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Donnerstag, 8. April 2021

Autoreninterview Christoph Grimm Teil 1

Hallo zusammen.

Wieder habe ich mich auf die Suche nach einem interessanten Autor gemacht und habe jemand Nettes gefunden, die mir meine Fragen beantworten möchte.
Für viele gehört das Schreiben neben dem regulären Job zum Leben. Doch das Leben als angehender Autor ist nicht leicht. Man muss nicht nur eine Geschichte zu Papier bringen, nein, das wäre ja zu einfach. Man muss sie auch noch an Leser bringen, denn hat man keinen großen Verlag im Nacken, bleibt vieles an einem selber hängen. Da kann man auch direkt selbst als Herausgeber fungieren. Einer, der dies alles macht, ist unser heutiger Autor.

Herzlich Willkommen, Christoph Grimm. 

Christoph Grimm

Eine Kurzgeschichte zu schreiben, verlangt in meinen Augen einen noch differenzierteren Umgang mit der Sprache, weil man sich kurz fassen muss. Wie gelingt es dir, dich auf das Wesentliche zu konzentrieren?
Ich möchte hier kein Regelwerk herunterbeten – derer gibt es genug –, aber der Trick bei dem Ganzen ist, sich zu überlegen, was man mit einer Geschichte erreichen und aussagen will. Hinzu kommt, dass ich sehr gute Testleser, einen schmerzhaft kritischen Struktur-Lektor und eine sehr gute (und ausgesprochen freundliche) Lektorin habe J.

Deine Kurzgeschichten erscheinen in Anthologien. Warum meinst du haben Anthologien so einen schlechten Ruf?
Diese Antwort wird mir nicht nur Freunde bringen. Sei’s drum …
Kurz gesagt, weil es nur wenig wirklich gute Anthologien gibt und die Wahrscheinlichkeit groß ist, oft an mittelprächtige oder schlechte zu geraten. Der bescheidene Ruf ist rein auf die Gesamtsumme bezogen irgendwo gerechtfertigt.

Es liegt vermutlich daran, wie und zu welchen Gegebenheiten Anthologien mittlerweile entstehen: Kurzgeschichtensammlungen sind ein Nischenprodukt auf dem Markt. Ein Blick in jede beliebige Buchhandlung belegt das. Sie verkaufen sich so überschaubar, dass es für handwerklich versierte, brotberufliche Autor*innen – von Bestsellern ganz zu schweigen – in wirtschaftlicher Sicht uninteressant geworden ist, sich an ihnen zu beteiligen. (Wenn etwa Andreas Eschbach oder Sebastian Fitzek Kurzgeschichten raushauen, dann letztendlich, weil sie es wollen oder ein Projekt unterstützen möchten).
Natürlich gibt es viele nebenberufliche Autor*innen, die den Großen in nichts nachstehen und ihren eigentlichen Lohn nicht in den mickrigen Tantiemen sehen und sich daher an Ausschreibungen beteiligen – zusammen mit einer Armada von handwerklich … nicht so versierten Autor*innen. Die Vielzahl an Ausschreibungen sorgt für eine Verteilung der wenigen Perlen in einer Flut mittelprächtiger, schwacher und schlechter Geschichten.

Das Ende vom Lied: Einige wenige Verlage, die mit Herzblut herangehen und sich einen Ruf erarbeitet haben, erhielten mehr Perlen, um eine wertige Sammlung machen zu können. Ein größerer Teil Verlage hat weniger Perlen erhalten. Um die Sammlung trotzdem machen zu können, werden diese Anthologien dann eben mit Geschichten der Kategorie „Naja, ganz okay“ aufgefüllt. (Ich habe nur einmal den Fall erlebt, dass eine Verlegerin mutig genug war, nach einer Ausschreibung eine Anthologie *nicht* zu machen, weil sie nicht hinter ihr hätte stehen können – und heute verstehe ich das viel besser als damals). Das größte Ärgernis sind allerdings Dienstleisterverlage, DKZVs und selbst ernannte Literaturakademien. Sie hauen eine Anthologie nach der anderen auf den Markt, um wahlweise ihr 
tolles Konzept zu verkaufen oder bauen darauf, dass jeder Beteiligte ein(ige) Dutzend Exemplare selbst abnimmt. Diese Sammlungen greift nicht nur den zurecht überall sonst abgewiesenen Satz an unbelehrbaren Eitelkeits-Autoren ab, sondern vermittelt Neulingen, die einfach noch nicht so weit sind, ein völlig falsches Bild ihrer Fertigkeiten und von Verlags-Arbeit.

