf dem Mars beheimatet ist oder vielleicht seit Urzeiten verborgen im Inneren der Erde auf seinen großen Auftritt wartet.

Das führt in klassischen Geschichten häufig dazu, dass eine der beiden Parteien (oder auch eine dritte Partei, auf deren Werk und Wissen zurückgegriffen wird) weit fortgeschritten und zumindest technisch immens überlegen ist. Man trifft den jeweils anderen einfach sehr selten ohne Wurmloch, Warpantrieb oder Metaraumer.

Grundsätzlich ist das alles nicht schädlich und kein wirklicher Hinderungsgrund für eine gute Geschichte, wie ich finde, sondern birgt hingegen doch auch Vorteile. Wenn der Schreibende es als Herausforderung gesehen, angenommen und tatsächlich gemeistert hat, kann er so den geneigten Leser mit Unerwartetem und überraschendem Lesevergnügen belohnen.

Welche bekannte Erstkontakt-Geschichte kannst du wieder und wieder lesen?
Hier muss man sich ganz generell schon etwas Zeit nehmen, weil der Begriff „Erstkontakt-Geschichte“ im Sinne der Begegnung mit Außerirdischen eigentlich mehr “Material“ umfasst, als man zunächst annehmen mag. H. P. Lovecrafts Erzählungen der Horrorliteratur um den sogenannten Cthulhu-Mythos handeln nicht etwa von Teufeln und Dämonen, sondern von uralten, außerirdischen Wesen. Der unbezwingbare Namensgeber der Superman-Comics stammt vom Planeten Krypton und beim Erstkontakt als Säugling seinen Zieheltern aus dem Himmel in den Schoß und selbst Der kleine Prinz, dem der Erzähler im Werk von  Antoine de Saint-Exupéry nach seinem Flugzeugabsturz in der Wüste begegnet, ist letzten Endes ein Außerirdischer, der von einem kleinen Asteroiden stammt, der kaum größer als ein Haus ist. Sie sind also überall.

Meine persönliche Wahl fällt jedoch auf das Buch "Die dreibeinigen Monster", den Sammelband, der die drei Romane "Dreibeinige Monster auf Erdkurs", "Das Geheimnis der dreibeinigen Monster" und "Der Untergang der dreibeinigen Monster" von John Christopher vereint. (Eigentlich findet der richtige Erstkontakt zur Menschheit in dem später von Christopher geschriebenen Prequel "Die Ankunft der dreibeinigen Monster" statt, aber mir reichen die ursprünglichen Teile für die Entscheidung vollkommen aus.) Als Kind habe ich schon die zwei Staffeln umfassende BBC-Serie geliebt und gemeinsam mit dem Kauf des Sammelbandes, der das aus Kostengründen und wegen mangelnder Quote unverfilmte dritte Buch umfasst, hat mich die Geschichte begeistert und wahrscheinlich auch geprägt. Ich möchte trotz der Bekanntheit nicht spoilern, aber der Erstkontakt der Protagonisten findet streng genommen sogar zweimal statt. Äußeres und Inneres…

Ich gebe eine klare Leseempfehlung auch für Erwachsene ab.

Was macht deine Erstkontakt-Geschichte aus?
Auch hier versuche ich wieder, nicht zu viel zu verraten. Ich habe in meiner Geschichte „Von dieser Welt“ versucht, ein für das Thema „Erstkontakt“ nicht zu “gewöhnliches“ Setting auszuwählen und bei der eigentlichen Handlung auch keinen ausgetretenen, geraden Pfad zu beschreiten. Wäre der Titel der Anthologie nicht „Alien Contagium“ könnte man beim Lesen anfänglich erst einmal etwas ganz anderes vermuten, eine andere Geschichte, als diejenige, die einen wirklich erwartet. Wie auch sonst lege ich wie auch in meinen Romanen weiter großen Wert auf meinen eigenen Stil mit besonderem Augenmerk auf Wortwahl und Sprache, auf bildhafte Beschreibungen und besondere Charaktere. Aber was soll ich noch groß reden: Einfach selber lesen und sich ein Bild machen.

Morgen stellt ein weiterer Autor seine Antworten zum Erstkontakt vor.

Mittwoch, 16. März 2022

#AutoralsAlienkenner: Manuel Otto Bendrin


Hallo zusammen. Zur Veröffentlichung der neuen Anthologie "Alien Contagium" habe ich mir in Zusammenarbeit mit dem Eridanus-Verlag eine Sonderausgabe von #AutoralsLeser ausgedacht. Sieben Tage lang, stellen sich sieben Autoren den drei Fragen zu #AutoralsAlienkenner. Jeden Tag gibt es einen Beitrag mit einem Autor der Anthologie.

