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Samstag, 29. Juni 2024

Detlef Klewer (Hrsg) "Chrononomicon"

Es sei zu Anfang gesagt: Ich habe wenig von H.P. Lovecroft gelesen, daher kann ich wenig dazu sagen, wie die Schreibenden sich seinen Stil angeeignet oder seine Elemente übernommen haben.
Was ich aber beurteilen kann, ist die Umsetzung der jeweiligen Geschichte und die Zusammenstellung der Themen.
Detlef Klewer hat es wieder geschafft, wie gute Anthologie zusammenzustellen. Während einige bekannte Namen auch direkt ein gewisses Maß an Erwartung hervorrufen, ist es auch so, dass Detlef mit der Bandbreite an historischen Zeitpunkten eine spannende Kollektion geschaffen hat. Römer, Azteken, Mongolen und die vermeintlich untergegangenen Templer, dazu die verschiedenen Zeiten und Orte schaffen einen Raum, indem sich die Lesenden in den Schwärzen verlieren können. Denn die Finsternis liegt über jeder Geschichte, so unterschiedlich sie auch ansonsten seien mögen und so eint sie die Sammlung zu einem Ganzen.
Sich aus der Düsternis zu befreien, ist ein ums andere Mal schwerer und doch hofft man in jeder Erzählung einen Hoffnungsschimmer zu entdecken ... Ob dies berechtigt ist? Nun, das zeigen z.B. Manuel O. Bendrin, Roxane Bicker, Regine D. Ritter, Florian Krenn und M.W. Ludwig.
Neugierig geworden? Dann lasst euch in die historische Cthulhu-Anthologie entführen.

4 von 5 Schatten

Rezi-Exemplar: pmachinery.de

Donnerstag, 27. Juni 2024

Autoreninterview Dirk van den Boom

Hallo zusammen.
Diese Woche geht es mit dem bekannten Science Fiction Autor Dirk van den Boom weiter.

(Foto: Dirk van den Boom, Grafik: Maximilian Wust)


Wie bist du zum Schreiben gekommen?
Im Grunde habe ich bereits als Teenager angefangen zu schreiben. Dazu muss man etwas zu meiner Sozialisation als SF-Fan sagen: ich bin ein klassisches Kind des Heftromans. Ich habe schon das eine oder andere Taschenbuch gelesen, aber über viele Jahre war das wichtigste Medium meines Konsums der Heftroman. Und einmal selbst einen zu schreiben, war dann auch ziemlich früh mein Ideal. Als ich dann im Fandom aktiv wurde, war die Form der Wahl die Kurzgeschichte, da Fanzines im Grunde nur Kurzgeschichten abdruckten. Diese hat dann meine ersten Gehversuche ausgemacht, weil ich nicht nur für die Schublade, sondern für bescheidene Veröffentlichungen schreiben konnte.

Auf deiner Internetseite habe ich gelesen, dass die Serie "Rettungskreuzer Ikarus" ihr 25-jähriges Bestehen feiert. Erzähl doch einmal ein bisschen aus dieser Zeit.
Wie bereits angesprochen, bin ich ein Kind des Heftromans. Mitte der 90er Jahre war ich dabei, an der Fan-Fortsetzung von „Ren Dhark“ – dem legendären „Projekt 99“ – mitzuschreiben. Etwa zur gleichen Zeit gründete Guido Latz den Verlag, der heute Atlantis-Verlag heißt. Er war auf der Suche nach Material für ein neues, deutschsprachiges Genreprogramm und ich kam in Kontakt mit ihm. Zusammen mit einem anderen Fan, der dann aber an der weiteren Verwirklichung der Serie nicht mehr beteiligt war, entwarf ich ein Konzept für eine Serie, die anfänglich stark inspiriert war von den „Sector General“-Romanen von James White sowie den Medship-Stories von Murray Leinster. Guido gefiel das Konzept und so begann die Serie. Damals war digitaler Druck on demand die brandneue Technologie, die neue Veröffentlichungsformen möglich machte. Wir gehörten im SF-Bereich zu den Ersten, die sich dieser neuen Möglichkeit intensiv bedienten.

Neben "Rettungskreuzer Ikarus" schreibst du auch "Sternkreuzer Proxima". Wie entscheidest du, wenn du eine Idee für eine Geschichte hast, in welche Serie du den Plot eingliederst?
Tatsächlich sind die Arbeitsweisen völlig unterschiedlich. Zum einen schreibt „Ikarus“ ein Team, nicht ich alleine – und es sind vor allem die Ideen der anderen Autor/innen, die hier eine Rolle spielen, alles im vorgegebenen Gesamtrahmen. „Proxima“ hingegen schreibe ich alleine und ich muss dem Redakteur bei Bastei auch stets für eine 6er Staffel im Voraus ein Inhaltsgerüst anbieten. Daher ist dort alles weitaus mehr vorgeplant. Bei „Ikarus“ sind eigentlich nur noch meine Ideen für die Romane relevant, die ich selbst verfasse. Da ich aktuell relativ wenige Romane zur Serie beisteuere  - wenngleich ich derzeit wieder an einer Trilogie arbeite – komme ich mir da eigentlich kaum selbst in die Quere.

Hast du als Autor einen Lieblingscharakter?
Eigentlich nicht. Ich habe rund 150 Romane veröffentlicht und die Hälfte der von mir erschaffenen Charaktere schon wieder vergessen. Im Grunde ist der Lieblingscharakter immer einer derjenigen, über die ich aktuell schreibe.

Zu dieser Jahreszeit sind bekanntlich viele Cons. Was reizt dich an den Besuchen?
Das ist ganz unterschiedlich. Wo ich das hier schreibe, war gerade ColoniaCon, eine sehr traditionsreiche Veranstaltung, die ich seit den 80er Jahren regelmäßig besuche. Das ist ein Familientreffen, das sind die alten Fans aus jener Zeit, die mit mir alt geworden sind. Andere Veranstaltungen wie der BuchmesseCon sind wunderbare Leistungsschauen der deutschen Phantastik und haben damit einen ganz eigenen, dynamischen Charakter. Und im August fliege ich nach Glasgow zum WorldCon. Das ist eine völlig andere, nahezu überwältigende Dimension. Wenn man George R. R. Martin auflauern kann, um ihn zu fragen, wann endlich der nächste „Feuer und Eis“-Roman kommt, ist das schon etwas Besonderes.

