Hallo zusammen.
Wieder habe ich mich auf die Suche nach einem interessanten Autor gemacht und habe jemand Nettes gefunden, die mir meine Fragen beantworten möchte. Friedhelm Schneidewind ist bereits seit Jahrzehnten in der Buchbranche unterwegs. Heute hat er sich Zeit für ein Interview genommen:
Friedhelm Schneidewind (Foto von privat)
Wie bist du zum Schreiben gekommen?
Ich habe schon in der Schule sehr gerne Aufsätze geschrieben und während des Studiums viele Sachtexte. Geschichten und Lieder verfasste ich ab 1983 vor allem für’s Rollenspiel; ich war fast zwei Jahrzehnte Dungeon-Master, erst für D&D, dann für AD&D. Professionell schrieb und veröffentlichte ich ab 1988 in mehreren Zeitschriften, ab 1989 als Herausgeber und Chefredakteur der Publikationen »Saarbrücker Anzeiger« (zweiwöchentlich, bis 1994), »Saarbrücker Studentenzeitung« (monatlich, bis 1995), »Saarländisches Kultur-Journal« (zweimonatlich, von 1995 bis 1999 im Netz) und »Vampyr-Journal« (seit 1995 im Netz).
Aus dort veröffentlichten Texten entstand 1993 mein erstes Buch mit Geschichten und Essays, 1994 folgte mit »Carmilla« ein Vampir-Theaterstück, das ich mit meiner damaligen Frau zusammen schrieb und inszenierte, für den Studio-Theater-Verein in Saarbrücken, dessen Vorsitzender ich fast zehn Jahre war. Das Stück führten wir im In- und Ausland bis 2000 über 60 mal auf.
Danach folgten die Veröffentlichungen fast zwangsläufig: Als anerkannter »Vampyrologe« bat man mich um Vampirgeschichten und ein Berliner Verlag um ein Lexikon zum Blut, danach folgten weitere Lexika und Sachbücher, aus meinen Liedern und Geschichten wurden Sammelbände, nach meinem ersten Roman bat der Verlag um einen zweiten ...
Ich veröffentliche professionell seit 35 Jahren, und es wirkt auf mich wie eine ganz schlüssige Entwicklung.
Wie ich in meiner Rezension erwähnte, halte ich dich für einen wirklichen Erzähler, nicht »nur« für einen Autoren. Wie schaffst du es, derart vielseitig zu schreiben und das auf einem qualitativ hohem Niveau?
Danke für das Lob: eben, weil ich eigentlich ein Erzähler bin. Ich habe seit meiner Kindheit gerne Geschichten erfunden, manchmal auch Lieder. Ich habe das freie Erzählen bei Jugendfreizeiten trainiert und beim Rollenspiel, sowohl am Tisch wie beim LARP, auf Mittelalterveranstaltungen, als Geschichtenerzähler und Barde ... aber auch als Ausbilder und Dozent seit über 25 Jahren.
Natürlich ist Erzählen etwas anderes als Schreiben, und wenn jemand das nicht berücksichtigt, ist das dem Text oft genug anzumerken. Aber das ist eine Frage des Handwerks, der Technik – denn Kreativität und gute Ideen zu haben, ist ja nur ein Aspekt, dies in eine gelungene Form zu bringen, der andere, der handwerkliche, und je nach Darbietungsform, etwa mündlich oder schriftlich, und je nach Zielgruppe muss ich anders formulieren. Dieselbe Geschichte werde ich Kindern und Jugendlichen anders erzählen als Erwachsenen, für Menschen mit unterschiedlichen Leseerfahrungen und Sprachkompetenzen werde ich sie vielleicht anders schreiben ...
Dieser Zusammenhänge bin ich mir beim Erzählen wie beim Schreiben immer bewusst.
Dies gilt natürlich nicht für alle Texte und alle Schreibenden gleichermaßen. Es gibt Menschen, die schreiben, was und wie sie müssen, ohne an die Leute zu denken, die es einst lesen oder hören werden. Bei Lyrik ist das oft besonders ausgeprägt.
Ich aber schreibe in der Regel für ein Publikum, das ich mir erhoffe.
Neben dem Schreiben musizierst du viel. In wie weit beeinflussen sich die beiden kreativen Tätigkeiten?
Nicht immer, aber oft. Der erste Text, den ich aus eigenem Antrieb verfasste, war der für ein Weihnachtslied, das ich mit neun Jahren für meine Eltern komponierte.
Ich habe mittelalterliche Texte übersetzt und vertont, z. B. aus der »Carmina burana« und von Villon, und singe mittelhochdeutsche, lateinische oder französische Lieder meistens in meinen eigenen Übertragungen ins Neuhochdeutsche. Ich verfasse gerne auch Texte zu bekannten Melodien, z. B. sind in den »Phantastischen Miniaturen« mehrere Geschichten als Lieder erschienen, und für’s LARP habe ich als Priester ein ganzes Gesangbuch erstellt.
Natürlich gibt es auch komplett von mir verfasste Lieder; meine »Ballade von den alten Zeiten« erschien bereits 1992 im Druck.
Oft spielt Musik eine wichtige Rolle in meinen Erzählungen, häufig auch Instrumente, die ich spiele, wie Flöten und Harfen. In der Erzählung »Nachfolge«, 2019 in der Anthologie »Wir sind die Bunten« erschienen, verhilft eine Zauberharfe u. a. François Villon, Cyrano de Bergerac, Goethe, Schiller und Karl May zu ihrer außerordentlichen Kreativität, kann aber auch tödlich wirken. Im Episodenroman »Sklavin und Königin«, der 2018 im Karl-May-Verlag erschien, wird in meinem Teil ein Dämon, ein Dschinn, mit Hilfe einer magischen Harfe und einer zauberischen Melodie bezwungen.