Wenn man sich die Anthologien anschaut, in denen du Kurzgeschichten veröffentlicht hast, fällt auf, dass du eine große Bandbreite an Themen aufgreifst. Ist es dir wichtig nicht zu eingleisig zu fahren?
Es ist mir nicht wichtig, unbedingt mehrgleisig zu fahren, aber es ist vergleichbar mit eigenem Konsumverhalten. Wenn ich ein Buch in die Hand nehme, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es ein Krimi ist oder der Science-Fiction zugerechnet werden, aber manchmal darf es auch etwas Historisches, Gegenwartsliteratur oder Romance sein. Science-Fiction als bevorzugtes Genre finde ich interessant, weil es mir erlaubt, Entwicklungen zu extrapolieren oder prekäre Themen wie Rassismus, Religion, Diskriminierung, Umweltverschmutzung oder die menschliche Natur allgemein in einer Weise zu thematisieren, die ich in anderen Genre nicht kann. Kindergeschichten geben mir die Möglichkeit, auf ganz andere Art an ein jüngeres Publikum Botschaften zu transportieren.  

Wonach entscheidest du, ob du zu einem Thema eine Kurzgeschichte schreibst?
Da gibt es kein festgelegtes Muster, aber oftmals beginnt es mit Fragen, die ich mir in der Realität stelle. Was ist Gerechtigkeit? Sind Menschen zu absolutem Altruismus überhaupt fähig? Wie sähe unsere Gesellschaft aus, wenn wir nur ein Geschlecht auf diesem Planeten hätten? Ist es möglich, einen Menschen „nachzubauen“? Oder auch mal verrückt gesponnen: Könnten sich Dämonen auf Smartphones einnisten? Stephen King verglich die Entstehung einer Geschichte mit einer Tasse und ihrem Henkel. Zumeist hat man nur eines von beiden parat und begibt sich auf die Suche. Ich vermute, dass die Tasse als „Körper“ der Geschichte Setting/Thema ist und ihr zu befüllender Inhalt die Handlung selbst darstellt. Der Henkel, der das Ganze im wahrsten Sinne des Wortes greifbar macht, ist das umklammernde Motiv. Deshalb ist eine Tasse ohne Henkel ziemlich bescheiden, ein Henkel ohne Tasse sinnlos. Beides brauche ich, um Inhalt transportieren zu können. So abstrakt es wohl klingen mag: Wenn ich Tasse MIT Henkel habe, dann befülle ich sie (= Entscheidung zum Schreiben).

Neben deiner schriftstellerischen Tätigkeit bist du auch Herausgeber. Was reizt dich daran?
Du erinnerst dich, was ich auf die zweite Frage antwortete? Gute Anthologien sind rar gesät. Ich bin allerdings nicht nur Autor, sondern letztendlich ein Leser. Abgesehen von den ersten Anthologien, die ich nur übernahm, ist seit „Virtuelle Welten“ die Grundintention die, ein Buch zu machen, dass *ich* lesen will. Wenn es andere toll finden, umso schöner. Die Zukunft virtueller Realitäten. Unheimliche Gruselgeschichten für Jugendliche. Die Entwicklung von Robotik, Androiden und Künstlichen Intelligenzen. Wie könnte ein erster Kontakt mit Außerirdischen ablaufen? Oder auch gute, gänzlich unbekannte Fälle eines bekannten Detektivs, die dessen Adlatus bislang unter Verschluss hielt ;).


Vielen Dank für die erste Fragerunde. Nächsten Donnerstag geht es weiter. Ich hoffe, ihr seid dabei.

In der Zwischenzeit könnt ihr euch aber gerne auch schon selber informieren. Hier sind die entsprechenden Links zu Christoph Grimm:
www.facebook.com/christoph.grimm

Das genutzte Foto hat der Autor selber zur Verfügung gestellt.

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