Mal eine eher allgemeine Frage: Was reizt dich an der Science Fiction? Warum schreibst du keine Krimis oder Sachbücher?
Ich bin außerplanmäßiger Professor für Politikwissenschaft und habe schon einige Sachbücher verfasst – über Afrika, über Entwicklungspolitik und über Parteien. Und einige meiner fantastischen Romane – wie die SF-Trilogie um den Diplomaten Casimir Daxxel – und meine Alternative-History-Romane mit dem Reihentitel „Kaiserkrieger Vigiles“ sind Krimis. Nur Liebesromane habe ich mir bisher verkniffen, deswegen bin ich auch nicht reich durch das Schreiben geworden.

Hast du ein Projekt, was du schon seit Jahren machen möchtest, wofür du aber nie die Zeit findest?
Nein. Grundsätzlich schreibe ich selten ohne konkrete Veröffentlichungsmöglichkeit, also quasi für die Schublade. Und wenn ich schreibe, dann immer an 3-4 Romanen gleichzeitig, da ich mich selbst schnell langweile. In letzter Zeit hat das aus beruflichen Gründen etwas nachgelassen – ich bin seit anderthalb Jahren Geschäftsführer einer gemeinnützigen Einrichtung -, aber am Grundprinzip hat sich wenig geändert. Ich schreibe stets alles, worauf ich Lust habe, wenn es dafür einen Verlag gibt. Zum Self-Publishing habe ich mich bisher noch nicht aufraffen können.

Nachdem ihr wisst, was Dirk schreibt, könnt ihr hier mehr über seine Bücher erfahren:
sfboom.wordpress.com
facebook.com/dirk.vandenboom
x.com/tentakelkaiser

In diesem Sinne: Fröhliches Lesen und freut euch auf das nächste Interview. 

Mittwoch, 26. Juni 2024

Christian von Aster "Schnitter, Gevatter und Sensenmann"

So vieles ist im Leben ungewiss, doch der Tod erwartet jeden von uns. Den einen früher, den anderen später. Auf welche Begegnungen man mit dem Tod hoffen oder vielmehr auch fürchten kann, erzählt Christian von Aster in fünfzehn doch sehr verschiedenen Texten.
Denn eins ist der Tod definitiv nicht - gewöhnlich. Jedes Ableben hat seine individuelle Geschichte, die mal traurig, mal lustig oder auch melancholisch sein kann.
Denn eins lässt sich nach dem Lesen sagen, so eng das Thema im ersten Moment gesteckt sein mag, so viele Interpretationen gibt es. 
Da ist der Tod, der ausgetrickst wird, der Tod, der sich entscheidet, den Menschen noch ein bißchen Zeit für Zwischenmenschliches zu gewähren und der Tod, der einen in Sicherheit wiegt, nur um beim letzten prüfenden Blick festzustellen, doch du - genau du - bist heute an der Reihe.
Christian von Aster lässt auch Gesellschaftskritisches anklingen, wenn er von der Vereinsamung im Alter spricht oder wenn man einfach seines Lebens müde ist.
Denn auch die lustigen Geschichten haben zum einen einen wahren Kern und regen ebenso zum Nachdenken an, wie es auch die ernsthaften Texte tun. 
Selten hallen alle Kurzgeschichten einer Anthologie in meinem Kopf nach, einige vergesse ich oft direkt nach dem Lesen, doch schafft es der Autor jede Geschichte in meinem Kopf zu verankern und zu zeigen, jeder Tod ist individuell und keine Massenabfertigung.

5 von 5 Trauerreden

Sonntag, 23. Juni 2024

Michelle Marly "Mademoiselle Coco und die Entführung des Picasso"

Es ist die Zeit des Ersten Weltkriegs. Vieles ist knapp und doch schafft es Coco Chanel sich einen Ruf als Putzmacherin aufzubauen. Die ersten Kleider sind im Entwurf, als in ihrem Hinterhof eine Leiche entdeckt wird. Und damit nicht genug, es fehlt Geld aus ihrer Kassette.
Ihr Freund weilt zu dem Zeitpunkt in Madrid und der ermittelnde Kommissar glaubt ihr die Geschehnisse nicht. Was bleibt Coco anderes übrig, als selbst zu ermitteln und sich mit neu gewonnenen Freunden auf eine Schnitzeljagd durch Paris und Umgebung zu machen?
Im Nachwort erläutert die Autorin, was der Realität entspricht und was der Fantasie entsprungen ist. So geschmeidig, wie sich diese beiden ineinander fügen, könnte man davon ausgehen, dass die Autorin in Cocos Büro gelauscht hat, wenn sich die Ereignisse so zugetragen hätten. 
Mit viel Liebe für Details, eingestreuten französischen Wörtern und dem Lebensgefühl der Franzosen entspinnt sie eine Kriminalgeschichte, die auf einer tatsächlichen Begebenheit fußt. Sie schafft es hervorragend, die Übergänge zwischen Fiktion und Realität zu verwischen, sodass man als Lesender nur so durch die Seiten gleitet und Mademoiselle Coco durch nahezu alle Gefühlszustände folgt. 
Eingeflochtene historische Ereignisse und Details runden das Buch zu einer gelungenen Geschichte ab, die mit einem ungewöhnlichen Schluss ein dramatisches Ende nimmt.
Egal ob Mode, Kunst, Weltkrieg, Klassengesellschaft, alle Themen reißt der Kriminalroman an und führt den Lesenden in eine eigene kleine Welt - die Welt der Coco Chanel.

5 von 5 Hüten

Donnerstag, 20. Juni 2024

Autoreninterview Henning Mützlitz

Hallo zusammen.
Heute durfte ich den Geek-Chefredakteur Henning Mützlitz interviewen.

(Foto: Henning Mützlitz, Grafik: Maximilian Wust)


Wie bist du zum Schreiben gekommen?
Antwort: Für das Schreiben begeistere ich mich schon immer, und es hat schon in der Grundschule angefangen, dass ich kleine Krimis geschrieben und eine „Hauszeitung“ für unsere Familie erstellt habe. Zum professionellen Schreiben bin ich gegen Ende des Studiums gekommen: Dort habe ich meinen ersten Roman verfasst, der dann 2008 erschienen ist, und nebenher für eine Lokalzeitung gearbeitet. Beides hat den Weg für meine weitere berufliche Laufbahn geebnet.