Heute mit dabei: Manuel Otto Bendrin
 
Welches Klischee zum Erstkontakt kannst du nicht mehr lesen?
Alle Aliens sprechen Englisch.
 
Welche bekannte Erstkontakt-Geschichte kannst du wieder und wieder lesen?
Ich muss hier gestehen, dass ich kein SciFi-Leser bin, mit nur wenigen Ausnahmen. SciFi ist für mich untrennbar mit Filmen verbunden. Von daher ist die Liste von "Erstkontakt-Geschichten" echt überschaubar und keine davon würde ich als "bekannt" einstufen. Aber eine Geschichte, die mich sehr beeindruckt hat, wegen ihres unorthodoxen Umgangs mit dem Thema, ist "Die Fremden" von Gordon R. Dickson.

Was macht deine Erstkontakt-Geschichte aus?
Ich denke, meine Geschichte macht aus, dass sie sich nicht ganz ernst nimmt. Es gibt einiges Vertrautes, einiges, was die Vorstellungskraft herausfordert. Aber ich bin mir sicher, dass die meisten Leser über die Alltäglichkeit der Probleme schmunzeln können.

Morgen stellt ein weiterer Autor seine Antworten zum Erstkontakt vor.

Dienstag, 15. März 2022

#AutoralsAlienkenner: Nele Sickel


 
 
Hallo zusammen. Zur Veröffentlichung der neuen Anthologie "Alien Contagium" habe ich mir in Zusammenarbeit mit dem Eridanus-Verlag eine Sonderausgabe von #AutoralsLeser ausgedacht. Sieben Tage lang, stellen sich sieben Autoren den drei Fragen zu #AutoralsAlienkenner. Jeden Tag gibt es einen Beitrag mit einem Autor der Anthologie.

Den Anfang macht: Nele Sickel

Welches Klischee zum Erstkontakt kannst du nicht mehr lesen?
Geschichten, in denen Aliens die Menschheit ohne Vorwarnung angreifen und vernichten wollen, bloß um die Rohstoffe der Erde in Besitz zu nehmen, habe ich sowas von über. Erstens: Rohstoffe gibt es auch auf unbewohnten Himmelskörpern. Das wäre für alle einfacher. Zweitens: In solchen Geschichten treten die Aliens meist nur als austauschbare Monster auf, die es zu töten gilt. Da gibt es kaum echten Kontakt.

Welche bekannte Erstkontakt-Geschichte kannst du wieder und wieder lesen?
Ich liebe John Scalzis „Agent der Sterne“. Ist das bekannt genug? Die Idee, dass Aliens PR-Services in Anspruch nehmen, um einen gelungenen Erstkontakt mit den Menschen zu bewerkstelligen, finde ich jedenfalls großartig. Ansonsten bin ich der Meinung, dass unabhängig davon, was man von Orson Scott Card menschlich halten mag, die verschiedenen Erstkontakte in seiner „Ender‘s Game“-Reihe wahnsinnig interessant gestaltet sind.

Was macht deine Erstkontakt-Geschichte aus?
Meine Geschichte „Werdendes Leben“ spielt mit der Wahrnehmung der Perspektivträgerin und wirft die Frage auf, was Menschen ausmacht und ob wir auch etwas Neues werden könnten.

Morgen stellt ein weiterer Autor seine Antworten zum Erstkontakt vor.

Montag, 14. März 2022

Christoph Grimm "Alien Contagium"

