Hallo zusammen.
Anja Stürzer kennt man, wenn man die Phantastische Bibliothek in Wetzlar besucht hat. Was sie zu sagen hat, lest ihr hier.
Wie bist du zum Schreiben gekommen?
Ich habe mir immer schon gern Geschichten ausgedacht, diese aber meistens nicht aufgeschrieben. Außerdem habe ich Literaturwissenschaft studiert. Als meine beiden Kinder klein waren, brauchte ich einen Ausgleich zur Kinder-betreuung und war abends öfter mal in einer Chatgruppe zum Thema „Herr der Ringe“ unterwegs. Wir haben dort kurze Stories geschrieben und uns später auf der damaligen „Ring-Con“ getroffen, einer Fan-Convention. Das war zu der Zeit, als die Peter-Jackson-Verfilmungen ins Kino kamen. Auf der RingCon habe ich Vorträge z.B. zu Harry Potter gehalten und Kontakte zu anderen Vortragenden geknüpft, darunter der Verleger Oliver Bidlo, der mich eines Tages fragte, ob ich nicht etwas in der Schublade liegen hätte. Hatte ich natürlich, ich gab zu der Zeit gerade Shakespeare-Seminare. Ich habe dann eine Einführung zu Shakespeare bei ihm veröffentlicht. Über diese Kontakte kamen Anfragen von anderen Verlagen zu anderen Projekten.
Mit "Somniaveris" legst du den zweiten Band einer Zeitreisegeschichte vor. Hast du schon zu Beginn des Projektes damit gerechnet, dass es einen zweiten Band geben wird oder hat es sich erst später so ergeben?
Ich hatte einen zweiten Band nicht von vornherein geplant. Es war aber von Anfang an klar, dass am Ende des ersten Bandes eines der Kinder mit in die Zukunft reisen würde, und ich hatte gehofft, dass sich daraus eine Fortsetzung ergeben würde. Man will ja wissen, was Akascha, das Mädchen, das mit in die Zukunft reist, dort erlebt. Ich hatte auch gleich Ideen dafür, musste aber zehn Jahre lang warten, bevor ich sie schreiben konnte, weil die Rechte für die Figuren nicht bei mir lagen. Das Projekt ging ja von dem Verlag Mixtvision aus, die damals eine/n Autor/in für ein besonderes Format suchten: fünf Heftchen in einem Schuber, Thema Klimaveränderung. Da habe ich ein Konzept für erarbeitet. Leider hat sich Mixtvision damals gegen eine Fortsetzung entschieden.
Aber vielleicht erzählst du auch ein wenig zum Inhalt und wie du auf die Geschichte gekommen bist?
Der erste Band sollte auf Wunsch des Verlages Mixtvision ein „Öko-Science-fiction-Thriller“ für 9-10-Jährige sein. Ich habe mir damals überlegt, wie man so etwas für Kinder spannend und lesbar aufbereiten könnte. Die Erderwärmung ist ja ein riesiges, unglaublich komplexes und damals noch recht abstraktes Problem, das viele unterschiedliche Aspekte hat. Ich habe dann das sich schon damals abzeichnende Artensterben als Thema vorgeschlagen, weil der Verlust der Tiere etwas ist, das Kinder sehr konkret beschäftigt, und weil das Arten-sterben mindestens genau so fatal für die Menschheit ist wie die Klima-veränderung. Als ich damals „Somniavero“ schrieb, ging gerade die UNO-Artenschutzkonferenz ohne Ergebnis zuende – genau wie dieses Jahr die UN-Weltnaturkonferenz COP16 in Kolumbien. Das finde ich unglaublich frustrierend. Alle Menschen wissen, wie essentiell Natur- und Artenschutz für unser Überleben ist. Und dennoch scheitern effektive Maßnahmen an den Wirtschaftsinteressen und der Profitgier großer Konzerne und totalitärer Staaten… aber zu didaktisch sollte das nicht rüberkommen, daher habe ich das nicht explizit thematisiert, sondern lieber die verschiedenen Perspektiven der Kinder gegenübergestellt.