Du bist einer der beiden Chefredakteure der Zeitschrift "Geek". Was sind deine Aufgaben?
Antwort: Die redaktionellen Aufgaben sind wie bei jeder Zeitschrift sehr vielfältig, da ich und mein Co-Chefredakteur Björn Sülter ja „den Laden zusammenhalten“ müssen. Allgemein geht es mit der Heftplanung los, erstreckt sich über die Themenzuweisung an unsere freien Mitarbeiter, die Koordination mit dem Verlag, der Anzeigenagentur und weitere Partner bis hin zum Redigat von Texten, der Bildredaktion und der Koordination mit unseren Grafikerinnen. Die fertigen Layouts wollen dann noch kontrolliert und korrigiert werden. Daneben schreibe ich auch selbst Artikel und betreue redaktionelle Rubriken, also kommen noch Recherche, Kommunikation mit Agenturen und/oder Interviewpartner:innen sowie das Schreiben der Texte hinzu. Dazwischen organisiere ich Preise für Gewinnspiele, plane und koordiniere Advertorials oder andere Heftmarketingaktionen und passe die Seitenplanung an. Und noch bevor das Heft im Druck ist, geht das Ganze schon für die nächste Ausgabe los. Das kann manchmal ganz schön viel auf einmal sein, aber gerade die Vielfalt und Abwechslung macht mir besonders Spaß.

Übrigens: Wie alle anderen Autor:innen der Geek! sind Björn und ich freie Journalisten und Autoren – die Geek! ist nur ein Teilbereich von dem, was wir beruflich machen. Leben könnten wir nicht davon allein.

Die Zeitschrift hat jeweils einen Themenschwerpunkt. Wie fällt die Entscheidung, mit welchem Thema die nächste Ausgabe befasst?
Antwort: Das ist ganz unterschiedlich. Meistens suchen wir vor der konkreten Heftplanung die für den Erscheinungszeitraum relevanten Filme und Serien für uns heraus. Meist drängen sich dann ein, zwei Kandidaten auf, die für den Titel in Frage kommen. Welcher der zu Auswahl stehenden es dann tatsächlich wird, hängt davon ab, ob wir Interviews bekommen, wie viel zum Druckdatum an Inhalt bekannt ist, ob der Kinostart gut oder schlecht für uns liegt oder ob das Thema für unseren Verlag eine besondere Priorität genießt.

In der am 23. Juni erscheinenden Ausgabe 73 zum Beispiel fiel die Wahl schnell auf Deadpool & Wolverine, da wir länger keinen Marvel-Film mehr auf dem Cover hatten und unser Verlag Panini Comics Marvel-Lizenznehmer ist. Außerdem startet der Film erst Ende Juli, weshalb wir einen guten Monat haben, um munter zu spekulieren, worum es denn gehen könnte und die Leser:innen möglichst wenig Wissensvorsprung vor uns haben, wenn das Heft erscheint. Bei uns liegen zwischen Drucklegung und Erscheinungsdatum rund drei Wochen – kommen in der Zwischenzeit bahnbrechende neue Trailer oder Infos zu einem Film, stehen wir etwas blöd da. Die Leute sollen ja möglichst kein Heft kaufen, dessen Infos bereits veraltet sind.

Hast du selbst hierbei auch deine Vorlieben? Oder geht es dir hauptsächlich um die gleichwertige Qualität der Ausgaben?
Antwort: Natürlich haben wir unsere Steckenpferde, die wir eher für einen Titel in Betracht ziehen als andere. Star Trek genießt hierbei sicher ein wenig eine Ausnahmestellung. Generell gilt aber, dass wir auch auf Verkäuflichkeit und Sichtbarkeit am Kiosk achten müssen, weshalb häufig die großen Franchises wie Marvel, DC und Star Wars prominent bei uns vertreten sind. An anderen Filmen kommen wir an einem Titel nicht vorbei, wie unlängst beim zweiten Dune.
Generell wollen wir natürlich gleichbleibende Qualität bei den Titelthemen liefern, aber wenn zwei Tage vor dem Druck der Interviewtermin mit einem Hollywoodstar platzt, der fix vorgesehen war, oder ein Studio uns partout keine Infos über die bereits öffentlich verfügbaren hinaus geben will, müssen wir trotz eigentlich längerer Heftproduktionszeiten kurzfristig improvisieren.

Letzte Frage hierzu: Nenne drei überzeugende Gründe, die "Geek!" zu lesen, falls man noch nicht auf den Geschmack gekommen ist.
Antwort: Die Geek! bietet eine Bündelung vieler, vieler spannender und informativer Artikel und Hintergrundinfos zu einer großen Bandbreite „geekiger“ und „nerdiger“ Themen. Als Printzeitschrift sorgt sie zudem für eine gewisse Entschleunigung, wenn man sich bewusst mit einem Thema befassen möchte – mit der Tagesaktualität des Internets können und wollen wir dabei gar nicht mithalten. Stattdessen soll die Geek! einen zeitlich unabhängigeren Wohlfühlfaktor bieten und ist zu einem großen Teil auch nach Jahren immer noch einen Blick wert.

Kommen wir zu deinen eigenen Veröffentlichungen. Was hier direkt auffällt, sind die vielseitigen Themen, zu denen du veröffentlichst. Wie kam es zu so unterschiedlichen Projekten?
Antwort: Generell verstehe ich mich als Phantastikautor. Die meisten meiner Veröffentlichungen sind in unterschiedlichen phantastischen Subgenres angesiedelt. Das reicht von Dark-Fantasy mit Mantel&Degen-Elementen wie in Hexagon – Der Pakt der Sechs über High-Fantasy wie in Wächter der letzten Pforte bis hin zu augenzwinkerndem Pulp-Horror in Sorrowville, um mal ein paar Beispiele zu nennen.
Historische irdische Setting finde ich ebenfalls sehr spannend, so dass es folgerichtig war, auch historische Romane zu schreiben. Ein Stückweit war das aber auch Pragmatismus: Als ich mit meiner damaligen Agentur den Roman Im Schatten der Hanse angeboten hatte, waren Fantasy-Titel, wie ich sie mag, bei den Verlagen nicht so gefragt, weshalb wir es damit versuchten. Prompt verkauften wir ihn an Emons. Der abenteuerliche Roman zur Zeit zur Zeit der Hanse im Spätmittelalter ist bis heute mein erfolgreichstes Buch und bekam auch einen Nachfolger – aber ich habe zu dieser Zeit gemerkt, dass mir die Phantastik einfach mehr Spaß macht.

Im Herbst 2024 erscheint mit Heroes of Alcaria – Der Stein des Hexers übrigens ein neuer Fantasy-Roman bei der Edition Roter Drache, der nicht nur, aber auch für alle Fans von Pen&Paper-Rollenspielen wie Dungeons&Dragons und Das Schwarze Auge interessant sein dürfte.