Man nehme ein Thema. Ein ganz beliebiges. Man bitte Autoren darum, hierzu eine Geschichte zu schreiben. Erstaunlicherweise kommt es trotz des vorgegebenen Themas dazu, dass die Autoren völlig unterschiedliche Texte einreichen. Nicht nur inhaltlich wird das Thema verschieden interpretiert, sondern auch die jeweiligen Umstände werden in der Anthologie auf eine Bandbreite aufgefächert, die erstaunlich ist.
Denn:
Wer sagt zum Beispiel, dass uns der Erstkontakt erst noch bevorsteht?
Wer sagt denn, dass wir die gebildetere Spezies sind?
Wer sagt, dass wir erkennen, dass uns nicht ein Mensch gegenüber steht?
Wie schon in den vorigen Anthologien, da wiederhole ich mich gerne, sind die 23 Geschichten individuell. Keine Geschichte greift das inhaltliche Thema einer anderen auf, alle haben ihre Sprache. Einige sind philosophisch angehaucht, einige sind ernst, einige sind witzig und einige lassen den Leser die eine oder andere Träne vergießen (vor Rührung oder Trauer müsst ihr schon selbst herausfinden).
So oft das Thema in Filmen, allerdings in meinen Augen weniger in Büchern, schon vorkam, so schafft es Christoph Grimm mit dieser Anthologie wieder jeden Leser abzuholen. Denn in der Anthologie ist, da lehne ich mich aus dem Fenster, für jeden Leser eine Geschichte dabei, die ihn oder sie berührt. Selbst für Leser, die wie ich nicht allzu viel Science Fiction lesen, finden sich Geschichten, bei denen es mehr um das "Zwischenmenschliche", wenn man das in Zusammenhang mit Alien so sagen darf, als um die Technik dahinter geht.
Die Geschichten bilden zusammen einen Spannungsbogen, wie eine gut zusammengestellte CD, die den Hörer bzw in diesem Falle Leser durch alle Gefühle steuert, um zum Schluss mit einem Paukenschlag abzuschließen.

4,5 von 5 Erstkontakten

Petra Johann "Der Buchhändler"

Auch wenn der Umzug für Erik Lange eher überstürzt daher kommt, die Buchhandlung in dem kleinen bayerischen Dorf ist ein Traum. Vieles kann er von dem Vorbesitzer übernehmen und doch gelingt es ihm mit ein paar kleinen Veränderungen dem Laden seine individuelle Note einzuhauchen. Die Wohnung über dem Laden kann er auch direkt mieten. Wenn der Grund für seinen Umzug nicht so traurig wäre, könnte er sich hier noch wohler fühlen.
Viele Dorfbewohner besuchen seinen Buchladen und kaufen auch bei ihm. Die Volleyballtruppe nimmt ihn in ihre Reihen auf und der anschließende wöchentliche Ratskellerbesuch darf auch nicht fehlen. Eingeladen zu Geburtstagsfeiern fühlt er sich von der Gemeinschaft aufgenommen, bis...
Bis ein kleines Mädchen verschwindet. Ist sie weggelaufen? Was ist mit ihr passiert? Menschen, die sich jahrelang kennen, können sich auf einmal nicht mehr in die Augen schauen, denn ist der Zweifel erst einmal gesät...
Das Thema, welches die Autorin mit dem Verschwinden eines kleinen Mädchens aufgreift, ist in vieler Hinsicht ein sehr sensibles. Was Eltern in diesen Situationen durchmachen müssen, wie die Polizei versucht mit Feingefühl nicht von Anfang an den Teufel an die Wand zu malen. Wie eine Gemeinschaft von Freunden binnen Stunden zerbrechen kann, all das beschreibt die Autorin mit soviel Feingefühl, dass man als Leser in der Lage ist, die Schwere dieser Thematik auszuhalten.
Jede Figur erfüllt ihren Zweck, jede noch so kleine Nebenhandlung schließt sich in das komplette Bild ein. Nichts ist zufällig. Viele Schicksale prallen aufeinander und wie so oft, ist nichts so, wie es am Anfang scheint. 
Wem wird Unrecht getan? Was ist Unrecht? Allein darüber nachzudenken könnte man weitere Bücher füllen, denn darf man einen Menschen dafür verurteilen, was er ist oder muss man ihn nach seinem Handeln beurteilen?

4 von 5 Geständnissen

Mittwoch, 9. März 2022

Sophie Cleverly "Violet und Bones"