Was die konkrete Handlung angeht, so sollte das ja ein Thriller sein, also brauchte ich eine spannende Verfolgungssituation, und sie sollte nicht zu sehr in der Zukunft spielen, damit die Kinder noch Anknüpfungspunkte haben und sich mit den Figuren identifizieren können. Daher habe ich im ersten Band die Zeitreisegeschichte mit dem Wissenschaftler Dr. Paulus entwickelt, der dem kleinen Zeitreisenden auf der Spur ist. Aus dieser Konstellation ergab sich dann auch die Handlung der Fortsetzung. Ich habe mich gefragt, was die einzelnen Figuren wollen, welche Ziele sie verfolgen, welche Entscheidungen sie treffen müssen, und wie die Welt und die Stadt Berlin sich in der Zeit bis 2121 entwickelt haben. Dass Akascha draußen vor der Stadt landen würde, war von Anfang an klar. Ihr Ziel ist es daher zunächst mal, Jochanan wiederzufinden. Und sein Ziel ist es, herauszufinden, was mit ihr passiert ist. Aber dann kommen die Interessen der anderen Figuren ins Spiel: Merlin, der inzwischen ein ganz alter Mann ist und ein ganzes Leben hinter sich hat, und Dr. Paulus, der es natürlich auch in die Zukunft geschafft hat. Und eine neue fünfte Figur, ein Mädchen, das zum „Pack“ gehört, zu den Menschen, die außerhalb der sicheren und komfortablen Mauern der Stadt leben.
Wird es einen weiteren Band geben?
Ich habe tatsächlich eine Fortsetzung im Kopf, die die Reihe abschließen soll. Am Ende des zweiten Bandes reisen ja wieder zwei Figuren durch die Zeit und verändern die Vergangenheit, womit sie eine Ursache für die Ausgrenzung des Packs beseitigen. Aber das Problem des Artensterbens ist damit noch nicht gelöst. Die Frage, die im dritten Band im Mittelpunkt stehen wird, ist, ob und wie die Protagonisten meiner Zeitreisegeschichte darauf Einfluss nehmen könnten. Das ist natürlich keine Kleinigkeit… aber Dr. Paulus hat da so eine Idee ;-). Und natürlich steht die Frage im Raum, wie die Freunde alle wieder zusammenfinden können. Ob ich den dritten Band realisieren kann, hängt aber davon ab, ob der zweite Band Erfolg hat und genug Leser/innen findet.
Welche der Figuren ist dir persönlich am ähnlichsten?
Ich glaube, das ist Akascha. Als ich damals die erste Szene mit ihr geschrieben haben, rannte sie barfuss durch die Straßen Berlins, verfolgt von einem älteren Mann, dem sie die Brieftasche geklaut hat. Ich war als Kind eine schnelle Läuferin und erinnere mich sehr genau an das Gefühl, vor jemandem wegzu-rennen – auch wenn ich keine Taschendiebin war, sondern nur Klingelstreiche gemacht habe! Aber natürlich hat Akascha eine ganz andere Geschichte als ich, sie ist eine Entwurzelte, die ihren Platz in der Welt sucht. Ein bisschen von mir steckt in allen Figuren, denke ich. Merlins Rationalität, Jochanans anfängliche Naivität, die Selbstgerechtigkeit von Dr. Paulus… man hat ja nicht nur gute Charaktereigenschaften ;-).
Du schreibst ansonsten auch Kurzgeschichten. Wie entscheidest du, ob du einen Plot kurz und pointiert erzählst oder ob er sich für ein längeres Stück Literatur eignet?
Es gibt viele Definitionen für Kurzgeschichten, eine davon, die sehr praxis-tauglich ist, lautet: Beschreibe einen Moment, nach dem nichts mehr ist, wie es vorher war. Das trifft es ganz gut. Eine Kurzgeschichte habe ich meist komplett im Kopf, wenn ich anfange zu schreiben, weil es vor allem um diesen einen Moment geht, den es zu fassen und zu beschreiben gilt. Längere Geschichten brauchen natürlich auch einen Wendepunkt, aber der Plot ist viel komplexer. Vor allem aber stehen hier die Figuren und ihre Motivationen im Vordergrund. Es gibt eine berühmte Definition über das Verhältnis von Handlung und Figuren von Henry James, wonach die Figur die Handlung bedingt und die Handlung die Figur illustriert: "What is character but the determination of incident? What is incident but the illustration of character?“. Manche meiner Figuren entwickeln ein Eigenleben, und daraus ergibt sich mitunter die Idee für einen Roman. Umgekehrt muss ich erstmal viel Zeit in die Figurenentwicklung stecken, wenn ich die Idee für einen längeren Plot habe. Davon gibt’s noch ein paar in meiner Schublade! ;-).
Wenn du durch die Zeit reisen könntest, welches Buch würdest du beim Entstehungsprozess begleiten wollen?
Definitiv Shakespeare’s „Hamlet“!
Nachdem ihr wisst, was Anja schreibt, könnt ihr hier mehr über sie erfahren:
amazon.de/stores/author/anja_stürzer
In diesem Sinne: Fröhliches Lesen und freut euch auf das nächste Interview.
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