Was muss ein Plot haben, damit du dich hinsetzt und ihn niederschreibst?
Antwort: Meist kommen zuerst die Figuren zu mir – das hört sich immer etwas komisch an, geht aber meines Wissens nach vielen Autor:innen ebenfalls so. Das kann in einer ganz alltäglichen Situation sein, wenn man zum Beispiel gerade Auto fährt oder irgendwo entlangläuft. Dann sind sie da. Diese Figuren haben meistens mehrere Konflikte auszutragen, und ausgehend davon denke ich weiter über ihre Umgebung nach: Wie sind diese inneren und äußeren Konflikte entstanden? Welche Zwänge wirken auf die Figur ein? In welchem sozialen Bezugsrahmen bewegt sie sich? Was muss sie tun, um sich der Konflikte anzunehmen? Tut sie dies freiwillig oder zwingen die Umstände sie dazu?

In was für einem Setting oder welchem Genre das Ganze angesiedelt ist, weiß ich dabei meistens schon. Das hängt häufig davon ab, für was ich mich gerade mehr begeistere, dann entstehen ganz automatisch Ideen in diesem Umfeld. Ist das Ganze in meinem Kopf halbwegs ausgereift, skizziere ich einen Grundplot. Dieser bildet dann meist die Grundlage für alles Weitere. Ob ich die Idee dann tatsächlich verfolge und ein Romanentwurf daraus wird, hängt davon ab, ob ich Zeit und Lust darauf habe, ob die Idee und das daran hängende Worldbuilding tragfähig sind, das Projekt in irgendeiner Form verkäuflich ist und so weiter. In den letzten Jahren ist das Plotten und Schreiben bei mir berufsbedingt etwas in den Hintergrund getreten – ich kann dem Ganzen nicht mehr den Raum geben wie früher. Dafür macht es aber viel Spaß, wenn ich dann doch dazu komme. Nicht zuletzt deswegen freue ich mich schon sehr auf den Herbst, wenn mein neuer Roman erscheint.


Nachdem ihr wisst, was Henning schreibt, könnt ihr hier mehr über seine Bücher erfahren:
henning-muetzlitz.de
facebook.com/Henning.Muetzlitz
instagram.com/hmuetzlitz
paninishop.de/abos/alle-magazin-abos/geek

In diesem Sinne: Fröhliches Lesen und freut euch auf das nächste Interview. 

Claudia Ahlering / Julian Voloj "Die Judenbuche"

Mit "Die Judenbuche" wagen sich die beiden Autoren an einen sehr bekannten Klassiker von Annette von Droste-Hülshoff. Wer zu meiner Zeit zur Schule gegangen ist, wird sich noch an das kleine gelbe Reclamheft erinnern und wie sehr man über den Text geflucht hat. Denn, wie das Nachwort erwähnt, vieles im Text bleibt undurchsichtig und wird zum Schluss nicht abschließend geklärt. Was allerdings gesichert ist, dass der Text eine historische Grundlage hat. Das hatte auch schon die Autorin zu ihrer Zeit bekannt gegeben.
Doch nun zum Comic:
Wie ich sagte, las ich den Text in der Schule, somit sind mir viele Einzelheiten des originalen Textes nicht mehr geläufig. Auch wird im Nachwort mehrfach angedeutet, dass die Graphic Novel ihren eigenen Ansatz und auch einen etwas verlagerten Schwerpunkt hat. 
Im Zentrum steht das Leben von Friedrich und die Diebstähle der Blaukitteln. Doch das alles ändert sich, als ein junger Jude unter einer Buche zu Tode kommt. Die Umstände bleiben im Nebel verhangen und doch scheint es für viele klar, wie es sich zugetragen hat.
Im schlichten schwarz-weiß gehalten, wirkt der Comic sehr edel, doch muss man hier direkt auf eine Einschränkung hinweisen. Durch das schwarz-weiß und teilweise fratzenhafte Erscheinungsbild, kann man mehrere Personen, ohne dass sie angesprochen werden, kaum voneinander unterscheiden. Die Geschichte ist wie schon beschrieben sehr düster, was die Tristesse, die ebenfalls mit einem schwarz-weißen Erscheinungsbild einhergehen kann, unterstreicht. 
Die Erzählung ist in sich schlüssig abgedruckt und erweicht an so mancher Stelle, sowohl für den einen als auch für den anderen Charakter, das Herz. 
Als Einführung oder auch zum Wiederauffrischen des Themas gut geeignet, bildet die Graphic Novel in ihrer modernen Darstellung ein Fenster in ein altes literarisches Thema.

4 von 5 Vorurteilen

Dienstag, 18. Juni 2024

Caroline Hofstätter "Zukunftsinvestitionen"

In einer Welt, in der nichts mehr dem Zufall oder vielmehr der Genetik überlassen wird, lebt Lisa mit ihrem Mann Thomas. Sie haben sich den Traum des eigenen Hauses erfüllt. Thomas fährt seinen Traumwagen, einen Porsche, als er sie mit einer Überraschung konfrontiert. 
Was im ersten Augenblick die Erfüllung eines lang gehegten Traumes einer Frau sein kann, entpuppt sich als mittleres Fiasko mit doch unerwartetem Ende.
Caroline Hofstätter schafft mit dieser Kurzgeschichte einen kleinen Prequel zu ihrem Roman "Das Ewigkeitsprojekt".
Auf der einen Seite witzig und durchaus charmant geschrieben, weckt die Geschichte den Geist auf und man beginnt, wenn auch im Kleinen, den heutigen Optimierungswahn zu hinterfragen. Denn wann hört ein Mensch auf, ein Mensch zu sein, weil alles Menschliche - denn Fehler sind nichts anders - wegoptimiert wurde?
Trotz oder gerade wegen der Kürze hallt die Geschichte und ihre Intention noch lange nach dem Lesen nach und zeigt dabei auch, wie unterschiedlich Menschen die fortwährende Verbesserung sehen.

5 von 5 Kinderkliniken

Donnerstag, 13. Juni 2024

Autoreninterview Lena Richter

Hallo zusammen.
Kennt ihr schon Lena Richter?
Nein? Dann lest doch dieses Interview und lernt sie ein bisschen kennen.