Eigentlich ist Violet Victoria Veil ein ganz normales junges Mädchen. Aber auch nur eigentlich. Denn ihr Vater ist Bestatter und Violet lebt mit ihrer Familie direkt neben dem Seven Gates Friedhof. Somit ist Violet an den Tod in jeglicher Form gewohnt, zumal sie auch ab und zu das Gefühl hat, dass die Geister des Friedhofs zu ihr flüstern.
Doch ist es eine ganz andere Erfahrung, wenn plötzlich ein vermeintlich Totgeglaubter aus der Leichenhalle stolpert. Doch der junge Mann, Oliver, kann sich nicht erinnern, wie er in die Leichenhalle kam und dass er bereits der fünfte ungewöhnliche Tote sein soll, scheint ihm schier unglaublich.
Doch die Ereignisse überschlagen sich und als die Polizei die falsche Fährte einschlägt, ist es an Violet die wahren Ereignisse auf und um den Friedhof zu ergründen, denn es steht viel auf dem Spiel.
Im viktorianischen England eine junge Ermittlerin einzuführen, erfordert schon eine gewisse Portion Courage. Aber gerade das ist es auch, womit dieser Jugendkrimi immer wieder spielt. Konventionen auf der einen Seite, auf der anderen Seite die schiere Wand der Fassungslosigkeit und Bürokratismus. Nein, ein Mädchen darf nicht im Geschäft helfen, nein, ein Mädchen macht sich nicht die Finger schmutzig und nein, Geister hören, gibt es nicht. Eines der häufigsten Wörter das Violet begegnet ist "Nein" und dies in jeglicher Fasson. Dabei ist sie es, die ruhig bleibt, wenn es hektisch wird, die nicht zur Hysterie neigt, wenn es aussichtslos scheint. 
Der Handlungsspielort und auch der Beruf des Vaters spielen eine zentrale Bedeutung für das Buch und man setzt sich dadurch viel mit dem Thema "Tod" auseinander. Das Buch ist dabei aber nicht nur melancholisch. Es hat auch seine lustigen Seiten. Der Hund Bones, der ebenso wie sein Frauchen, zu einem übersinnlichen Gespür neigt, der junge Oliver, der sich erst nach und nach in seine Rolle einfindet. Jede Figur sitzt am richtigen Platz und obwohl das Buch sich an ein jüngeres Publikum richtet, hat mir die Lektüre sehr gut gefallen.

4,5 von 5 Mausoleen 

Sonntag, 6. März 2022

Dirk Husemann "Die Beute - Auf der Flucht mit der Mona Lisa"

Pierre Delort will diese Aufgabe nicht. Nicht nachdem was in Madrid geschehen ist und doch holen ihn die Ereignisse ein, als er mit seinem Vorgesetzten im Jahr 1939 den Louvre betritt. Es geht um nichts Geringeres, als den Louvre zu evakuieren. Die Gemälde, die Skulpturen, die Teppiche, alles soll an einen oder mehrere sichere Orte in Frankreich gebracht werden, um die Kunst zu schützen. Sie soll nicht während des bevorstehenden Krieges beschädigt. geraubt und damit auch verschleppt werden. 
Alle Planungen und alle Vorbereitungen kommen allerdings zum Erliegen, als der Krieg schneller ausbricht, als alle Beteiligten es befürchtet hatten. Alle Ideen, Besprechungen und versprochenen Hilfen fallen fast ersatzlos weg, weil ein anderes Ziel in den Mittelpunkt des Interesses rückt: die Landesgrenzen zu schützen. So kommt es, wie es kommen muss, mit kleiner Besetzung und geringstmöglichen Equipment wird der Louvre leergeräumt und dies ist nur der Anfang der Geschichte.
Während die Welt im Chaos versinkt, ist es an einer kleinen Gruppe von Menschen, die Kultur und das Rückgrat des nationalen Verständnisses zu sichern. Dabei stellt sich gerade die Hauptfigur fortwährend die Frage, was ist wichtiger; Menschenleben zu retten oder die Kultur des Landes zu schützen. Denn was ist eine Nation ohne ihre Kultur? Darf man das überhaupt denken? Darf man irgendwas über eines anderen Menschen Leben stellen? Wie darf man entscheiden? Wen darf man ins Vertrauen ziehen?
Das Buch ist dabei allerdings nicht so philosophisch angehaucht, wie es im ersten Moment erscheinen mag, doch spielen alle diese Fragen nahezu fortwährend eine Rolle, da sie immer wieder die Aktionen des Hauptcharakters Pierre Delort beeinflussen.
Neben seiner Geschichte wird auch die Geschichte von Raoul erzählt. Ein junger Mann, vertrieben mit seinen Eltern aus dem besetzten Madrid. Ein Mann in seiner Findungsphase. Ein Mann, bei dem der Wunsch nach eigenem Glück, oftmals das Glück von anderen überschattet.
Ein Buch, so nah an der Realität, dass man manche Seiten nur schweren Herzens lesen kann.
Ein Buch, was eine ganze andere Seite des Krieges beleuchtet.
Ein Buch, welches auf Grund seiner vielen Facetten zeigt, wie das Leben während des Krieges war.
Ein Buch, welches den Leser auf viele Arten berührt.
So sollte ein Buch sein.

5 von 5 Gemälden