Mein nächstes großes Projekt verbindet Musik und Text ganz eng: In dem historisch-phantastischen Roman mit dem Arbeitstitel »Roter Mund und wundes Herz« ist zentral die alte Tiroler Sage, der Dichterkomponist und Reichsritter Oswald von Wolkenstein habe das Harfenspiel von einer Fee oder Zauberin erlernt. Unter diesem Blickwinkel werde ich sein Leben erzählen, auf einer Begleit-CD werde ich Oswald-Lieder in meiner Übertragung singen und mich dabei auf Nachbauten historischer Instrumente begleiten. Ich plane die Veröffentlichung für 2025.
Hast du als langjähriger Autor noch Vorbilder?
Durchaus, insbesondere zwei. In allen Bereichen des Schreibens, belletristisch wie essayistisch, dient mir als Vorbild stets Ursula K. Le Guin, mit ihrer großartigen Sprache, ihrer genauen Recherche, ihrem logischen Geschichten-Aufbau und ihrer humanistischen und aufklärerischen Haltung.
Mein zweites Vorbild ist natürlich Tolkien. Zunächst betrifft dies seine Weltenschöpfung, für die er einen Werkhintergrund geschaffen hat, der im Bereich der literarischen Fiktionen seinesgleichen sucht. Vor allem bewundere ich Tolkien dafür, wie er Dinge andeutet, so dass »man darin plötzlich einen Ausblick auf endlose unerzählte Geschichten erhält: auf Berge, von weitem gesehen, die man nie besteigen wird, und ferne Bäume«, wie er in einem Brief von 1945 schreibt. Immer wieder versuche ich, diesen großartigen Effekt zu erzielen, der Tolkiens Mittelerde-Dichtung durchzieht, diesen »Reiz, wie wenn man von fern eine noch nie betretene Insel oder die schimmernden Türme einer Stadt in einem sonnigen Dunstschleier erblickt« (Brief vom 1963).
Ich mag zudem den romantisch-tragischen Stil, die melancholische Poesie, die süße Tragik, die Tolkiens Werk durchzieht, und orientiere mich in diesem Punkt auch an bestimmten Werken von Poul Anderson, Stephen R. Donaldson, Barbara Hambly und George R. R. Martin.
Als Vorbild im Aufbau von Spannung und Action dient mir immer wieder Karl May.
Gibt es Schriftsteller oder Schriftstellerinnen, mit denen du gerne zusammenarbeiten würdest?
Ich habe in dieser Hinsicht ja schon einige Erfahrung. Das Vampir-Theaterstück »Carmilla« haben 1993 meine damalige Frau und ich zusammen geschrieben, später einige Vampirgeschichten. Das Sachbuch »Grammatik der Ethik« über Tolkiens Werk haben wir 2005 zu viert verfasst, den Episodenroman »Sklavin und Königin« aus der Reihe »Karl Mays magischer Orient« 2018 sogar mit sechs Leuten. Daher weiß ich, wie schwierig es sein kann, wenn mehrere Menschen an einem Text arbeiten; bei Sachtexten ist das einfacher als bei Belletristik. Dennoch würde ich es gerne mit dem Einen oder der Anderen versuchen, wenn sich die Gelegenheit ergäbe. Ich würde sehr gerne eine längere Geschichte schreiben mit Tanja Kinkel oder Bernhard Hennen. Und vielleicht findet sich mal die Zeit, mit meinem Freund Frank Weinreich ein Sachbuch zu einem spannenden Thema zu verfassen.
Wenn du Zeit findest eine Geschichte zu schreiben, aber mehrere Ideen hast, welcher Geschichte gibst du den Vorzug?
Falls es ein Thema gibt, zu dem ich schreibe, etwa für eine Anthologie, immer der Geschichte, die zu diesem Thema am besten passt, sonst jener, die mir am kreativsten und originellsten erscheint. Falls ich unter Zeitdruck bin, dann werde ich aber vielleicht diejenige schreiben, die mir am leichtesten von der Hand geht.
Falls jemand noch nichts von dir gelesen hat, womit sollte man beginnen?
Je nachdem, ob es um Sachtexte oder Belletristik geht und wie umfangreich der Einstieg sein soll, empfehle ich Unterschiedliches.
Belletristik:
- Kleine Geschichtensammlung: »Im Weltall viel Neues. Geschichten aus der
nahen und einer fernen Zukunft«. 140 S., Saarbrücken: Villa Fledermaus, 2016
(kann über mich bezogen werden)
- Neue, umfangreiche Geschichtensammlung: »Brennende Labyrinthe. 100
Miniaturen zwischen Mythos und Zukunft«. 324 S., Winnert: p.machinery, 2023
- Roman: »Das magische Tor im Kaukasus«. 480 S.,
Bamberg: Karl-May-Verlag, 2019
Sachtexte:
- Broschüre: »Vom Dunkel ins Licht! Von Alben zu Elfen und Elben«. 48 S.,
Wetzlar: Phantastische Bibliothek, 2016
- Essay-/Artikel-Sammlung: »Spiegel, Muschelklang und Elbenstern«. 96 S.,
Saarbrücken: Villa Fledermaus, 2009 (kann über mich bezogen werden)
- Sachbuch: »Mythologie und phantastische Literatur«. 180 S.,
Essen: Oldib-Verlag, 2008
- Lexikon: »Das neue große Tolkien-Lexikon«. 806 S.,
St. Ingbert: Conte-Verlag, 2021
Danke für das Interview!
In diesem Sinne, fröhliches Lesen und freut euch, wenn es demnächst ein weiteres Interview gibt.