(Foto: Lena Richter (privat), Grafik: Maximilian Wust)


Wie bist du zum Schreiben gekommen?
Ich habe schon in der Grundschule Geschichten geschrieben (und Bücher verschlungen), als Teenager und junge Erwachsene dann pathetische Gedichte und düstere Minigeschichten, wie sich das gehört, haha. Dann habe ich eine ganze Weile vor allem im Kontext von Pen-and-Paper-Rollenspiel geschrieben: Zusammenfassungen von Spielrunden, Geschichten zu meinen Charakteren und Rezensionen und News für eine Seite zum Rollenspiel „Das Schwarze Auge“. Darüber entstanden dann auch ein paar Kurzgeschichten in der Welt von Aventurien. Irgendwie geschrieben habe ich also immer, nur mit den Geschichten, die in eigenen Welten (oder einfach unserer eigenen) spielten, hat es etwas gedauert. 2014 habe ich einen Schreibkurs gemacht, für den auch eine Kurzgeschichte entstanden ist (man kann sie auf meiner Website lesen), und dann hat es irgendwie noch ein bisschen gedauert, bis ich dann 2019 angefangen habe, regelmäßiger zu schreiben und Texte bei Ausschreibungen einzureichen. Seit 2019 ist eigentlich jedes Jahr ein bisschen was von mir erschienen, vor allem Kurzgeschichten und Essays. 2021 habe ich die Novelle „Dies ist mein letztes Lied“ geschrieben, Anfang 2022 hat der Verlag ohneohren sie angenommen und Anfang 2023 ist sie dann erschienen. Meine neueste Veröffentlichung ist die Kurzgeschichte „Vom Ende zum Anfang“ in der Anthologie „Am Saum der Welten“, die im März 2024 erschien. 

Letztes Jahr erschien "Dies ist mein letztes Lied" und hat für viel Zuspruch gesorgt. Wie sehr hat dich die Aufmerksamkeit überrascht? 
Ich habe mich sehr gefreut, dass dieses kleine, seltsame Buch so gut ankam, sowohl bei Leuten, die sehr viel Science-Fiction lesen als auch bei Lesenden, die das Genre bisher nicht oder kaum kannten. Ich denke, dass da schon auch eine Rolle gespielt hat, dass die Novelle eben nur 150 Seiten hat und deshalb auch etwas zugänglicher ist als ein 600-Seiten-Roman. Gerade in den anstrengenden und schwierigen Zeiten, in denen wir aktuell leben, fehlt manchmal die Zeit und Energie zum Lesen und kürzere Sachen haben da vielleicht eine niedrigere Einstiegshürde. Es geht im Buch ja auch viel um Kunst und was man damit bewirken kann, um Hoffnung vs. Machtlosigkeit, vielleicht hat es einfach mit vielen Leuten beim Lesen ein bisschen resoniert. Und ich glaube, dem Verlag und mir ist es ganz gut gelungen, die richtigen Erwartungen zu wecken, durch das Cover und indem eben z. B. einige Schlagworte hinten draufstehen, die relativ klar machen, dass zwischen den Buchdeckeln jetzt eher keine actiongeladenen Laserkanonenschlachten zu finden sind, sondern eine eher leise Geschichte mit viel Queerness und Kapitalismuskritik. Ich fand es auch schön, dass es eine Leserunde gab, und dass sich so viele Menschen auch die Zeit für eine Rezension genommen haben. Richtig überrascht hat mich hingegen die Nominierung für den Kurd-Laßwitz-Preis. Da hatte ich eher nicht dran geglaubt, weil das Buch von klassischer Hard-SciFi ja doch ein ganzes Stück weg ist.

Erzähl doch ein bisschen über den Entstehungsprozess von "Dies ist mein letztes Lied". 
Die Novelle hat mal als Kurzgeschichte angefangen, die ich für eine Ausschreibung 2019 geschrieben hat. Die wurde dann nicht genommen, was im Nachhinein auch gut war, sonst gäbe es die Novelle ja jetzt nicht. 2021 war ich dann irgendwann ein bisschen frustriert von meinem Romanprojekt, dessen Ende einfach noch sehr weit weg schien. Ich beschloss deshalb, dass ich einfach mal etwas längeres als eine Kurzgeschichte fertig schreiben will, was aber insgesamt einen weniger einschüchternden Umfang hat. Der arme Roman landete also halbfertig erstmal auf dem Abstellgleis und ich schnappte mir die besagte Kurzgeschichte, die schon genau die Episoden und Welten hatte, nur eben mit lediglich einem Absatz pro Abschnitt. Diese Absätze baute ich dann jeweils zu einem Kapitel aus. 

Inhaltlich ist „Dies ist mein letztes Lied“ von vielen anderen Werken beeinflusst, z. B. von anderen Science-Fiction-Novellen wie „To be taught, if fortunate“ von Becky Chambers und „This is how you lose the time war“ von Amal El-Mohtar und Max Gladstone, aber auch von Talks und Essays zum Thema Queeren von Erzählungen, beispielsweise von Avery Alder, einer kanadischen Spieldesignerin. Der Titel wiederum stammt von einem Straßenmusiker, dem ich mal auf dem Heimweg begegnete und der das Ende seines Auftritts mit den Worten „This is my last song“, ankündigte. Das, dachte ich mir damals, wäre doch ein toller erster Satz für eine Geschichte, wenn man es wörtlich nimmt.

Du bist auch Mitherausgeberin von "Queerwelten". Wie ist es zu der Zusammenarbeit gekommen? 
Mit-Herausgeber*in Judith kenne ich schon seit ungefähr 2012, wo wir uns über das oben schon erwähnte Rollenspiel „Das Schwarze Auge“ kennengelernt haben (Judith als Autor*in, ich als News-Seiten-Mitarbeiterin). Seit 2018 machen wir zusammen den Genderswapped Podcast, in dem wir über Rollenspiele, Nerdkultur, Medienkritik und alles mögliche andere reden, auch immer wieder übers Schreiben. Als der inzwischen leider insolvente Phantastik-Verlag Feder&Schwert 2019 ein neues Label namens „Wicked Queens“ ins Leben rief, in dem feministische Phantastik erscheinen sollte, haben Judith und ich Kathrin Dodenhoeft vom Verlag vorgeschlagen, einmal im Jahr ein Magazin mit passenden Kurzgeschichten zu veröffentlichen. Kathrin war sofort dabei, nur leider ging dann halt kein halbes Jahr später der Verlag in die Insolvenz. Dann lernte Judith kurz danach Jascha Urbach kennen, den damaligen Verlagsinhaber des Ach Je-Verlags, der auch die Idee zu einem Kurzgeschichtenmagazin hatte. Als dritte Herausgeberin holten wir dann Kathrin ins Boot. Inzwischen erscheint das Heft im Amrûm-Verlag von Jürgen Eglseer, der Ach Je als Imprint übernommen hat, und zwischen Heft 7 und 8 gab es noch einen Wechsel in der Redaktion, Kathrin Dodenhoeft ist aus Zeitgründen ausgestiegen und Heike Knopp-Sullivan kam neu dazu. 

Alle Beteiligten verband und verbindet eine Liebe zu progressiven, feministischen, queeren Texten bzw. generell Texten, die aus marginalisierter Perspektive erzählen. Wir freuen uns, dass wir mit dieser Prämisse, die ich immer liebevoll als „Nische der Nische der Nische“ bezeichne, inzwischen schon das 12. Heft herausbringen.

Was sind deine Aufgaben bei "Queerwelten" und welche macht dir am meisten Spaß? 
Ganz wichtig ist natürlich die Auswahl der Texte und die Arbeit an den Texten. Hierbei gehen wir immer zu dritt vor, also wir lesen alle drei jede Einsendung, sprechen darüber, entscheiden uns, welche Texte wir ablehnen, zusagen oder mit der Bitte um Überarbeitung zurücksenden, das kommt auch manchmal vor. Es wird auch jeder Text von allen drei Herausgebenden lektoriert, meist in mehreren Durchgängen. Das ist auch definitiv der Teil, der mir am meisten Spaß macht, ich liebe es, gemeinsam mit den Autor*innen an ihren Texten zu arbeiten und zu schauen, wie man das meiste aus ihnen rausholen kann.

Ansonsten gehört natürlich noch Kommunikation dazu, also Mails mit Zu- oder Absagen schreiben und mit den Autor*innen und Illustrator*innen kommunizieren, das Konzipieren der Sonderausschreibungen (und auch da wieder das Lesen und Auswerten der Einsendungen). Dazu kommt das Schreiben von Veranstaltungs- und Buchtipps für den Queertalsbericht. Und für jede Ausgabe natürlich auch das gründliche Korrekturlesen der Druckfahne, also der Version nach dem Layout. Ich kümmere mich auch ums Schreiben der Artikel für die Website und unsere Social-Media-Accounts, während Heike und Judith dafür andere Aufgaben übernehmen.

An welchem Projekt arbeitest du gerade? 
Was eigene, längere Texte angeht: Es gibt da einen halbfertigen postapokalyptischen Science-Fantasy-Roman, den ich hoffentlich irgendwann mal weiterschreibe. Gleichzeitig habe ich gerade eine Zusage zu einem neuen Science-Fiction-Projekt erhalten, das auch wieder ein etwas ungewöhnliches Format haben wird. Ansonsten lektoriere ich gerade einen Roman und habe in den letzten Wochen einen langen Essay über die Probleme von generativer KI fürs diesjährige Science-Fiction-Jahrbuch geschrieben, die 12. Ausgabe Queer*Welten korrekturgelesen und eine Leseprobe und ein Exposé lektoriert. Langweilig wird es also nicht! Nur die Zeit fürs eigene Schreiben fehlt gerade etwas. 

Würdest du gerne einmal ein anderes Genre ausprobieren?
Mein Herz schlägt schon ziemlich für die Phantastik, die ja auch verschiedenste Ausprägungen, Stimmungen und Unter-Genres hat, sodass man da ja sehr viel Unterschiedliches schreiben kann. Ich habe aber durchaus auch Ideen, die sich auch ohne jede phantastische Komponente umsetzen ließen, wenn ein Verlag Interesse daran hätte. Also ich bin da eigentlich für alles offen und schaue eher, welche Idee sich wie am besten umsetzen lässt (und idealerweise dann auch von irgendwem verlegt wird).

Nachdem ihr wisst, was Lena schreibt, könnt ihr hier mehr über sie erfahren:
lenarichter.com
www.instagram.com/catrinity_
bsky.app/profile/catrinity.bsky.social

In diesem Sinne: Fröhliches Lesen und freut euch auf das nächste Interview.  

Ellen Norten (Hrsg) "Daedalos 15"

Daedalos gibt sich mit Band 15 zum dritten Mal im neuen Gewand die Ehre.

Mit zehn Geschichten, darunter einem Klassiker, fällt es durch sein Journal-Format schon optisch im Reigen der bekannten Kurzgeschichtensammlungen auf.
Ein einleitendes Vorwort und ein Erläuterungstext zu dem Klassiker runden die Erzählungen ab. Visuell werden die Geschichten mit Kupferstichabdrucken bebildert, welche die Szenerie der jeweiligen Geschichte hervorragend einfangen.

Wie schon in Band 14 wirken die Erzählungen zum einen für sich und zum anderen auch in ihrer Gesamtheit. Die Geschichten haben alle einen düsteren Kern und regen somit reflexartig die Fantasie an, was den Leser in seinem individuellen Kopfkino überrascht und auch zu neuen Ideen und Sinneseindrücken führt.
Jeder Text hat seine eigene Wahrheit und damit auch seine Intention, welche sich dem Leser manchmal plakativ, manchmal auch zwischen den Zeilen, entgegenwirft. 
Besonders die ersten drei Geschichten erzeugen eine solche Sogwirkung, dass man das Journal kaum zur Seite legen kann und zeigen, wie man mit den Gedanken und ggf auch Ängsten der Menschen schriftstellerisch spielen kann.

Emotional am nächsten ging mir die Geschichte des Friedhofwächters. Eine Geschichte, die mit Beschreibungen und gleichzeitig Andeutungen viel beim Lesen auslöst und mich als Leser zum Nachdenken anregt.

Dieses Mal gaben sich ein paar bekannte und ein paar neue Schreibende die Ehre und Ellen Norten hat als Herausgeberin ein gutes Händchen bewiesen, was die Zusammenstellung der Geschichten angeht.
Gerne mehr davon.

4,5 von 5 Kurzgeschichten

Danke an p.m.a.c.h.i.n.e.r.y. für das Rezi-Exemplar.

Montag, 10. Juni 2024

Jane Austen / Claudia Kühn "Stolz und Vorurteil" Grafic novel

Nicht jeder wird Jane Austens Werk "Stolz und Vorurteil" gelesen haben, doch nahezu jeder kennt die berühmte erste Zeile:
„Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass ein Junggeselle im Besitz eines schönen Vermögens nichts dringender braucht als eine Frau.“
Je nach Veröffentlichungsjahr wurde dieser Einleitungssatz modernisiert und an den allgemeinen Sprachgebrauch angepasst, doch zumeist bleibt der Sinn derselbe.
Die Handlung ist kurz erzählt, die Familie Bennet hat fünf Töchter, die nach Meinung der Mutter möglich alle schnell zu verheiraten sind. Als ein junger Gentleman das nahegelegene Netherfield bezieht, ist Mutter Bennet hellauf begeistert und die Heiratskarussell nimmt seinen Lauf, mit teilweise überraschendem Ausgang.
Die Graphic Novel orientiert sich sehr am originalen Text und in der deutschen Übersetzung erkennt man an vielen Stellen die Arthaus Verfilmung aus dem Jahr 2005 wieder.
Einige Drehungen und Einzelheiten müssten aufgrund der Bilder eingespart werden, aber Claudia Kühn gelingt es an den richtigen Stellen diese vorzunehmen, sodass die gesamte Handlung flüssig erzählt wird.
Die Pastellfarben und die weichen Zeichnungen untermalen das Thema, während "bedrohliche" Szenen entsprechend herausgehoben werden.
Die Umsetzung gelingt auf ganzer Linie und wer sich einmal auf andere Art in diesem Klassiker verlieren will, kann sich direkt in die Bilder fallen lassen.

5 von 5 Kirchenglocken

Donnerstag, 6. Juni 2024

Autoreninterview spezial Oliver Bidlo

Hallo zusammen.
Heute habe ich den Verleger und Autor Oliver Bidlo zum Interview gebeten. 

(Foto: Oliver Bidlo (privat), Grafik: Maximilian Wust)

Wie bist du zum Schreiben gekommen?
Zum Schreiben bin ich erst durch das Studium gekommen. Über die klassischen Haus- und Seminararbeiten, dann Zwischenprüfung und später der Magister-arbeit. Sprich: Ich habe schon immer sach- und fachbuchorientiert geschrieben. Später dann auch etwas essayistischer. In diesem Kontext ist auch mein letzter Band „Der Ausbruch des Phantastischen“ entstanden. Ein Essay mit wissenschaft-lichem Einschlag, das einen Blick auf den Einfluss der Phantastik auf die Gegenwart wirft.

Neben dem eigenen Schreiben hast du auch einen Verlag. Erzähl ein bisschen dazu, was dich dazu bewogen hat, einen eigenen Verlag zu gründen?
Ja, eigentlich sehr klassisch. Bücher spielten bei mir seit Jugendtagen eine wichtige Rolle. In erster Linie über das Lesen und hier alles, was man so in die Finger bekam und dann ab dem Studium auch verstärkt das Schreiben. Erst vor Kurzem ist mir doch tatsächlich ein „Buch“ in die Hände gefallen, das aus einer Projektwoche meiner damaligen Schule stammte. Ich war als 7. Klässler in diesem Bändchen mit einer „Geschichte“ beteiligt. Vor allem schaffte es der Lehrer, das ganze Repertoire der Buchproduktion einzubeziehen. Das Schreiben, das „Setzen“ sowie dann die Produktion und der Verkauf. Wir reden über die Mitte der 1980er Jahre, also alles noch weit entfernt von PCs, Drucker oder einem digitalen Austausch. Im Studium – ich habe u.a. Germanistik studiert – fand ich die alten, ersten Bücher rund um den Buchdruck – Inkunabel genannt – faszinierend, dazu das Schreiben (und Lesen). So lief eigentlich alles auf die Gründung eines Verlages hinaus. Nach meiner Promotion habe ich mir das nötige fachliche Wissen angeeignet und Ende Februar 2006 den Oldib-Verlag gegründet.

Schaut man sich das Programm des Verlages an, stellt man zum einen fest, dass es sehr breit aufgefächert ist und zum anderen viele Texte zum Thema Tolkien erschienen sind. Wie kam es zu der Mischung?
Mein erster Band, den ich selbst geschrieben hatte (2002), war ein Sachbuch zum Thema Tolkien und der mittelalterlichen Zahlenallegorese. Tolkien hat Zahlen – und auch einige Namen – nicht willkürlich ausgewählt, sondern darüber andere Geschichten verknüpft bzw. auf andere – historische – Erzählungen verwiesen. Über diesen Band habe ich viele neue Menschen und auch viele heutige Freunde kennengelernt. So war mir schnell klar, dass ein Bereich des Verlages sich Büchern widmen sollte, die sich mit Phantastik bzw. Fantasy aus einer wissenschaftlichen, philosophischen oder sprachlichen Weise auseinandersetzen. Dazu kamen und kommen überdies Fach- und Sachbücher aus dem Bereich der Kultur, Soziologie und allgemein den Geisteswissenschaften. Belletristik war zunächst nicht vorgesehen. Da ich viel im Hochschulbereich unterwegs bin, war klar das meine „natürliche“ Umgebung, aus der sich auch die allermeisten Autorinnen und Autoren rekrutierten. Aber wie es im Laufe der Zeit so ist, kam aus diesem Bereich auch zunehmend die Frage, ob wir nicht auch an Belletristik interessiert wären. Das Schöne an einem Independent-Verlag ist ja, dass man hier ganz einfach auch einmal „Ja“ sagen kann. So kamen also zwei Krimireihen dazu sowie dann – das war für mich irgendwie „logisch“ – phantastische Belletristik. Logisch deshalb, weil wir ja ohnehin Bücher publizierten, die sich inhaltlich und fachlich mit Fantasy und Phantastik als Oberbegriff auseinandersetzen. Warum also nicht gleich auch selbst mal Fantasy publizieren.

Würdest du sagen, dass Tolkien einer der Autoren ist, die dich am meisten inspiriert haben?Zumindest hinsichtlich der phantastischen Literatur. Hier steht Tolkien noch immer an einer besonderen Stelle. Tolkien hat aber nicht nur für die Belletristik unheimlich viel zu bieten, sondern eben auch für Felder der Literaturanalyse, Philosophie, Theologie, Hermeneutik oder allgemein der Sprachwissenschaft. Daher kreuzen sich in Tolkien eigentlich zwei meiner wesentlichen Interessen.

Wie kann man sich deinen "Autoren-/Verlegeralltag" vorstellen?
Bleiben wir vielleicht beim Verlegeralltag. Ich finde ihn noch heute spannend. Kontakte mit den Autorinnen und Autoren halten, Bestellungen organisieren und abwickeln, die jeweils aktuellen Buchprojekte in den Prozess der Publikation bringen; das sind die täglichen Arbeiten. Vielleicht kommt mir zugute, dass ich neben den schöpferischen Anteilen einer solchen Arbeit zudem Freude an kaufmännischen und organisatorischen Sachen habe. Das ist ja nicht jedermanns Sache, zumal in kleineren Verlagen. Mir machen aber auch diese Dinge Freude, so dass ich täglich eine für mich interessante Mischung an Arbeit vorfinde. Es ist nur meist – da bin ich sicher nicht der Einzige – zu viel an Arbeit, die man sich auflädt.

Was sind deine aktuellen Projekte?
Im Verlag erscheint gerade ein etwas anderer „Reiseführer“ zu Südfrankreich: „Das ewige Blau. Streifzüge durch den Süden Frankreichs“. Ein sehr schönes Buch, das von Sylvia Lukassen, einer Journalistin, wunderschön geschrieben wurde. Zudem erscheint gerade eine Fortsetzung eines phantastischen Jugendbuches. Der erste Band „Somniavero“ von Anja Stürzer war preisgekrönt, die Fortsetzung – auch hier wird es wieder u.a. um Zeitreisen gehen – „Somniaveris“ ist wieder ein tolles Buch geworden und hoffentlich am Markt genauso erfolgreich. Darüber hinaus steht noch eine Science-Fiction Anthologie an sowie eine neue Ausgabe des „Hither Shore“, dem akademischen Jahrbuch der Deutschen Tolkien Gesellschaft, das es bereits seit Anfang der 2000er Jahre gibt und seit zwei Jahren nun bei uns erscheint.

Ich selbst plane gerade ein kurzes Sachbuch, besser Essay, über das „Denken im Hochformat“. Dort möchte ich den Spuren des „Hochformats“ nachgehen und schauen, warum es sich durchgesetzt hat und wie dieses (und ggf. auch andere) Buchformat auch unser Denken beeinflusst. Der kanadische Medientheoretiker Marshall McLuhan hat ja mit seinem Band und Ansatz „Das Medium ist die Botschaft“ (eigentlich „The Medium is the Massage“) schon früh auf die Wechselwirkung von Medium, Inhalt und Denken hingewiesen. Leider komme ich derzeit kaum zum Lesen, denn vor dem Schreiben steht immer das Lesen. Aber vielleicht schaffe ich es in den Sommermonaten, mich daran zusetzen.

Wie entscheidest du, ob ein Buch zu deiner Verlagsstruktur passt?
Hier sind es verschiedene Faktoren mit einer unterschiedlichen Gewichtung. Zum einen muss der Inhalt zu uns passen. Wir haben auch schon Skripte abgelehnt, weil wir der Meinung waren, dass wir dazu kaum den richtigen Adressatenkreis erreichen können. Der Inhalt muss uns natürlich ebenfalls gefallen, zumindest bei einem belletristischen Band. Bei Sach- oder Fachbüchern müssen Thema und Schreibe passen. Und dann, das spielt ebenfalls eine Rolle, müssen wir eine Chance auf Vermarktung und Verkauf sehen. Dazu gehört bei uns, dass die Autorinnen und Autoren auch selbst ein Maß an Eigeninitiative zeigen. Wir haben für jeden Band ein Marketingbudget, aber das ist verständlicherweise begrenzt. Mittlerweile veranstalten wir mitunter Wohnzimmerlesungen bei uns. Wir haben entsprechende Verlagsräume, wo das prima möglich ist und eine schöne Atmosphäre entsteht. Auch wenn die Größe überschaubar ist (10-20 Personen) ist das doch für ein Buch, die Autorinnen und Autoren sowie für das Verlagsprofil eine schöne Sache.

Nachdem ihr wisst, was Oliver herausgibt, könnt ihr hier mehr über seine Bücher erfahren:
oldib-verlag.de

In diesem Sinne: Fröhliches Lesen und freut euch auf das nächste Interview. 

Fabian K. Roth "Ghostnet"

Was passiert in einer Welt, wenn alles zusammengebrochen ist?
In "Ghostnet" jagen Scrapper Gesetzeslose und schlachten Körper nach technischen und technologischen Ersatzteilen aus. Doch was hält die Menschen in der Stadt bzw in den Ruinen?
Immer wieder sind es die beiden Scrapper Glitch und Nikka, die versuchen, den Abschaum in den Ruinen unschädlich zu machen.
Zwischen Gedankenstreams, Zhus Killeraktionen und Schulden finden die beiden eine Zielperson, die so ganz anders ist als die Personen zuvor.
Doch nachdem das Ziel ausgeschaltet ist, passieren die seltsamsten Dinge und Glitch und Nikka müssen um ihre eigene Haut fürchten.
Die Geschichte wird eingebettet in fiktive Interviews mit z.B. Elvis Presley oder Johnny Cash. Wikipedia Artikel und Erinnerungen alter Smartphones erzählen, was vor dem großen Zusammenbruch passiert ist und zeichnet eine Welt, die auf Missverständnissen und gewagten Annahmen fußt. 
Es ist zeitweise erschreckend, wenn man die Parallelen zu der heutigen Zeit sieht und bedenkt, wohin das Internet und seine Auswirkungen uns führen könnten.

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Dienstag, 4. Juni 2024

Jörg Kastner "Sherlock Holmes und ein Doktor in Not"

Trübes, englisches Wetter, Baker Street und ein Mann ist in Not. Wie so viele Geschichten beginnt auch diese in der Baker Street bei dem großen Detektiv und seinem Chronisten.
Ein Doktor wurde in eine Behandlung hingezogen, die er von Anfang an für obskur hielt, doch als seine Frau entführt wird, muss er sich an Holmes und Watson wenden.
Jörg Kastner fährt in dieser Kurzgeschichte viele Dinge auf, die Sherlock Holmes Leser aus den originalen Geschichten kennen. Maskierte Fahrten durch das nächtliche London, Watsons Vorbereitungen an seinem alten Armee-Revolver, Hunde, Mycroft ...
Gerade bei einer Kurzgeschichte ist die Gefahr, sie mit Details zu überladen, immer gegeben, doch Jörg Kastner schafft es, alles in der Waage zu halten. Man fühlt sich in der Geschichte heimelig und man spürt, dass er sich im Kanon von Sir Arthur Conan Doyle auskennt.
Auch das Thema Individualität spielt bei den Pastiches immer eine große Rolle. Zumindest bei dieser Geschichte wäre noch ein wenig mehr möglich gewesen.
Doch so wie sie ist, eröffnet "Sherlock Holmes und ein Doktor in Not" solide die Welt von Sherlock Holmes aus der Sicht von Jörg Kastner.

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